Unangefochten wie nie zuvor bittet Olaf Scholz zum Sommergespräch ausgerechnet in die Elbphilharmonie. Ein Ort, der jahrelang Unfähigkeit und Versagen der Hamburger Politik symbolisiert hat.

Die Elbphilharmonie also, das ist gleich mal ein Statement. Kaltglänzender Protzbau direkt auf dem alte KaispeicherA, in dem sich Hamburgs Symbole und Klischees gleich alle auf einmal spiegeln. Der Hafen, die Großmannssucht, der Michel, die alte Kaufmannsseele, die Kreuzfahrtschiffe und die Brachen der Veddel, die Skyline der Stadt und die Wut ihrer Steuerzahler gleich dazu, die HafenCity, das Wunder von Bern, der Mut und die Unfähigkeit der Politik.

Es ist natürlich alles andere als Zufall, dass Olaf Scholz sich diesen Ort ausgesucht hat für das Sommergespräch mit der „Welt am Sonntag“. Nicht seinen eigentlichen, immer wieder genannten Lieblingsort, den Altonaer Balkon. Ein Platz, der ja auch eher für die alten Zeiten dieses Politikers gestanden hätte. Für Juso-Polemik, Bezirkskabale, für einen Brechstangen-Einsatz als Last-Minute-Innensenator und einen Brechmittel-Einsatz, an den man sich auch noch erinnert. An einen Parteivorsitzenden, der Führung versprach und erst mal Opposition lieferte, einen dynamisch beginnenden SPD-Generalsekretär, der sich als stocksteifer Scholzomat entpuppte, einen Minister, den nicht wenige im vergangenen Jahrzehnt für einen ziemlich piefigen Bürokraten hielten, für einen Funktionär alter Genossenschule, für ein Auslaufmodell. Was für ein Irrtum!

Wer Olaf Scholz in diesen Wochen trifft, im Rathaus, bei einer Jubiläumsfeier oder auf der Elbphilharmonie, der erlebt ausnahmslos einen Ersten Bürgermeister, der auf Anhieb viel aufgeräumter, aufgeschlossener, fröhlicher, unbefangener auftritt als in seinen frühen Jahren. Einer Zeit, in der dieser kleine, kluge, häufig verschmitzte, aber immer auch etwas schüchtern wirkende Jurist nur aus sich herauskam, wenn auch wirklich, wirklich, wirklich gerade niemand in der Nähe war, der ihm möglicherweise am Zeug flicken wollte.

Heute ist er noch gar nicht richtig drin in der Elbphilharmonie, da weiß man schon, wie sehr ihn die Modenschau der Hamburger Bahn-Azubis gerade gerührt hat, zu deren Begrüßungsfeier ihn Bahnchef Grube ins Cinemaxx am Dammtor eingeladen hat. Er erzählt, freundlich, verbindlich, ohne dabei leutselig zu wirken, vom Rudern, seiner erst entdeckten Leidenschaft, auf Hamburgs Gewässern. Er beschreibt die alten Strukturen der Stadt, die er sich auf diesem Wege neu erschließe. Er zeigt sogar seine groben Sicherheitsschuhe vor, die er sich eigens für die Inspektion der Hamburger Baustellen zugelegt hat; er wird sie schon noch brauchen können in den kommenden Jahren. Kein Zweifel: Olaf Scholz ist schon hier am Fuße der Elbphilharmonie in einer ziemlich unaufdringlichen Art obenauf.

Kein skeptisches Belauern mehr, kein verdruckstes Schweigen, nicht mal im Fahrstuhl, wo sonst immer alle an die Decke gucken. Olaf Scholz nach einem gnadenlos erfolgreichen Wahlkampf und dreieinhalb Amtsjahren ohne nennenswerten Fehl und Tadel ganz bei sich und dabei ausgesprochen geschickt, auch ein bisschen berechnend. Leichtfertigkeit, Zufall, Laissez-faire, gibt es aller Gelassenheit zum Trotz bei diesem Bürgermeister nicht. Nicht einmal bei einem Sommergespräch.

Die Elbphilharmonie also, Mahnmal politischen Versagens. Alles bohrt und hämmert und sägt hier inzwischen. Das Dach ist dicht, ganz pünktlich zum vereinbarten Termin. Auch die sagenhafte „Weiße Haut“ des Akustik-Großmeisters Toyota ist schon zur Hälfte montiert. Stolz präsentiert ein Mitarbeiter der Kulturbehörde dem Bürgermeister die soeben eingebaute Aufhängung des riesenhaften Deckenreflektors. Alles geht voran, Ende 2016 soll jetzt wirklich, wirklich alles fertig sein und Hamburg seinen Bürgern auf der Plaza des Konzertsaals zu Füßen liegen. Man muss Scholz diese Frage hier oben also einfach stellen.

Hamburger Abendblatt: Herr Scholz, wie haben Sie diesen Karren hier eigentlich aus dem Dreck gezogen?

Olaf Scholz: Ich habe mich sehr schnell entschieden, dass es nur einen Weg gibt, die Probleme zu lösen, die mit dem Bauvorhaben Elbphilharmonie zusammenhingen: sich selbst darum zu kümmern und sich in die Sache einzuarbeiten. Das hat es mir ermöglicht, hart zu verhandeln. Nach über einem Jahr kann man jetzt sagen: Der Bau macht Fortschritte, und es hat keine einzige Nachforderung gegeben. Der Vertrag funktioniert.

War ja klar. Ball lag auf dem Punkt. Elfmeter verwandelt. So geht das heutzutage in der Hamburger Politik. Seit dreieinhalb Jahren hat Olaf Scholz hier das sagen. Und schon funktioniert fast alles, sogar die Zusammenarbeit zwischen Stadt, dem Baukonzern Hochtief und den Architektendiven von Herzog und de Meuron. Wer das hinkriegt, wer sich zutraut aus diesem Symbol des Politik-Versagens ein von allen Bürgern anerkanntes „demokratisches Gebäude“ zu machen, dem muss vor Hochschulprofessoren, die über den Finanzmangel in ihrem Wissenschaftsapparat klagen, genauso wenig bange sein wie vor einer Bausenatorin mit mangelndem Fingerspitzengefühl oder der gleichzeitigen Sperrung dreier Elbtunnelröhren. Olaf Scholz, der Hamburger Übermeister. Botschaft angekommen.

Natürlich hat Scholz nicht alles ganz allein zum Besseren gewendet. Natürlich haben ihm auch die äußeren Umstände brav Spalier gestanden in seiner ersten Amtszeit. Das gilt für die Elbphilharmonie, wo die Streithammel von Hochtief und Herzog/de Meuron inzwischen ja auch spitzbekommen hatten, dass hier im Elbschlick nach all dem öffentlichen Verdruss deutlich mehr auf dem Spiel stand als der Verlust eines Großauftrags. Das gilt aber erst recht für die Sanierung der Hamburger SPD.

Die Sozialdemokraten, bundesweit weiter bei für ihre Verhältnisse desolaten 24 Prozent Zustimmung, sind in Hamburg nach dreieinhalb Jahren Scholz so unangefochten als hätte es die CDU-Episode Ole von Beust nie gegeben. Nach einem Jahrzehnt des Niedergangs, der parteiinternen Skandale und bitteren Niederlagen zieht die hiesige SPD so selbstbewusst, wirtschaftsfreundlich und angstfrei in die kommende Bürgerschaftswahl wie zu Weichmanns und Kloses und Dohnanyis und Voscheraus guten Zeiten.

Dabei profitiert Scholz mit seinen Sozialdemokraten, noch mehr als seine Vorgänger, von der Schwäche der politischen Konkurrenz in der Hansestadt. Weder CDU noch Grüne haben sich in der zu Ende gehenden Legislaturperiode deutlich vom chaotischen Ende ihrer Regierungszeit absetzen können. Beiden Parteien fehlt es an Profil, inhaltlich wie personell. Mit der FDP ist vorläufig ohnehin nicht zu rechnen. Die Linke rostet in ihrer Nische still vor sich hin. Selbst die AfD wird es dank der miesen Erfahrungen, die die Stadt mit vergleichbaren Gruppierungen wie Statt- und Schill-Partei gemacht hat, im kommenden Februar in Hamburg schwerer haben als anderenorts. Das alles hilft einem Bürgermeister, der den Wählern im Prinzip ein Einziges versprochen hat: ordentliches Regieren.

Scholz hat keinen echten Herausforderer bei Wahl im Februar

Das Kunststück dabei ist: Scholz muss diese Botschaft gar nicht mehr selbst unter das Volk bringen; er braucht dafür auch keinen Sprecher. Sein Erfolg spiegelt sich längst in der Fassade dieses neuen Hamburger Wahrzeichens, reckt sich als geschwungenes, blinkendes Dach hoch in den Himmel über dem Hafen und dokumentiert so, was in der Gesellschaft dieser Stadt, was in Wirtschaft und Verwaltung, was selbst in der Opposition jede und jeder, den man fragt, einräumt. Dieser Bürgermeister macht seine Sache ziemlich gut.

Es wird deshalb zwar weitere Spitzenkandidaten geben im heraufziehenden Wahlkampf, aber keinen echten Herausforderer bei der Wahl im kommenden Februar. Stattdessen, falls die Sozialdemokraten die absolute Mehrheit verfehlen, eine kleine Kabelei um den Katzentisch des Hamburger Senatsgeheges, um die Rolle des Koalitionspartners, des Steigbügelhalters. Es gibt aktuell keine Rivalen für Olaf Scholz, auch keine nennenswerten Neider, noch nicht mal blöde Gerüchte. In der Bürgerschaft, in seiner Partei, in den anderen Parteien im Senat. Nur Olaf Scholz aus Altona-Altstadt. Er ist ja auch eigentlich immer noch Derselbe.

Man hat die Stadt gut unter Kontrolle, hier oben unter dem Dach der Elbphilharmonie, wo später mal die ein bisschen billigeren Plätze zu haben sein werden. Hamburgs Häuser, Kirchen, Gewässer, Geschichten, Glücksfälle, Dramen liegen einem zu Füßen wie an kaum einem anderen Ort dieser Stadt; man kann leicht ins Schwärmen geraten bei diesem Blick. Olaf Scholz schwärmt nicht. Er beantwortet jede Frage stattdessen sehr nüchtern, völlig unspektakulär, überraschungslos, manchmal dafür sehr, sehr ausführlich. In redaktioneller Kurzfassung liest sich das dann etwa so:

Der Hafen?

Dem geht es gut.

Die Elbvertiefung?

Das Urteil des Leipziger Bundesverwaltungsgerichts ist von größter Bedeutung.

Die Zukunft des Fernsehturms?

Wir brauchen einen Investor.

Die Modernisierung des CCH?

Ein Beispiel für kostenstabiles Bauen.

Was meint er, wenn er sagt, Hamburg solle künftig auch in die Höhe wachsen?

Fünf bis sechs Stockwerke vielleicht statt bisher vier, aber nicht mehr.

Sieht er irgendwelche Sorgenkinder, wenn er auf seine Stadt sieht?

Nein, nur gute Stadtentwicklung.

Sein Lieblingsgebäude?

Das Rathaus.

Irgendwelche Sorgenkinder?

Nö.Der Scholzomat? Funktioniert noch bestens und jederzeit, immer mit großem Bedacht. Ein Musterbeispiel dafür, dass zeitweiliges Versagen nicht zwangsläufig beweist, dass eine bestimmte Methode grundsätzlich untauglich ist in der Politik. Scholz’ Fähigkeit, zu jeder Tages- und Nachtzeit immer wieder das Gleiche zu sagen, nicht abzuweichen von einer einmal gefundenen Entscheidung, Argumentation, Linie war in seiner Zeit als Generalsekretär der SPD Anlass für Hohn, Spott, auch für die Vermutung, mit Talent und Eignung dieses Politiker sei es nicht weit her.

Heute ist genau diese von Aktenstudium und Sachkenntnis zeugende Fähigkeit wesentliche Voraussetzung für Unangefochtenheit und weitgehende Unangreifbarkeit dieses Bürgermeisters. Verlässlichkeit schafft Berechenbarkeit, schafft Glaubwürdigkeit, schafft politischen Erfolg. Also: Keine Experimente! Nach dieser, nicht ganz taufrischen, aber erwiesenermaßen funktionstüchtigen Devise ist Olaf Scholz in seiner ersten Amtsperiode verfahren. Nichts deutet darauf hin, dass sich daran in der zweiten etwas ändern könnte. Wirklich nichts.

Hamburger Abendblatt: Wenn die SPD ihre absolute Mehrheit nicht verteidigen kann, welche Koalitionsoptionen würden Sie dann verfolgen?

Scholz: Es gilt exakt das gleiche wie vor der letzten Wahl: Ich kämpfe für ein starkes Mandat der SPD, um als Bürgermeister erfolgreich für die Stadt arbeiten zu können. Falls wir einen Partner brauchen, werden wir zuerst die Grünen fragen. Das letzte Mal haben die Hamburgerinnen und Hamburger uns daraufhin so viele Stimmen gegeben, dass wir ohne Koalitionspartner regieren konnten. Mal sehen.

Ihre Ziele für eine zweite Amtszeit?

Scholz: Wir wollen den eingeschlagenen Weg fortsetzen; die Wirtschaftskraft der Stadt stärken, die Verkehrsinfrastruktur sowohl im innerstädtischen Verkehr als auch auf den überregionalen Verkehrsachsen ausbauen, dafür sorgen, dass die Mieten in Hamburg bezahlbar sind. Wir werden weiterhin in die Bildung investieren, in Krippen, Kitas, Ganztagsschulen, in Hamburgs Hochschulen. Und vielleicht werden wir uns noch mehr um Olympia kümmern.

So. Den kurzen Schlenker zur Aktualität hat Scholz damit auch noch hingekriegt. Von der Elbphilharmonie geht es also direkt runter in Richtung des neuen Hamburger Olympiastadions, das gar nicht weit von hier auf dem Kleinen Grasbrook entstehen könnte. Ob es jemals so weit kommt, weiß heutzutage natürlich kein Mensch. Als visionärer Hintergrund einer neuerlichen Kandidatur für das Amt des Bürgermeisters aber kommt die Entscheidung des DOSB, nicht ausschließlich Berlin als Austragungsort Olympischer Spiele in Erwägung zu ziehen, Olaf Scholz wie gerufen.

Neue Sportstätten, neue Stadtteile, noch mehr Internationalität, weltweite Anerkennung, nachhaltige Stadtentwicklung, der sportliche Wettkampf mit der Hauptstadt, eine Grundsatzdebatte, bei der die strukturellen Miesepeter von den umsichtigen Visionären auf Anhieb deutlich zu unterscheiden sein werden. Das alles liegt für die kommenden Monate zur freundlichen Verwendung des Wahlkämpfers parat.

Wer will schon zum x-ten Mal das Für und Wider einer Stadtbahn oder die Folgen des Rückbaus einer Busbucht erörtern, wenn man stattdessen über Olympia debattieren kann. Über Chancen, Risiken, Zukunft, die ganz großen Linien – noch besser geeignet von den Garstigkeiten des Autofahrer-Lebens abzulenken als der zu ähnlichen Zwecken lancierte Plan, eine fünfte U-Bahnstrecke zu bauen. Die Vorteile einer Bewerbung, das hat Scholz bald erkannt, überwiegen die möglichen Nachteile für Stadt und Amtsinhaber deutlich.

Haben Sie keine Bange, dass der Deutsche Olympische Sportbund sich gegen Hamburg und für Berlin als potenzielle Olympiastadt entscheidet, und Sie dann als Verlierer in die Bürgerschaftswahl ziehen müssen?

Scholz: Bei Entscheidungen sollte man nicht ängstlich sein. Und es wäre falsch, etwas nicht zu wagen, nur weil es eventuell nicht gelingen könnte.

Anfangs haben Sie dennoch gezögert, ob Hamburg sich um die Spiele bewerben sollte.

Scholz: Nicht Hamburg entscheidet, ob sich Deutschland bewirbt, sondern der deutsche Sport. Und: Auch wenn man wie ich begeistert ist, muss man die Sache mit klarem Kopf und großer Sorgfalt angehen.

Können Sie sich vorstellen, noch im Amt zu sein, wenn Olympische Spiele in Hamburg eröffnet werden?

Scholz: Das gesetzliche Rentenalter hätte ich dann noch nicht erreicht. Es wäre also drin. Und es wäre eine große Sache im Leben eines Bürgermeisters. Aber bis dahin fließt noch viel Wasser die Elbe runter.

Wie lange kann man ein Amt wie das des Ersten Bürgermeisters denn überhaupt ausüben?

Scholz: Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Ich hoffe, dass ich zu denjenigen zähle, die rechtzeitig merken, wann es Zeit ist, aufzuhören.