Es war Arkadiusz L., 46, der diesen „Enkeltrick“-Betrug vor 15 Jahren erfunden hat. Auftakt im Prozess gegen eine Bande aus Polen, die viele ältere Hamburger um ihre Ersparnisse gebracht hat.
Neustadt. Die Bande um Arkadiusz L., genannt „Hoss“, hat fast 100 alte Menschen um ihr Geld gebracht, mitunter um ihr gesamtes Erspartes. Die Masche des Clans war so perfide wie effektiv: Am Telefon täuschten die Betrüger ihren arglosen Opfern vor, sie seien Verwandte, befänden sich in einer finanziellen Notlage und benötigten daher sehr schnell sehr viel Geld.
Es war Arkadiusz L., 46, der diesen als „Enkeltrick“ bekannt gewordenen Betrug vor 15 Jahren erfunden, perfektioniert und ein internationales Netzwerk mit mafiaähnlichen Strukturen geschaffen hat. Die Geschäfte liefen gut – bis Ende Mai 2014 der deutschen und polnischen Polizei ein spektakulärer Schlag gelang. 14 Bandenmitglieder wurden in beiden Ländern festgenommen, darunter Clanchef Arkadiusz L. Allein fünf Enkeltrickbetrüger wurden in Hamburg gefasst. Seit Montag stehen diese fünf wegen Betrugs vor dem Landgericht. Weitere Prozesse laufen parallel in Hannover, Essen und Berlin.
Eine Justizbeamtin führt Zofia K. am Montag in Handschellen in den Gerichtssaal. Auf dem Papier ist sie erst 63 Jahre alt, doch sieht die mutmaßliche Betrügerin viel älter aus – ironischerweise eher wie ein typisches Opfer der Bande. Die gebrechliche Frau sei, so ihr Verteidiger, nicht verhandlungsfähig. Sie habe schizophrene Schübe und eine akute Herzkrankheit. Der vorsorglich hinzugezogene Notarzt widerspricht, und der Vorsitzende Richter entscheidet: Es wird verhandelt.
Die Betrüger durchforsteten Telefonbücher
Elf Fälle des hinterlistigen Enkeltrickbetrugs legt die Staatsanwaltschaft den fünf Angeklagten, von denen wenigstens drei zur selben Großfamilie gehören, zur Last. In wechselnder Beteiligung, teils unter Mithilfe von Bandenchef „Hoss“, konnten sie zwar nur vier Rentnern Geld abknöpfen, dafür aber Summen zwischen 7000 und 42.000 Euro. Siebenmal scheiterten die Täter, weil ihre Opfer oder Bankmitarbeiter Verdacht geschöpft hatten.
Die Enkeltrickbetrüger hatten es ausschließlich auf alte Leute abgesehen und gingen stets nach dem gleichen Strickmuster vor: Zunächst durchforsteten sie Telefonbücher gezielt nach altmodisch klingenden Vornamen wie Irmgard, Ilse oder Gottfried, dann rief von Polen aus der sogenannte „Keiler“ die Opfer an und tischte ihnen eine Lügengeschichte auf. In den angeklagten Fällen war es Marcin, genannt „Lolli“, der Sohn von Bandenchef Arkadiusz L.
Hatten die alten Menschen angebissen, wurde der „Logistiker“ als vermittelnde Instanz dazugeschaltet. In Hamburg soll der Angeklagte Johnny K., 32, diesen Job übernommen haben. Der „Logistiker“ lotste die „Abholer“ zu den Übergabeorten. Sie waren das letzte Glied in der Nahrungskette. Die kleinen Fische mit dem höchsten Entdeckungsrisiko – so wie Martin K., 39.
Der falsche Bruder brauchte 12.000 Euro
Die 81 Jahre alte Thea B. aus Alsterdorf stand im August 2012 als Erste auf der Liste der Betrüger. „Lolli“, der „Keiler“, gab sich am Telefon als Bruder der Rentnerin aus: Er benötige 12.000 Euro, um einen finanziellen Engpass zu überbrücken. Die alte Dame wollte die Summe schon abheben, als eine Bankerin misstrauisch wurde und beim „echten Bruder“ der Frau anrief – so flog die Scharade auf. Ein 92-jähriger Mann hatte weniger Fortune: Mit der Mär vom Neffen, der Geld benötige für einen Grundstückskauf, brachten die Betrüger den Mann um 25.000 Euro.
In zwei Fällen fungierte Bandenchef Arkadiusz L. selbst als „Keiler“. So gab er sich gegenüber Waltraud F., 79, als Neffe Peter aus. Die Rentnerin kaufte ihm die Geschichte ab, übergab der „Abholerin“, der angeklagten Zofia L., das Geld. Dabei wurde die 63-Jährige von Polizisten beobachtet und festgenommen.
In den meisten Fällen waren es sogar die Betrüger, die den Zielpersonen auf den Leim gingen. Nur zum Schein stiegen sie auf ihre Legenden ein, spielten die gutgläubigen Opfer. So wie Erika B., 85, aus Alsterdorf. Wie mit dem „Keiler“ besprochen, ging sie zur Bank, um Goldbarren im Wert von 65.000 Euro abzuholen. Alles nur Show: Tatsächlich wurden unter Beobachtung der Polizei Metallplatten in die Tasche gelegt. Die Falle schnappte zu, als Abholer Martin K. zum Übergabeort kam. Danach wurde die Bande vorsichtiger: Um herauszufinden, ob die Polizisten eingeschaltet waren und gerade mithörten, gaben sie sich am Telefon als Polizisten aus – mit der Bitte, den Hörer mal eben an den Kollegen weiterzureichen. Kamen die Opfer dem nach, bliesen die Betrüger den Coup ab.
Die Hälfte der Beute ging nach Polen
Etwa die Hälfte der Beute soll nach Polen transferiert worden sein. Mit dem Geld führte Clanchef „Hoss“ ein ausschweifendes Leben. Partys schmiss er in Schlössern, in der Tiefgarage seiner Warschauer Immobilie stand sein roter Ferrari. Für den Rest der Großfamilie blieb genug übrig: Bandenmitglieder führten mit dem ergaunerten Reichtum ein Leben in Protz und Prunk. Bei der Razzia im Mai stellte die Polizei in den Wohnungen der Verdächtigen Luxusuhren von Rolex und Cartier sicher, Meißner Porzellan im Wert von 20.000 Euro, Pelzmäntel, Taschen von Versace und Silberbesteck. Die Ermittler machen die Bande für rund 100 Fälle mit einer Schadenssumme von 1,5 Millionen Euro verantwortlich, 30 Taten spielten in Hamburg. „Hoss“, der nicht mehr in U-Haft sein soll, wird sich vom Frühjahr an in Polen vor Gericht verantworten müssen.
In Hamburg wird im Dezember ein Urteil erwartet. Gericht und Verteidiger berieten am Montag aber über eine Verständigung, die den Prozess verkürzen und eine mildere Strafe im Gegenzug für ein Geständnis bewirken könnte.