Was passiert, wenn man plötzlich schwer krank wird oder einem nahen Angehörigen dieses Schicksal widerfährt? Für 97 Prozent von uns ist die eigene Gesundheit ein zentraler Faktor für Glück und Zufriedenheit.
Auf den Tag genau vor 130 Jahren, am 1. Dezember 1884, trat – im Rahmen der von Reichskanzler Otto von Bismarck veranlassten Sozialgesetzgebung – das „Gesetz betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter“ in Kraft. Dieses Gesetz markiert den Beginn der gesetzlichen Krankenversicherung im modernen Sinne. Die damaligen Leistungen umfassten neben der ärztlichen Behandlung sowie den Arznei- und Hilfsmitteln auch schon Mutterschaftshilfe, Krankenhausbehandlungen und ein Sterbegeld. Selbst ein Krankengeld wurde gezahlt – dieses betrug 60 Prozent des letzten Lohnes und wurde ab dem dritten Krankheitstag bis zu einem halben Jahr gezahlt.
Ein wesentlicher Bestandteil dieses Gesetzes war die Finanzierung der medizinischen Versorgung der Bevölkerung durch eine umlagefinanzierte Sozialversicherung: Jeder Versicherte zahlte einen Beitrag gemäß seiner Einkünfte und erhielt Leistungen – rein nach medizinischer Notwendigkeit und damit unabhängig von der Höhe seiner Einzahlungen. Von Beginn an beteiligten sich aber auch die Arbeitgeber an der Finanzierung: zunächst mit einem Drittel, später dann sogar mit 50 Prozent der Beitragssumme. Seit der Einführung des Gesundheitsfonds im Jahre 2009 hat sich das Verhältnis wieder zulasten der Arbeitnehmer verschoben, die derzeit 53 Prozent übernehmen.
Wofür werden gegenwärtig die Krankenkassenbeiträge verwendet? Im letzten Jahr entstanden für jeden von uns im Schnitt knapp 3800 Euro Gesundheitskosten. Im 20-Jahresvergleich verdoppelten sich die Gesamtausgaben damit auf über 300 Milliarden Euro. Mittlerweile entspricht diese Summe 11,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das deutsche Gesundheitssystem ist also teuer, aber auch sehr gut. Dafür sorgen fast fünf Millionen Erwerbstätige im Gesundheitssektor. Es gibt 470.000 registrierte Ärzte, über 2000 Krankenhäuser und 21.000 Apotheken in Deutschland. Für die kommenden Jahrzehnte ist eine weitere Zunahme an Gesundheits- und Pflegeleistungen zu erwarten, da sich die Lebenserwartung erhöht und in 20 Jahren fast jeder dritte Mitbürger über 65 Jahre alt sein wird. Positiv betroffen ist hiervon der Arbeitsmarkt im Gesundheitswesen, in dem bereits heute jeder achte Erwerbstätige beschäftigt ist (siebenmal mehr als in der Automobilbranche).
Offen bleibt dagegen die Frage nach einer auch in Zukunft dauerhaft gesicherten Finanzierung unseres Gesundheitssystems. Viele Mitbürger fragen mit Sorge: Wie lange noch bleibt die bislang weitestgehend erschwingliche medizinische Rundumversorgung eine Selbstverständlichkeit? Schon heute gehen drei von vier Deutschen davon aus, dass in den kommenden 20 Jahren nur noch die Grundversorgung aus öffentlichen Mitteln abgesichert sein wird. In der Konsequenz wären alle sonstigen Kosten privat zu bezahlen – und wer sich diese nicht leisten kann, der wird bestimmte Medikamente, Behandlungen oder Leistungen nicht mehr erhalten. Es sind vor allem Besserverdienende, Männer, Ältere und Höhergebildete, die diese Zweiklassengesellschaft fürchten.
Mein Fazit: Gegenwärtig zählt die Sicherung der eigenen Gesundheit zu den größten Sorgenfeldern der Bevölkerung. Die Unsicherheit ist groß, denn was passiert, wenn man plötzlich schwer krank wird oder einem nahen Angehörigen dieses Schicksal widerfährt? Aufgabe der Politik muss es daher sein, diese Sorge der Bevölkerung ernst zu nehmen und sicherzustellen, dass auch in Zukunft eine umfassende medizinische Grundversorgung für jeden Bürger besteht. Für 97 Prozent von uns ist die eigene Gesundheit ein zentraler Faktor für Glück und Zufriedenheit. Unser Glück und unsere Gesundheit bedingen sich also gegenseitig. Dieses allerdings auch im umgekehrten Sinne, denn wie sagte schon Voltaire: „Da es sehr förderlich für die Gesundheit ist, habe ich beschlossen, glücklich zu sein.“
An dieser Stelle schreibt jeden Montag Prof. Ulrich Reinhardt von der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen