Der bewaffnete Konflikt in der Ostukraine und die Sanktionen gegen Russland treffen den Hafen immer stärker. Und sogar die Apfelbauern im Alten Land klagen über wegbrechende Märkte.

Hamburg. Es ist erst wenige Monate her, da segelte Hamburgs Wirtschaft noch auf einer Welle des Erfolgs. Aufgrund der Erholung in den USA und in Europa erwartete das Hamburgische WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) im April für die Hansestadt ein Wachstum von 2,2 Prozent in diesem Jahr; die Prognose lag um immerhin 0,5 Prozentpunkte über der damaligen Schätzung für das gesamte Bundesgebiet. Damit hätte sich die Tendenz des Vorjahres, als sich Hamburg überdurchschnittlich gut entwickelte, fortgesetzt. Doch die HWWI-Wissenschaftler ließen sich ein Hintertürchen offen: Sollte der Konflikt in der Ukraine eskalieren, würde Hamburgs Wirtschaft gehemmt.

Genau so ist es nun gekommen – und die Hafenstadt wird aufgrund der hohen Bedeutung des Außenhandels sogar besonders stark getroffen. „Wir gehen jetzt davon aus, dass Hamburg ein etwas geringeres Wachstum erzielt als Deutschland insgesamt“, sagt Henning Vöpel, Mitglied der Geschäftsführung des HWWI. Das bundesweite Wirtschaftswachstum wird nun auf 1,6 Prozent veranschlagt, nachdem man die Schätzung im Juni noch auf 2,2 Prozent heraufgesetzt hatte. „Die Konjunktur in Deutschland wird in diesem Jahr vor allem von der Binnennachfrage getragen, die für Hamburg, relativ gesehen, eine geringere Bedeutung hat“, erklärt Vöpel.

So ist Russland für den Hamburger Hafen der zweitgrößte Handelspartner. Bereits im ersten Halbjahr verzeichnete der Hafen im Russland-Geschäft ein Minus von 3,8 Prozent auf rund 0,3 Millionen Standardcontainer (TEU) – dabei hat die Europäische Union ihre Sanktionen, auf die Russland mit einem Einfuhrstopp für Lebensmittel und Agrarprodukte antwortete, erst Ende Juli beschlossen.

Im Export nach Russland habe man im Jahr 2013 etwa 400.000 TEU umgeschlagen, sagt Bengt van Beuningen, Sprecher von Hafen Hamburg Marketing. Davon hätten die nun vom Embargo erfassten Güter einen Anteil von ungefähr zehn Prozent ausgemacht. „Ein Großteil davon kam aber aus Drittländern, die nicht unter das Einfuhrverbot fallen, etwa aus Südamerika“, so van Beuningen. Allgemein gelte jedoch: „Jede Sanktion, die mit dem Verbot des Exports oder Imports bestimmter Waren oder der Einschränkung des Wirtschaftsverkehrs insgesamt verbunden ist, wird sich auch auf den Hamburger Hafen und den Seegüterumschlag im Russlandverkehr auswirken.“

Dass der Umschlag im Hafen in den ersten sechs Monaten 2014 insgesamt zunahm, war nicht zuletzt seinem mit Abstand wichtigsten Handelspartner zu verdanken: Das Volumen im Containerumschlag mit China zog um 12,9 Prozent auf 1,4 Millionen TEU an.

Außenhändler im Norden sind besorgt

Bei den norddeutschen Außenhändlern gibt es angesichts der Eskalation des Ukraine-Konflikts allerdings erhebliche Besorgnisse. Fast jeder vierte Betrieb leidet unter der Ukraine-Krise, bei fast jedem zehnten droht sogar Arbeitsplatzabbau, wie aus einer aktuellen Umfrage des AGA Unternehmensverbands hervorgeht. Demnach sind rund 24 Prozent der 3500 Mitgliedsunternehmen von den Sanktionen gegen Russland betroffen. Bei rund 15 Prozent der betroffenen Firmen ist das Russland-Geschäft komplett zum Erliegen gekommen.

Während der Handel mit Russland bezogen auf die gesamte deutsche Wirtschaft nur gut drei Prozent der Exporte und 4,5 Prozent der Importe ausmacht, fallen die Auswirkungen der Krise auf etliche norddeutsche Außenhandelsbetriebe deutlich überproportional aus. So berichten elf Prozent der Firmen, dass sie einen Umsatzverlust zwischen 21 und 30 Prozent zu beklagen haben, bei rund neun Prozent bricht der Umsatz sogar um mehr als 30 Prozent ein.

Dies hat zur Folge, dass rund neun Prozent der Betriebe befürchten, wegen des schlechteren Geschäfts mit Russland Mitarbeiter entlassen zu müssen. Im Durchschnitt könnte dies bis zu 7,5 Prozent der Angestellten treffen, heißt es vom AGA. Ein Unternehmen gab an, jede fünfte Stelle streichen zu müssen.

Eine weitere Erkenntnis aus der AGA-Umfrage sei, dass schlechte Nachrichten auch schlechte Geschäfte nach sich ziehen, sagt AGA-Präsident Hans Fabian Kruse. Das Stimmungsbild zeige, dass es eine „gefühlte Rezession“ gibt. „Wenn sich negative Prognosen mehren, dann wird die wirtschaftliche Lage auch schlecht.“ Auf die Frage, ob man wegen der pessimistischen Prognosen nun vorsichtiger agiere, antworteten 57 Prozent der Unternehmen mit Ja. Wenn die Firmen aber zurückhaltender würden, blieben wichtige wirtschaftliche Impulse aus, befürchtet Kruse.

Apfelbauern aus dem Alten Land sind direkt betroffen

Michael Westhagemann, der Vorstandsvorsitzender des Industrieverbands Hamburg (IVH), weist auf die Rückwirkungen der Handelsbeschränkungen hin. „Wir sehen die Krise in der Ost-Ukraine mit Sorge und akzeptieren, dass die Politik handeln muss, allerdings sind Wirtschaftssanktionen eine zweischneidige Sache“, sagt der IVH-Chef. „Sanktionen treffen immer auch die eigene Wirtschaft, allen voran die Industrie.“ Für Hamburger Firmen seien Geschäfte auch mit langjährigen Partnern in der Region derzeit schwierig, viele Projekte seien eingefroren. „Zudem erleben wir gerade bei den Russland-Beziehungen eine Sanktionsspirale“, so Westhagemann. „Die Lösung des Ukraine-Konflikts kann aber nur politisch sein.“

Bereits jetzt direkt betroffen sind die Apfelbauern am Elbufer: Die Obstbauversuchsanstalt (OVA) in Jork rechnet damit, dass die Bauern im Alten Land knapp 10.000 Tonnen Äpfel aus der diesjährigen Ernte auf dem russischen Markt nicht absetzen können. Das mache etwa 2,5 bis drei Prozent der gesamten Erntemenge von 330.000 Tonnen aus, hieß es von der OVA. Zudem befürchten die Bauern, dass Äpfel, die aus Polen, Italien und den Benelux-Staaten bislang nach Russland geliefert wurden, nun vermehrt auf dem deutschen Markt angeboten werden.

Im Hinblick auf die voraussichtliche Lage der Wirtschaft in den nächsten Monaten und im Jahr 2015 liefern die Konjunkturdaten und die Einschätzungen von Experten derzeit ein unklares Bild. So ist der ZEW-Konjunkturerwartungsindex des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung zuletzt auf den niedrigsten Stand seit Dezember 2012 gefallen. Dagegen erwartet HWWI-Vizechef Vöpel, dass das Wirtschaftswachstum im nächsten Jahr in Deutschland auf 2,0 Prozent zulegt. Trotz der aktuellen Probleme werde sich der Arbeitsmarkt in Hamburg in diesem Jahr noch leicht positiv entwickeln.