Der selbsternannte „Schmierfink“ wurde von einer S-Bahn erfasst. Er hinterlässt mindestens 120.000 Graffiti in der Stadt. Sein letztes Oz-Zeichen fand die Polizei neben seinem leblosen Körper.

Hammerbrook. In der Szene der Linken und der Künstler galt er als Anti-Held, weil er unangepasst und widerborstig war. Am Donnerstagabend endete das Leben von Walter Josef Fischer, besser bekannt als Sprayer Oz. Der 64-Jährige wurde in Hammerbrook von einer S-Bahn angefahren. Man könnte es, wollte man besonders zynisch sein, einen Arbeitsunfall nennen. Fischer starb entlang der S-Bahn-Schienen zwischen dem Hauptbahnhof und dem Berliner Tor. Neben dem leblosen Körper entdeckte die Bundespolizei ein sogenanntes Tag, ein kleines Graffito, auf der Abdeckung der Stromschiene: ein schwarzes o, an das sich ein Z anschloss, versehen mit einem gefetteten Punkt.

Er muss sein hunderttausendfach in der Stadt verbreitetes Markenzeichen noch kurz vor dem Unglück auf das schmutzig graue Blech gesprüht haben. Eine Dose mit schwarzer Farbe und ein Rucksack lagen neben den blanken Schienenkörpern. Die Welt des Walter Fischer alias Oz war geprägt von dem unbeirrbaren Willen, die Stadt mit seinem Lebenszeichen zu füllen. Er starb, wie er lebte.

Es ist ein unerwarteter, vor allem aber ein leichtsinnig herbeigeführter Tod. Warum Oz die herannahende S-Bahn der Linie S1 nicht bemerkte, ist nicht bekannt. Der Zug erfasste den Mann um 22.24 Uhr am Donnerstagabend. Der Lokführer der in Richtung Flughafen fahrenden Bahn habe den Unfall gar nicht bemerkt, sagte ein Sprecher der Bundespolizei. Erst der Fahrer eines nachfolgenden Zuges entdeckte die Leiche im Schotterbett.

Die Strecke wurde eine Dreiviertelstunde nach dem Unfall gesperrt, kurz nachdem die Leitstelle der Deutschen Bahn informiert worden war. Oz hatte schwere Kopfverletzungen. Identifiziert wurde er über die Personalpapiere in seiner Brieftasche. Das Landeskriminalamt ermittelt. Ein Freitod wird ausgeschlossen.

Wer war Walter Josef Fischer, genannt „Oz“?

Seit 1977 war der Sprayer in den Straßen der Hansestadt unterwegs. In dem Bildband „Es lebe der Sprühling“ sind seine Werke gesammelt. Doch wer war Walter Josef Fischer, den einige als Künstler verehrten? Er selbst war dieser Zuordnung nicht abgeneigt, andere – darunter die Staatsanwaltschaft – zogen ihn wegen unablässiger Sachbeschädigung zur Rechenschaft. Fischer, 1950 in Heidelberg geboren, war Gärtnerlehrling, der seine Ausbildung abbrach, Anfang der 70er-Jahre nach Asien trampte, im alternativen „Freistaat Christiania“ in Kopenhagen leben wollte und in Hamburg hängen blieb.

Zu Fuß, oft auch mit dem Fahrrad, soll Oz Nacht für Nacht durch die Straßen gezogen sein. Mehr als 120.000 typische „Oz“-Symbole, darunter auch Smileys, Kringel und natürlich der bekannte Namenszug, sollen in den vergangenen Jahren auf Hauswände, Ampelmasten oder Stromkästen der Hansestadt gesprüht oder mit einem Filzstift gemalt worden sein.

Ob angesichts der überwältigenden Fallzahl (die schon vor 15 Jahren kolportiert wurde) immer auch Walter Fischer dahintersteckte, der nicht nur als „Oz“, sondern auch als „Johnny Walker“ in der Szene bekannt war, ist fraglich. Die Ermittler, die seinem Graffiti-Wüten über fast drei Jahrzehnte folgten, glaubten nicht, dass jedes „oZ“ auch ein echter Oz war. Die Polizei-Sonderkommission „Graffiti“ ermittelte gegen ihn, 2006 observierte ihn sogar das MEK.

1986 wurde der notorische Sprayer erstmals verurteilt

Mit dem Sprayen aufzuhören hieße seine „Seele verkaufen“, sagte er vor Gericht. „Ein Schmierfink“ sei er, behauptete er sarkastisch, mit Blick auf die Empörung, die auf seine „Verschönerungen“ folgte. 1986 wurde der notorische Sprayer erstmals wegen Sachbeschädigung verurteilt. Anfang 2012 das letzte Mal – zu einer Geldstrafe. Dazwischen lagen zahlreiche Gerichtsverhandlungen und Urteile, nicht nur wegen Sprayens, sondern auch, weil er Spiegel zerkratze und Fahrstühle beschädigte. Insgesamt acht Jahre lang saß er im Gefängnis. Für ihn kein Grund aufzuhören. Er wolle die Menschen zum Lächeln bringen, sagte Fischer im Interview mit der „taz“, drei Jahre vor seinem Tod. „Wenn an der Ecke ein Smiley ist, freut sich sogar die Polizei oder ärgert sich, da ist schon wieder so einer.“ Er sei ein „Kämpfer gegen die Normen der deutschen Sauberkeit und die Kommerzgier“. Je mehr Graffiti, desto schlechter komme die Werbung zur Geltung. Er war kein typischer Sprayer: Wegen seines Alters und der speziellen Motivation hatte er praktisch keinen Kontakt zur jungen Graffiti-Szene. Seine Sympathisanten stammten aus linken Kreisen.

Einige Gutachter bescheinigten Fischer verminderte Schuldfähigkeit. Vor Gericht spielte das nie eine Rolle. Seine Taten beförderten die Debatte, ob Graffiti als Kunst oder Sachbeschädigung zu werten seien. In den letzten fünf Jahren experimentierte er viel, öffnete sich der Leinwand. Mehrere Ausstellungen krönten die Karriere, die meisten in der OZM Art Space Gallery im Schanzenviertel. Was bleibt, sind die abertausenden Zeugnisse seines Schaffens. Ob es gefällt oder auch nicht.