Vom Sterben merkt man im Wohnzimmer des Hospiz wenig. Es duftet nach Kaffee und Croissants, weil gerade Frühstückszeit ist. Dazu Tannengrün, Spekulatius. An der Wand ein Adventskalender mit Geschenken

Langenbek. Vor einem Jahr wurde das „Hospiz für den Hamburger Süden“ feierlich eröffnet, wenige Tage später wurde der erste Gast aufgenommen. Seitdem hat das Hospiz 140 Gäste bis zum Abschied begleitet. „Abschied“ ist das Wort, das sich im Hospiz für „Sterben“ eingebürgert hat.

Vom Sterben merkt man allerdings wenig an diesem Morgen im Wohnzimmer des Hospiz’. Es duftet nach Kaffee und Croissants, weil gerade Frühstückszeit ist. Außerdem die typischen Adventsdüfte: Tannengrün, Spekulatius, Orangenschale. Hinten an der Wand hängt ein Adventskalender mit kleinen Geschenksäckchen. Die Gäste sind reihum dran, sich an den kleinen Gaben zu erfreuen.

Die Bewohnerin, die heute an der Reihe ist, ist bettlägerig. Werner von der Wehl hingegen ist noch gut zu Fuß und wird nachher für die Dame den Adventsboten geben. Erst einmal ist jedoch das Croissant dran. Außerdem Frühstücksschnack mit einer Mitbewohnerin. Es wird geflaxt und gelacht. Werner von der Wehl ist 57 und wird demnächst sterben – Krebs.

„Nach der letzten Operation haben sie mir drei Alternativen genannt: Nach Hause, ins Pflegeheim oder ins Hospiz“, sagt er. „Ich bin froh, mich für das Hospiz entschieden zu haben.“ So lange er noch kann, ist von der Wehl trotzdem noch häufig zu Hause in Georgswerder. Seine Frau holt ihn dann morgens ab, sie verbringen den Tag zusammen und abends ist er wieder im Hospiz und erhält seine Medikamente. Als von der Wehl aus dem Krankenhaus entlassen wurde, wäre an Tagesausflüge nicht zu denken gewesen. Der Palliativmedizin sei Dank, ist er wieder auf den Beinen. Die Gäste im Hospiz sollen bis zum Abschied so gut leben, wie möglich.

Gäste wie Werner von der Wehl, die noch gehen können, treffen sich am langen Tisch im Wohnzimmer oder auf der Terasse, wo der Hausmeister gerade einen Heizstrahler aufgestellt hat. „Ich schätze die familäre Atmosphäre hier“, sagt Werner von der Wehl. „Alle sind hier nett zueinander und die Pfleger, Ärzte und Helfer tun alles, dass man sich wohlfühlt. Hier ist es schön. Irgendwann ist es natürlich vorbei. Ich habe keine Chance auf Heilung. Aber besser, wenn es hier vorbeigeht.“

„Ein bisschen ist es hier, wie in einer Wohngemeinschaft“, sagt Sandra Köbe. Sie ist beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) die Projektleiterin für das Hospiz und im täglichen Betrieb zweite Führungskraft hinter Hospizleiterin Britta True. „Wir lachen hier sehr viel gemeinsam, aber wir weinen auch zusammen. Hier ist ein hochemotionaler Ort.“

Das ist für sie auch nach 140 Abschieden noch so, sagt Sandra Köbe. „Ich kann mich immer noch auf jeden einzelnen Gast einstellen. Jeder Gast ist etwas Besonderses und wird mit allen Eigenarten von den anderen Gästen und von uns angenommen.“

Für Sandra Köbe selbst hat das Jahr, seitdem das Hospiz seine Arbeit aufgenommen hat, etwas persönliches bewirkt: „Ich habe früher alle paar Jahre meinen Job und manchmal auch den Beruf gewechselt. Hier habe ich das Gefühl, angekommen zu sein.“

Auch Krankenschwester Annegret Renken würde den Job nicht mehr tauschen wollen. „Wir sind hier viel näher an den Patienten“, sagt sie „Es findet ein deutlich tieferer Kontakt statt.“ Das ist auch emotional fordernd. Wie die meisten Pflegekräfte im Hospiz arbeitet Annegret Renken in deshalb Teilzeit, in ihrem Fall vier Tage in der Woche.

„Das ist ganz wichtig“, sagt Hospizleiterin Britta True, „denn soviel, wie die Arbeit meinen Mitarbeiterinnen hier auch gibt – er verlangt ihnen auch viel ab. Da ist es gesund, etwas mehr Zeit für sich zu haben.“ Die 25 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Hospiz erhalten deswegen auch eine Zulage über den DRK-üblichen Tarif hinaus.

Für Britta True sind es die Kleinigkeiten, die ihr Jahr im Hospiz ausgemacht haben. „Jedesmal, wenn wir Gästen etwas ermöglichen können, sei es ein kleines Grillfest auf der Terasse, oder ein Ausflug in den Harburger Stadtpark, ist das ein ganz besonderer Moment“, sagt sie. „Und hier ist es ja so, dass jeder Moment zählt.“

Wenn sie einem Gast noch einen besonderen Wunsch erfüllen kann, ist Britta True besonders glücklich. „Wir hatten hier einen Gast, der seit 30 Jahren seinen Sohn nicht mehr gesehen hatte. Die Mutter hatte den Kontakt nach der Trennung nterbunden. Wir haben den Sohn ausfindig machen können und angrufen. Ich hatte erst nicht das Gefühl dass er seinen Vater sehen wollte, aber am Abend war er da und hatte Bier mitgebracht. Er ist erst am Morgen wieder gegangen.“

Schön findet Britta True auch, dass das Hospiz im Stadtteil gut verankert ist. „Die Nachbarn bringen hier oft Kleinigigkeiten vorbei und bieten Hilfe an“, sagt sie. Auch im Streit mit den nachbarn, die noch während der Eröffnung vor einem Jahr gegen das Hospiz klagten herrscht relative Ruhe, sagt True. „Wir reden jetzt miteinander. Es ist zwar nicht alles gut, aber wenigstens reden wir.“

Geredet wird auch im Hospiz-Wohnzimmer. Werner von der Wehl und seine Mitbewohnerin lästern über einen Arzt. Es riecht nach Weihnachten und Frühstück. Vom Sterben merkt man hier wenig.