Adolf Hitler wollte Hamburg in ein nationalsozialistisches New York umgestalten. Sein Chefplaner beeinflusste die Stadt weit über das Ende des 1000-jährigen Reichs hinaus
Der 9. Juni 1937 sollte für die Hansestadt Hamburg ein besonderer Tag werden – zumindest dachten das die Nazis. Georg Ahrens, glühender Nationalsozialist, Staatsrat und de facto zweiter Mann im Staate Hamburg hinter Reichsstatthalter Karl Kaufmann, hatte in- und ausländische Medien zur Pressekonferenz geladen: Im Rathaus enthüllte er einer staunenden Weltöffentlichkeit, welche Pläne Adolf Hitler mit Hamburg hatte: Die Stadt an der Elbe, eine der fünf „Führerstädte“, sollte es zukünftig mit New York aufnehmen. Die Hybris der Nazis sprengte alle Grenzen. Eine gewaltige Hochbrücke sollte mit 180 Meter hohen Pylonen die Elbe überspannen, ein Wolkenkratzer 250 Meter in den Hamburger Himmel ragen, eine Volkshalle für 50.000, ein Aufmarschplatz für 100.000 Menschen entstehen. Zugleich zeigten die Nazis ihre Träume der autogerechten Stadt – mit Hochstraßen entlang des Elbufers, Parkplätzen, Garagen und breiten Magistralen.
Der Entwurf stieß auf Begeisterung. Die Euphorie der gleichgeschalteten Hamburger Zeitungen, die sich mit überschwänglichen Zeilen überboten, mag wenig überraschen. Das „Hamburger Fremdenblatt“ lobte, die Stadt benötige einen „besonderen Baustil für seine großartigen Bauten am Hafen, der seiner Bedeutung als Welthafen entspricht“, das „Hamburger Tageblatt“ freute sich auf „ein neues Gesicht einer deutschen, nationalsozialistischen Weltstadt“. Auch die „New York Times“, die gleich am nächsten Tag über die Pläne berichtete, zeigte sich angetan von einem Hochhaus, das „mit den höchsten New Yorker Gebäuden rivalisieren wird“, und riet amerikanischen Architekten, sich zu bewerben. „Viele Zeitgenossen verstanden das als euphorischen Aufbruch in eine neue Zeit“, sagt die Historikerin Sylvia Necker, die sich in ihrer Arbeit intensiv mit den Hamburg-Planungen befasst hat. „Dass dies alles im Rahmen einer Diktatur passierte, nahmen auch viele ausländische Pressevertreter nicht wahr.“
Große Teile von Altona und St. Pauli wären den Plänen zum Opfer gefallen
Gut zwei Monaten nach der Schau lädt die Baubehörde zu einem Wettbewerb: Die Anforderungen sind für die Hansestadt revolutionär und stehen unter dem Eindruck der Vereinigung Hamburg und Altonas im Groß-Hamburg-Gesetz. Die Stadt soll sich fortan von der Alster zur Elbe wenden, der Strom rückt in den Mittelpunkt aller Planungen. Am Altonaer Balkon sollen ein großer neuer Anleger für die Kraft-durch-Freude-Flotte und ein Hotel mit 2000 Betten entstehen, von hier bis zu den Landungsbrücken eine zur Elbe offene Hochstraße auf dem Geesthang führen, überragt von 60 Meter hohen Hochhäusern. Großteile von Altona und St. Pauli mit rund 40.000 Wohnungen werden kurzerhand überplant – eine Vorwegnahme späterer grausamer Bombennächte. Das Zentrum Altonas soll sich in einen monströsen Aufmarschplatz verwandeln – hier treffen sich die Ost-West-Straße und eine Nord-Süd-Achse vom Holstenplatz kommend, wohin der Bahnhof Altona verlegt werden soll. Zudem wird die Elbbrücke mit in den Wettbewerb aufgenommen, allerdings ohne die genaue Lage festzulegen.
Im April 1938 präsentieren sechs Architekten ihre Ergebnisse in der Kunsthalle. Das Interesse ist gewaltig: Hamburger Parteibonzen sind ebenso vor Ort wie der Reichsmarschall Hermann Göring; Reichsstatthalter Kaufmann lässt sich von allen die Modelle erläutern. Eine Entscheidung aber fällt erst neun Monate später, bei der Hitler zusammen mit Generalbauinspektor Albert Sperr und dem Generalinspektor für das Straßenwesen, Fritz Todt, die Entwürfe prüft. Die Verzögerung erklärt Hartmut Frank in dem 1991 erschienenen Buch „Das ungebaute Hamburg“ mit: „Verzögerung über die Brückentrasse“ als auch „gründliche Überprüfung der sechs Ergebnisse ... zur überschlägigen Ermittlung von Baukosten und Materialbedarfe“.
Die Wahl des Führers fällt auf den eher unbekannten Architekten Konstanty Gutschow, der die Forderungen des Wettbewerb am genauesten umsetzt; Hitler hält das Konzept für „das straffste und bietet daher die größten Möglichkeiten zur Weiterverfolgung“. Gutschow ist damals erst 36 Jahre alt. Der gebürtige Hamburger hatte „bisher mehr entworfen als gebaut; in Hamburg waren es bis dato nur ein paar Siedlungshäuser und das Kaifu-Schwimmbad“, sagt die Wissenschaftlerin Sylvia Necker, die eine fesselnde Biografie über den Architekten geschrieben hat (Dölling und Galitz Verlag, 49,90 Euro). Aufgefallen war er über Wettbewerbsbeiträge, die in Architekturzeitschriften publiziert wurden. Seine Ideen für das neue Hamburg machten Gutschow zum Favoriten des Führers, der Hamburg als Pendant zu New York entwickeln wollte. „Hamburg war die einzige ‚Führerstadt‘, in der man die städtebauliche Moderne wagte“, sagt Necker. Offenbar ging es dem Führer auch um ein architektonisches Wettrüsten. 1939 sagte Hitler in einer Rede: „Was heißt Amerika mit seinen Brücken? Wir können genau das Gleiche. Deshalb lasse ich dort Wolkenkratzer hinstellen von der gleichen Gewalt der größten amerikanischen.“
Warum Hitler gerade für Hamburg so große Pläne hatte, ist umstritten. Vor allem die Elbhochbrücke trieb ihn um. Angeblich, so schreibt es der damalige Bürgermeister Carl Vincent Krogmann, habe der Führer bei einer Barkassenfahrt geäußert: „Hier sehe ich ein großes monumentales Bauwerk“, und dabei eine Brücke in die Luft gezeichnet. Möglicherweise war es aber auch eine Aussage, die die Stadtväter Hitler entlocken wollten. Schon in den 1920er-Jahren war ein Brückenbauwerk erdacht worden, das dann aber am Geldmangel scheiterte. Die Elbbrücke blieb das Steckenpferd des größenwahnsinnigen Herrschers – die Brücke sollte „Amerika übertreffen, so wie Hamburg dazu ausersehen war, die amerikanischen Maßstäbe zu übertreffen“, erinnerte sich später Albert Speer, der Architekt des Führers. Der Wolkenkratzer – ein paar Meter höher noch als das Empire State Building – solle als „Landmarke am Tor der Welt ... dem an der anderen Seite des Atlantiks liegenden New York entgegentreten“.
Das neue Hamburg sollte im Jahr 1963 fertig gebaut sein
Der junge Hamburger Architekt verbindet das monumentale Denken der Nazis mit einer durchaus modernen Stadtplanung. „Er verfolgte eine komplett neue Idee von Stadt“, sagt Necker. „Gutschow träumte den Traum eines Stadtplaners, eine Metropole komplett zu verändern“ – seine Visitenkarte zierte der von den Nationalsozialisten vergebene Titel „Architekt für die Neugestaltung der Hansestadt Hamburg“.
Die Planungen seines Büro zerlegten das Elbufer in fünf Abschnitte. Im östlichsten Teil der Neustadt rund um den Michel stellte sich Gutschow moderne Sanierungen vor – die Wohnungen sollten größer, heller, die Viertel luftiger werden. Um die Wallanlagen bis zur Elbe zu verlängern, hätten vom Hafenkrankenhaus bis zum Fischmarkt die Gebäude fallen sollen. Im weiteren Verlauf sollte anstelle der Palmaille – wo Gutschow sein Büro hatte – eine einseitig bebaute neue Geschäfts- und Prachtstraße Altona mit der Alster verbinden. Hier schwebten Gutschow Kontorhäuser aus Backstein vor, die „als Zeugen hamburgischer Weltgeltung“ das Elbufer säumen sollten. In Höhe des Bahnhofs Altonas und des Rathauses, die beide abgerissen worden wären, sollte das Veranstaltungsforum entstehen mit dem 60-stöckigen Gauhaus, der Volkshalle, kleineren Verwaltungsgebäuden und dem Kdf-Hotel. „Gutschow ging es darum, in der Fassade die NS-Macht zu repräsentieren, mit der typischen Ornamentik, mit Adlern, Säulen, Hakenkreuzen“, sagt Necker. „Im Inneren hätten die Gebäude durchaus den Standard moderner Ingenieurbaukunst zeigen sollen.“ Als Fassaden war außer Werk- und Backstein auch Metall im Gespräch. Die Technik dahinter war mit ihrer Stahlskelett-Konstruktion sowie Aufzugs- und Heizungsanlagen hochmodern.
Der Architektur ging es darum, zu beeindrucken, einzuschüchtern, die Größe des Regimes und die Winzigkeit des Einzelnen zu demonstrieren. Geld und Zeit spielten keine Rolle – die Gesamtkosten wurden auf 1,3 Milliarden Reichsmark veranschlagt, 1963 sollte alles fertig sein. Gutschow selbst schrieb: „Diese Bauten sind in würdiger, sich vom Verwaltungsgebäude und Volkshalle zum Gauhaus steigernder Architektur in unverrückbaren gegenseitigen Zusammenhang gebracht, sodass Platzraum und Bauten eine unzertrennliche Einheit bilden. Die Abmessungen der Räume sind gewaltig.“ Der Platz, nach drei Seiten offen, sollte Anklänge an den Markusplatz in Venedig zeigen. Auch die Ideen klingen gewaltig; Glockenturm und ein Kultbereich zur Ehrung der „Toten der Bewegung“ inklusive. Der fünfte Abschnitt sollte als langer Elbpark bis Wittenbergen führen, mit einer lockeren niedrigen Bebauung. Auch das damals nach Flottbek verlagerte Universitätsviertel fand in den Planungen seinen Platz. Dass Fischereihafen, Fischmarkt und größere Hafenflächen hätten verlagert werden müssen, wirkt wie eine Randnotiz. Auf ausländische Besucher sollte zudem die imposante Elbbrücke mit ihren 180-Meter-Pylonen Eindruck machen – Necker beschreibt „die Choreografie der langen Fahrt auf dem Wasser über die Elbe unter der ‚Elbhochbrücke‘ hindurch bis zum Endpunkt am Landungskai, mit dem Gauhochhaus als Leuchtturm immer im Blick“.
Fritz Schumacher war von den Plänen Gutschows begeistert
Nicht alle Hamburger begrüßten die Pläne, wie ein Vortrag Gutschows vor dem Hamburger Nationalklub vom 26. September 1941 zeigt: „Es gibt Hamburger, die die Neugestaltung der Hansestadt Hamburg für ein schweres Unglück halten, das Hamburg getroffen hat, für einen sträflichen Luxus, den man ebenso gut bleiben lassen, das heißt sparen kann, völlig unnütz und vertan das schöne Geld“, sagte er. Und fügte hinzu: „Wenn so die Senatoren von Venedig gedacht hätten, dann hätte Europa auch keinen Markusplatz.“
„Als Architekturhistoriker muss man Gutschow aus seiner Zeit heraus verstehen“, sagt Necker. „Die Pläne haben eine gewisse Logik. Sie verbinden das Monumentale der NS-Architektur mit einer modernen Stadtplanung.“ Selbst Fritz Schumacher, ehemaliger Oberbaudirektor, war begeistert: „Mich fesselt vor allem, wie Sie für Hochhaus und Halle einen trotz aller Eigenart einheitlich wirkenden Charakter gefunden haben“, schrieb er in einem Brief. Den Wegfall der Palmaille dafür werde „man ertragen müssen, wenn es auch wehtut.“ Er schließt mit den Worten: „So kann ich nur hoffen, dass diese schöne Arbeit ihre gebührende Anerkennung findet. Es wäre für Hamburg ein Glück.“
Zum Glück kam es anders. Zwar wurde Gutschow im Frühjahr 1939 offiziell zum „Architekten des Elbufers“ benannt, doch das Projekt geriet schnell ins Stocken. Kurz nach Kriegsbeginn wurden Mittel und Arbeitskräfte in Hitlers Angriffskrieg umgeleitet. Eifersüchteleien und Auseinandersetzungen in Hamburg, aber auch mit Hitlers Paladinen in Berlin machten bald jede Verwirklichung unmöglich. Bitten um Überarbeitungen von Speer lehnte Gutschow ab, im Streit um die Brücke und das Dach des Gauhochhauses kam es fast zum Bruch mit Hitler, der Gutschow einen „Hamburger Zwerg“ nannte.
Hinzu kamen massive Probleme: Messungen ließen daran zweifeln, ob der Elbsand derlei Großkonstruktionen überhaupt halten würde. 1941 wurden alle städtebaulichen Planungen kriegsbedingt zurückgestellt. Gutschow flüchtete sich in die Pläne für die Zeit nach dem Endsieg und ließ am Reißbrett ein neues Hamburg entstehen. Dem alten trauerte er auch nach Gomorrha nicht hinterher: „Das Bild der Trümmer rührt uns nicht in der Seele, vielmehr lässt es nur umso deutlicher und lebendiger das Bild des zukünftigen Hamburgs, des neuen Hamburgs vor unseren Augen entstehen.“
Seine Visionen, entkernt um das Monumentale, setzten schließlich einige seiner Mitstreiter in der Freien und Hansestadt um. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die Gestalter des neuen demokratischen Deutschlands – etwa mit Neu-Altona – durchaus auf alte Pläne zurückgriffen. Schon Gutschow verfolgte das Konzept der aufgelockerten Stadt, die den Verkehr der Zukunft zu managen vermag. So plante er einen Reichsautobahnring, die Elbquerung und große Magistralen. Pläne, die später Mitarbeiter aus seinem Stab kaum verändert umsetzten. Die Generalbebauungspläne von 1941, 1944 und 1947 stehen in einer Traditionslinie. „Die Elbquerung verläuft fast an der selben Stelle wie zuvor geplant – nur als Tunnel, nicht als Brücke. Die Ost-West-Straße ist gebaut worden, die Ringe 2 und 3 greifen die Überlegungen der Stadtautobahn auf“, sagt Necker.
Gutschow selbst war zum Zuschauen verdammt. „Gutschow hat nicht politisch gedacht“, sagt Necker. „Er hat seine vergleichsweise milde Strafe von vier Jahren Berufsverbot nach dem Krieg nicht verstanden.“ Er sah sich immer als Stadtplaner und Architekt und nicht als Teil eines mörderischen Systems. Nach der Strafe arbeitete er wieder als Architekt, plante fortan aber Krankenhäuser. 1978 starb Gutschow in Rissen.
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