Linke, Grüne und Opferfamilie sehen offene Fragen bei Aufklärung des Mordes durch Rechtsterroristen in Bahrenfeld. Doch ist eine Untersuchung durch das Parlament notwendig? SPD und CDU sagen: nein.

Hamburg. Es war eine Zeugenaussage, die von München bis nach Hamburg nachhallte. Vor wenigen Verhandlungstagen im Gerichtsprozess gegen den rechtsterroristischen „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) vor dem Oberlandesgericht wurde ein früherer V-Mann des bayrischen Verfassungsschutzes befragt. Dieser sagte aus, dass die Behörde ihn in die fränkische Neonazi-Szene geschickt hatte.

Dort sei er „Gauleiter“ in der Organisation eines bekannten Hamburger Neonazis gewesen. Später habe der Ex-Spitzel an Treffen der Spitze des „Thüringer Heimatschutzes“ teilgenommen. Die Neonazi-Gruppe, in der Ende der 1990er-Jahre die späteren NSU-Mitglieder aktiv waren. Die Bundesanwaltschaft wirft dem NSU zehn Morde und zwei Sprengstoffanschläge vor. Die Verbindungen zwischen dem V-Mann, Hamburger Neonazi-Kadern und dem NSU lassen sich bisher nicht vollständig klären. Immer wieder tauchen neue Fragen durch Zeugenaussagen wie diese auf.

Ein Bündnis aus Politikern, Migrantenvertretern und Anwälten fordert für die Zeit nach der Bürgerschaftswahl einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) auch für Hamburg. Ein Ausschuss, wie er nun auch die Versäumnisse der Behörden im Fall des getöteten Mädchens Yagmur aufarbeitet, streben Linksfraktion, die Türkische Gemeinde in Hamburg, die Anwälte der Hamburger Opferfamilie sowie Abgeordnete der Grünen an.

Aufklärung in Hamburg ist notwendig

„Gerade in Hamburg ist noch viel aufzuklären“, sagt Innenexpertin der Linken, Christiane Schneider, in ihrer Rede am Mittwoch in der Bürgerschaft. Hamburg sei über Jahrzehnte ein Zentrum der militanten Neonazi-Szene gewesen. Schneider sieht „direkte Verbindungen“ zum engen Kreis des NSU. Auch der Berliner Politikwissenschaftler Hajo Funke vertritt die Auffassung, dass für die Radikalisierung der Neonazi-Szene in Ostdeutschland auch Neonazi-Größen aus Hamburg maßgebend waren. Beweise für eine Unterstützung des NSU durch Rechtsextremisten im Norden gibt es bisher allerdings nicht. In den Akten des NSU-Prozesses in München finden sich zudem keine Hinweise darauf.

Auch die Grünen-Innenexpertin Antje Möller spricht sich für einen PUA in Hamburg aus. „Die Aufklärung des strukturellen Versagens von Verfassungsschutz und Landeskriminalamt ist unzureichend“, sagte sie dem Abendblatt. Möller kritisiert den Senat: „Die Aufarbeitung der polizeilichen Ermittlungen nach dem Mord an Süleyman Tasköprü im Juni 2001 ist lückenhaft.“ Im Sommer hatte der Senat eine fast 100 Seiten lange Drucksache vorgelegt.

Darin geht der Senat auf wenigen Seiten auf die Ermittlungen der Beamten in den Jahren nach 2001 ein und erklärt sich zu den Vorwürfen an Hamburger Behörden durch die Ergebnisse anderer Untersuchungsausschüsse. Teilweise äußert der Bericht des Senats Kritik an der Arbeit der Hamburger Sicherheitsbehörden bei den Ermittlungen zu der Mordserie. An anderen Stellen erklärt und rechtfertigt der Senat die Rolle der Hamburger Polizei. Grünen-Politikerin Möller ein, dass „wir keine Klarheit darüber gewinnen, warum welche Ermittlungsansätze mit welcher Intensität verfolgt und andere verworfen wurden“.

Zeugen müssen wie vor Gericht aussagen

Der Untersuchungsausschuss ist das schärfste Kontrollgremium im Parlament, Zeugen müssen wie vor Gericht aussagen, Abgeordnete können die Akten der Behörden einsehen. Bereits im Bundestag, aber auch in Bayern, Sachsen und Thüringen arbeiteten die Parlamentarier die Fehler von Verfassungsschutz, Polizei und Justiz bei der Verfolgung der nur durch einen Zufall Ende 2011 bekanntgewordenen Mordserie auf. In Nordrhein-Westfalen sprachen sich alle Fraktionen für einen Untersuchungsausschuss aus. In Hessen initiierte die SPD ein entsprechendes Gremium. Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg sind die einzigen Bundesländer, in denen der NSU mordete, die keinen PUA beschlossen haben.

Ein Grund dafür: Nach bisherigen Kenntnissen war Hamburg weder Schwerpunkt der Neonazi-Szene, aus der sich der NSU entwickelte, sowie Mittelpunkt der Fehler und Verstrickungen der Sicherheitsbehörden. Zwar suchten die Beamten nach dem Mord in Bahrenfeld die Täter fast ausschließlich im Milieu der organisierten Kriminalität – selbst dann noch, als ein Kriminalist in Bayern einen rechtsextremen Hintergrund vermutete. Das Schreddern von Akten, die Bezahlung von V-Leuten im Umfeld des NSU oder die Vertuschung von Informationen, wie aus anderen Sicherheitsbehörden bekannt, konnten für Hamburg bisher jedoch nicht festgestellt werden.

Vor allem Politiker von SPD und CDU führen zudem an, dass sich der Innenausschuss der Bürgerschaft in sieben Sitzungen mit der Aufarbeitung des NSU-Mordes in Hamburg befasst habe. Kein Thema sei in den vergangenen Jahren ähnlich ausführlich in dem Gremium debattiert worden. „Sollte es neue Erkenntnisse geben, wird sich die Bürgerschaft – wie schon in der Vergangenheit – mit der Thematik weiter befassen“, sagt SPD-Abgeordneter Kazim Abaci dem Abendblatt. Auch SPD-Politiker Ali Simsek begrüßet die „umfangreiche“ Aufarbeitung des Senats. Diese beinhalte viele Einzelmaßnahmen für die Verbesserung des Informationsflusses innerhalb der Sicherheitsbehörden.

Austausch zwischen den Ämtern soll verbessert werden

Die Drucksache des Senats geht auf vielen Seiten auf die beschlossenen und geplanten Konsequenzen ein: Austausch der Information zwischen den Ämtern soll verbessert werden, die Führung von V-Leuten schärferen Regeln unterliegen, mehr Menschen mit ausländischen Wurzeln sollen bei Polizei und Geheimdienst arbeiten. Auch Integrationsstaatsministerin und SPD-Politikerin Aydan Özoguz lobt die bisherige Arbeit in Hamburg. Die Bürgerschaft habe die Aufarbeitung „gut vorangebracht“. Dennoch seien nicht alle Fragen „restlos geklärt und deshalb ist es wichtig, dass die Arbeit weiter geht und alles auf den Tisch kommt“. Insbesondere müssten neue Erkenntnisse „mit der gleichen Intensität und Sorgfalt untersucht werden, mit der seit 2011 allen Hinweisen nachgegangen wird“, sagte Özoguz dem Abendblatt. Ob die Bürgerschaft einen Untersuchungsausschuss für notwenig hält, müssten die Abgeordneten entscheiden.

Der Türkischen Gemeinde in Hamburg (TGH) reicht das nicht. „Es wurden Fehler gemacht, aber die Konsequenzen gehen nicht weit genug“, sagt die Vorsitzende Nebahat Güclü dem Abendblatt. Sie fordert wie auch die Anwältin der Familie des Hamburger Opfers, Gül Pinar, einen PUA für Hamburg. „Es treibt die Menschen um, dass noch nicht alle Fragen ausreichend geklärt sind. Ein Untersuchungsausschuss kann verlorenes Vertrauen wieder herstellen.“ Noch immer sei das Misstrauen gegenüber Polizei und Verfassungsschutz bei den Migranten in Hamburg groß. Dazu hätte vor allem beigetragen, dass eine Mordserie mit zehn Opfern über Jahre nicht aufgeklärt wurde.

V-Mann hatte bereits 2006 Propagandamaterial

Und bis heute werden durch Recherchen von Journalisten weitere Details bekannt. Auch in Hamburg: So war ein V-Mann des Verfassungsschutzes schon seit 2006, Jahre vor Bekanntwerden des NSU, im Besitz einer DVD, auf dem Propagandamaterial des NSU gespeichert ist. Erst im Anfang 2014 hat das Landesamt nach eigenen Angaben davon erfahren. Der Hamburger Informant hatte die Datei nach eigenen Angaben von einem Spitzel des Bundesamtes erhalten. Dieser Neonazi soll in Kontakt zum NSU gestanden haben. Im Frühjahr verstarb er überraschend an einer unerkannten Diabeteserkrankung.

Auch dieser Fall, sagen Linke und Grüne, sei ein weiterer Grund, um durch einen Ausschuss in der Bürgerschaft offene Fragen aufzuklären. Doch damit es überhaupt zu einem PUA zum NSU in Hamburg kommt, müssen mindestens ein Viertel der Abgeordneten nach der Wahl im Februar dafür stimmen. Von dieser Mehrheit sind Linkspartei und Grüne derzeit weit entfernt. Weder CDU noch SPD haben sich für einen Ausschuss ausgesprochen. CDU-Innenexperte Kai Voet van Vormizeele sieht kein „strukturelles Versagen der Sicherheitsbehörden“ – weder hier, noch in anderen Bundesländern, wie er in einer Rede in der Bürgerschaft am Mittwoch erklärte. „Individuell Fehleinschätzung hat zweifelsohne gegeben, zu denen sich der amtierende Senat auch im Namen seiner Vorgängersenate bekannt hat.“ Der Erkenntnisgewinn aus einem PUA sei nicht zu erwarten.