Die klare Spirituose ist das nächste große Ding nach Wodka. Queen Mum verdankte dem Gin ihr langes Leben, und auch aus Hamburg kommt ein edles Destillat.

Da sage noch einer, Alkohol schade der Gesundheit. Queen Mum ist schließlich der beste Gegenbeweis. Die Mutter der heutigen englischen Königin Elizabeth II. ließ sich jeden Tag von einem ihrer gut aussehenden Diener mindestens einen Gin Tonic servieren, der den Namen auch verdiente. Natürlich am liebsten mehr Alkohol ihrer Hausmarke Beefeater als chininhaltige Limonade mit dem leicht bitteren Geschmack. Queen Elizabeth The Queen Mother starb im März 2002 im Alter von 101 Jahren – und nicht wenige sagen, dass der regelmäßige Genuss ihres geliebten Longdrinks maßgeblichen Anteil daran hatte.

Das nächste große Ding nach Wodka

Keine Frage: Gin ist in. Die Trend-Gurus aus der britischen Hauptstadt London gaben schon vor einiger Zeit die Losung aus, dass der klare Schnaps das nächste große Ding nach Wodka sei. Auch in Deutschland hat sich diese Richtung durchgesetzt. Dutzende neue Sorten mit neuen Aromen sind auf dem Markt, für edle Destillate wird das Dreifache des Preises einfacher Sorten bezahlt. Gut bestückte Supermärkte in Hamburg haben etwa zehn Sorten Gin im Regal, im Spirituosenhandel stehen da schnell mal 100 Flaschen. Und auch beim Tonic Water wird die Auswahl größer. „Gin ist der Megatrend“, sagt die Hamburger Barkeeper-Legende Uwe Christiansen.

In seinen Bars „Christiansen’s“ und „Cabana“ auf St. Pauli verbraucht er derzeit viel Gin. „Die Gäste sind neugieriger geworden“, sagt Christiansen. „Und wir experimentieren mehr als früher, nutzen neue Tonics oder garnieren unsere Drinks mit Küchenkräutern und Gewürzen.“

Aber der Spirituosen-Experte sieht den Wirbel um den aufgepeppten Wacholderschnaps auch kritisch. „Ich frage mich, wer das alles trinken soll“, gibt Christiansen zu bedenken. Seiner Einschätzung nach werden die Marken, die in Deutschland in kleinen Mengen auf den Markt kommen, die nächsten Jahre nicht überleben.

Zitronen aus Portugal in Altona

Diesen Pessimismus teilt Stephan Garbe nicht. Schon von Berufs wegen. Denn der Hamburger betreibt seit Januar die einzige Gin-Destille in der Hansestadt. „Ich habe gern Gin getrunken und hatte eine Sammlung von etwa 60 Sorten“, erzählt der 38-Jährige. Weil er sich oft in Portugal aufhielt und dort so viele Wacholderbeeren wuchsen, entwickelte der ehemalige Werbetexter ein Konzept zur Gin-Herstellung in Südeuropa. Aber die portugiesischen Behörden machten nicht mit. Als ihm dann in Altona passende Räume angeboten wurden, verwirklichte Garbe seinen Traum einer eigenen Gin-Destille in Hamburg.

„Gin Sul“ heißt sein Produkt in grauen Steingut-Flaschen, die einen halben Liter fassen und aus dem Westerwald kommen. „Sul“ ist portugiesisch für „Süden“. „Die Reverenz an mein Lieblingsland“, sagt Garbe. „Und ein schönes Wortspiel, weil der Gin des Südens im Norden hergestellt wird.“ Zusammen mit einer Angestellten schmeißt der Schnapsbrenner den Laden und legt Wert auf einen engen Kontakt zu Privatkunden sowie Händlern. Und freut sich darüber, dass sein Produkt in den Bars einiger Hamburger Luxushotels angeboten wird.

Zitronen von den 20 eigenen Bäumen aus Portugal und 96-prozentiger Alkohol sind die Hauptbestandteile des Gins aus Altona. Dazu kommen Aromen wie Wacholderbeeren, Koriandersamen, Rosmarin, Kardamom, Zimt, Rosenblätter und Lavendel.

Wacholder im „Wein der Armen“

Mit der fein komponierten Spirituose von heute hatte der Gin früher nichts zu tun. Alkohol und vor allem Wacholder waren drin. Den schwarzen Beeren wurden Heilkräfte zugeschrieben und Wacholder-Destillate gegen Rheuma sowie Nierenschmerzen und als Abführmittel verordnet. Im Mittelalter wurde Wacholder minderwertigem Wein beigemischt, der dann als „Wein der Armen“ unters Volk kam.

Bis zum Ende des 19.Jahrhunderts galt Wacholder als Unterschichtaroma schlechthin: Soldatenfusel, den englische Truppen im 17.Jahrhundert als Genever aus Holland mitgebracht hatten, Trost und Ruin der Industriearbeiter und schließlich Elendsdroge in den Slums von London und Manchester. Adel und Bürgertum konsumierten derweil Cognac, der durch jahrelange Fassreifung gemildert und dementsprechend teuer war.

Die feine Gesellschaft kam erst auf den Gin-Geschmack, als Qualität und Verträglichkeit der Destillate durch individuelle Brennverfahren deutlich gesteigert werden konnten. Überdies machten neue Steuergesetze den Wacholder-Brand teurer und exklusiver.

Zusammen mit Tonic Water avancierte der Gin zum ultimativen Getränk der britischen Kolonialherren in Indien. Dort wurde zum Schutz vor Malaria die chininhaltige Limonade getrunken. Das damalige Indian Tonic Water war sehr bitter, daher mischte man dem Getränk Gin bei, um den Geschmack zu verbessern. Gin Tonic wurde zum ebenbürtigen Rivalen des Whisky Soda.

Churchill war ein großer Fan

Am 15.Januar 2008 legte die Europäische Union in Verordnung Nummer 110/2008 fest, dass Gin eine Spirituose mit Wacholdergeschmack, mindestens 37,5 Volumenprozent und natürlichen Aromastoffen ist. Und auf die kommt es an: Koriander und Engelwurz, Ingwer, Safran und Kardamom, Lakritz, Mandeln, Muskatnuss und Zimt, Zitrusfrüchte, Weintrauben und Preiselbeeren sind einige der mehr als 200 sogenannten „Botanicals“, die dem Schnaps den letzten Pfiff geben können und sollen. Mittlerweile ebenfalls fast eine Wissenschaft für sich: die Marke des Tonicwaters sowie Form und Temperatur der Eiswürfel.

Für Queen Mum waren diese vielen Kräuter und Gewürze im Gin und das ganze Theater rund um den Longdrink neumodischer Schnokus. Sie wollte Alkohol und Limonade in einer Mischung zugunsten des Schnapses. Auch der legendäre britische Premierminister Sir Winston Churchill war ein großer Gin-Fan. Seinen Martini-Cocktail aus Wermut und Gin trank er vorzugsweise dry, also ohne Wermut. Sein Tribut an diese Zutat bestand während des Mixens in einer Verbeugung Richtung Frankreich.

Wer mit alldem überfordert ist, halte sich an schlichten Wacholder-Schnaps, wie er noch in Ostwestfalen-Lippe gebrannt wird. Nicht lang schnacken, Kopf in Nacken, Prost.