Die Hansestadt steht demnächst erneut vor Gericht. Diesmal geht es um die Schadstoffbelastung in der Luft, vor allem Stickstoffoxid. Die Konsequenzen könnten einschneidend ausfallen.

Derzeit sieht viel nach einem erneuten Wahlsieg von Olaf Scholz bei der Bürgerschaftswahl am 15. Februar 2015 aus. Vorher aber muss der mit absoluter Mehrheit regierende Bürgermeister und Hamburger SPD-Chef erst noch diese eine unangenehme Woche im Oktober unbeschadet überstehen – sonst könnte sich das Blatt womöglich doch noch wenden. Gleich zweimal wird in der ersten Oktoberhälfte über seine Politik zu Gericht gesessen: einmal in Leipzig und einmal in Hamburg. Und gleich zweimal trifft Scholz dabei auf seinen wohl schärfsten Hamburger Widersacher: Manfred Braasch. Der Landesgeschäftsführer des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), der Scholz per Volksentscheid schon zum Rückkauf der Energienetze zwang, hat den Hamburger Senat nämlich nebenbei auch noch zweimal vor den Kadi gezerrt.

Am 2. Oktober entscheidet das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig über die Klage von BUND und anderen gegen die weitere Elbvertiefung. Und am 9. Oktober 2014 verhandelt das Hamburger Verwaltungsgericht eine Klage des BUND und eines Hamburger Bürgers, mit der die Stadt gezwungen werden soll, schärfere Maßnahmen zur Luftreinhaltung einzuführen. Während das Leipziger Verfahren sicher für die städtische Wirtschaft von größerer Bedeutung ist, könnte die Entscheidung des Verwaltungsgerichts am Ende deutlich mehr Hamburger in ihrem Alltag direkt betreffen. Die Richter könnten die Stadt nämlich zur Einführung einer Umweltzone oder einer City-Maut zwingen, zu neuen, drastischen Geschwindigkeitsbegrenzungen oder gar zur Verhängung partieller Fahrverbote. Ältere Autos dürften dann womöglich gar nicht mehr in die Stadt fahren – oder alle müssten zusätzlich für jede Fahrt zum Jungfernstieg bezahlen.

Hintergrund des Verfahrens: Hamburg verletzt seit Jahren die Grenzwerte bei der Luftbelastung mit giftigem Stickstoffdioxid (NO2). Zusammen mit Ozon und Feinstaub gehört das Reizgas NO2 zu den drei gefährlichsten Substanzen in der Luft, die nach Schätzungen der EU allein in Europa für mehr als 400.000 vorzeitige Todesfälle verantwortlich sind. Rund 90 Prozent aller Stadtbewohner in der EU seien Abgaskonzentrationen ausgesetzt, die die Weltgesundheitsorganisation als gefährlich einschätze, heißt es aus Brüssel. Die Atemgifte, deren Hauptquellen Kraftfahrzeugverkehr und Schiffsabgase sind, können zu chronischem Husten, Bronchitis, Asthma, Entzündungen oder Lungenkrebs führen. Vorbelastete Menschen, Kinder und Jugendliche sind besonders gefährdet. Nach einer neueren Studie des Helmholtz-Zentrums kann Luftverschmutzung sogar zum vermehrten Auftreten von Insulin- Resistenzen führen, einer Vorstufe der Diabetes.

Zukunft für Hamburg sieht düster aus

Die EU hat bereits im Jahr 1999 festgelegt, dass die Belastung mit Stickstoffdioxid im Jahresdurchschnitt 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft nicht mehr überschreiten soll. Seit 2010 sind die Grenzwerte für alle Mitgliedsstaaten rechtsverbindlich. In den großen Hamburger Messstationen Habichtstraße, Max-Brauer-Allee, Kieler Straße und Stresemannstraße aber liegen die Werte im Jahresmittel noch immer deutlich darüber – nämlich zwischen 45 und 65 Mikrogramm. Besserung scheint nicht in Sicht: Nach einer neuen Auswertung der im Internet veröffentlichten Messergebnisse durch den BUND hat sich die Belastung im ersten Halbjahr 2014 im Vergleich zum ersten Halbjahr 2013 nicht verringert, sondern sogar minimal erhöht. Der Senat selbst hat der EU mitteilen müssen, dass er auch im kommenden Jahr nicht mit der Einhaltung der Grenzwerte in Hamburg rechne. Im Umweltbundesamt befürchtet man nach einer neueren Analyse sogar, dass es noch bis 2030 zu Überschreitungen der Grenzwerte kommt.

Dass die Hansestadt mit dem Problem keineswegs allein steht, sondern sehr viele deutsche und europäische Metropolen betroffen sind, ändert nichts an der Lage – und nichts an der Giftigkeit der Stickoxide. Das sieht auch die EU so, die allmählich die Geduld mit Ländern und Städten zu verlieren scheint, die aus Angst vor Konflikten mit Autofahrern die Gesundheit ihrer Bürger indirekt aufs Spiel setzen. Nachdem bereits im vergangenen Jahr ein Antrag auf Fristverlängerung der Bundesregierung für 57 Regionen, darunter Hamburg, von der Europäischen Union abgelehnt wurde, erging in dieser Woche auch für andere Gebiete in Deutschland ein Ablehnungsbescheid. Bisher habe es zwar niemals ein Vertragsverletzungsverfahren in solchen Fällen gegeben, so eine Mitarbeiterin des Umweltbundesamtes. Jetzt aber habe sie das Gefühl, „dass die sich das nicht mehr lange anschauen“. Die Folge könnte drastische Geldbußen sein, die auch Hamburg zu zahlen hätte.

Offiziell sieht man sich im Senat zwar auf dem richtigen Weg: Mit der im Ende 2012 fortgeschriebenen Luftreinhalteplan festgelegten Stärkung von Radverkehr und öffentlichem Personennahverkehr und den Plänen zur Landstromanbindung von Kreuzfahrtschiffen seien wesentliche Maßnahmen zur Luftverbesserung eingeleitet worden, heißt es aus der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU). Zudem seien in erster Linie Dieselfahrzeuge für die Stickstoffdioxid-Belastung verantwortlich. Und es sei doch Sache der EU selbst und nicht der Stadt Hamburg, die Abgasnormen für solche Fahrzeuge zu verschärfen.

München zieht Konsequenzen

Hinter vorgehaltener Hand aber ist aus dem Rathaus auch anderes zu hören. Es sei gut möglich, dass man sich in Sachen Luftreinhaltung eine Klatsche von den Verwaltungsrichtern einfange, heißt es da. Tatsächlich spricht einiges dafür – zum Beispiel andere Gerichtsurteile. So hat etwa das Verwaltungsgericht München aufgrund einer Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) die bayerische Landeshauptstadt dazu verdonnert, „den für München geltenden Luftreinhalteplan so zu ändern, dass dieser die erforderlichen Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung“ der Grenzwerte aufnimmt. Zuvor waren viele Städte davon ausgegangen, dass es nur zwingend sei, „verhältnismäßige“ Eingriffe in den Verkehr vorzunehmen – die Münchner Richter aber fordern nun implizit das volle Programm und die ganze Instrumenten-Palette. Hauptsache, die Luftbelastung sinkt schnell unter die Grenzwerte. Zunächst legte das Land Bayern zwar Widerspruch vor dem bayerischen Verwaltungsgerichtshof gegen diese Entscheidung ein. Als dieser jedoch im April 2014 signalisierte, dass man aufgrund von Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts gar nicht anders könne als den Widerspruch abzuweisen, zog die Landesregierung ihn bereits vorab zurück.

Nun werkelt man in München an schärferen Vorschriften für den Straßenverkehr – wohl wissend, dass das Gericht auf Antrag der DUH auch selbst konkrete Maßnahmen anordnen könnte, wenn sich die Stadt als unfähig erweisen sollte, die Vorgaben umzusetzen. München plane daher jetzt eine deutliche Verschärfung der Maßnahmen, sagte der verantwortliche Stadtrat und Referent für Gesundheit und Umwelt, Joachim Lorenz (Grüne), der „Welt am Sonntag“. Bereits jetzt sei man dabei, die Höchstgeschwindigkeit etwa an der stark belasteten Landshuter Straße von 60 auf 50 km/h zu senken und Radarkontrollen auf allen sechs Spuren einzuführen – damit dort nicht weiterhin 70 oder 80 gefahren werde. Zudem gebe es in München seit 2008 eine Umweltzone und seit 2012 dürften nur Fahrzeuge mit grünen Plaketten in die Innenstadt fahren. Das habe bereits zu einer deutlich schnelleren Modernisierung der in München verkehrenden Fahrzeugflotte und damit auch zu einer sinkenden Luftbelastung geführt, so Lorenz. In der nun von der DUH erzwungenen sechsten Fortschreibung des Luftreinhalteplans würden weitere Geschwindigkeitsbegrenzungen geprüft, so Lorenz, außerdem eine strengere Bewirtschaftung der Parkplätze.

Kritik an den P+R-Gebühren

Offiziell steht zwar auch die Einführung einer City-Maut in München auf der Prüfliste. Von einer solchen Gebühr hält der grüne Umweltreferent aber nichts. „Dann haben Sie den Effekt, dass Leute, die es sich leisten können, mit ihren abgasintensiven SUV trotz roter Plakette wieder in die Stadt einfahren“, sagt Lorenz. „Das bringt für die Umwelt gar nichts.“ Neben den Autofahrern müssen auch die Häuslebauer in München mit strengeren Regularien rechnen. Denn die Stadt will auch die bundesweit schärfsten Regeln für Kaminöfen einführen – denn auch die beliebte Holzscheitverbrennung im Wohnzimmerkamin trägt stark zur Luftbelastung in den Städten bei. Zudem fordert Lorenz die baldige bundesweite Einführung einer blauen Plakette, die den Ausstoß von Stickoxiden markiert – anders als die bisherigen roten, grünen und gelben Plaketten, die allein Auskunft über die Höhe des Feinstaubausstoßes gäben.

In Hamburg dagegen tue sich in dieser Sache so gut wie nichts, moniert jedenfalls BUND-Chef Braasch. „Der Senat versucht das Problem der Luftschadstoffbelastung weiterhin auszusitzen“, sagt Braasch. „Es ist bezeichnend für die Hamburger Umweltpolitik, dass Umweltverbände und Anwohner die Einhaltung geltender Grenzwerte, die zum Schutz der menschlichen Gesundheit gemacht wurden, mühsam einklagen müssen.“ Der Senat reagiere seit 2010 nicht auf gesetzliche Vorgaben, auf deutliche Mahnungen der EU-Kommission oder auf die BUND-Volkspetition für eine bessere Luftqualität, die von 10.000 Hamburgern unterstützt worden sei. „Offensichtlich hilft nur ein Gerichtsurteil, damit die Hamburger Regierung endlich etwas unternimmt.“ Immer noch lebten mindestens 220.000 Menschen in Stadtteilen, in denen die Grenzwerte zum Schutz der menschlichen Gesundheit massiv überschritten würden, so der BUND-Geschäftsführer. „Gerade Kinder und ältere Menschen sind betroffen, der Senat nimmt dies offenbar billigend in Kauf.“

Auch CDU-Umweltpolitikerin Birgit Stöver kritisiert, „dass der Senat seit Jahren keine effektiven Maßnahmen unternimmt, die geltenden Höchstwerte in Hamburg endlich einzuhalten“. Um den Stickoxidgehalt in der Luft zu reduzieren, sei es „die sinnvollste Maßnahme, das eigene Auto stehen zu lassen und stattdessen lieber den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen“. Der Senat erreiche aber aktuell mit der Einführung der P+R-Gebühren genau das Gegenteil. „Die Pendler werden durch die Parkgebühren vom sinnvollen Umstieg auf Bus und Bahn zusätzlich abgehalten“, sagt Stöver. Hamburg brauche einen leistungsfähigen öffentlichen Personennahverkehr, der für alle Verkehrsteilnehmer attraktiv sein müsse. „Eine U-Bahn, die frühestens in einigen Jahrzehnten kommt, ist dazu kein sinnvoller Beitrag. Mit unserem Vorschlag für eine Stadtbahn haben wir hingegen ein Konzept vorgelegt, dass sehr schnell zu einer Entlastung auf Hamburgs Straßen beitragen kann und für die Stadt kostengünstiger ist als eine U-Bahn.“ Fahrverbote für Autos in der Innenstadt oder die Einführung einer Umweltzone lehne die CDU hingegen ab. Beispiele aus anderen Städten hätten gezeigt, dass die Effekte solcher Eingriffe auf die Sauberkeit der Luft zu gering seien.

Im Senat will man nichts davon wissen

Scharfe Kritik kommt zudem von den Grünen: „Es ist mir ein Rätsel, warum sich der SPD-Senat seit Jahren vor wirksamen Maßnahmen für die Luftreinhaltung drückt“, sagt Grünen-Umweltpolitiker Martin Bill. „Es scheint das Prinzip Hoffnung vorzuherrschen, dass der Wind die schlechte Luft schon wegpustet. So ist es aber nicht, wie die Messergebnisse immer wieder zeigen.“ Die Konzepte für eine Verbesserung der Luft lägen dabei längst auf dem Tisch: Das Radfahren und das Zu-Fuß-Gehen müssten „energisch gefördert werden“, so Bill. Damit jetzt erst anzufangen, wie es die SPD nun ankündige, sei zu spät. „Auch Umweltzone, City-Maut, Parkraumbewirtschaftung und Tempolimit dürfen nicht weiter Tabuthemen sein.“

Im Senat will man davon nichts wissen – schon gar nicht so kurz vor einer Bürgerschaftswahl. Im Übrigen hält man die vom BUND vorgelegten Halbjahreszahlen für nicht seriös. „Für die Beurteilung der Luftqualität ist es nur sinnvoll, ganze Jahre zu betrachten und keine Halbjahre“, sagt der Sprecher der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, Magnus-Sebastian Kutz. „Möchte man dennoch die bisher in 2014 gemessene Belastung ins Feld führen, so wäre dann der gleitende Jahresmittelwert heranzuziehen: Also Juli 2013 bis Juni 2014, Juli 2012 bis Juni 2013 und so weiter. Betrachtet man diese gleitenden Jahresmittelwerte, so kann man an allen Verkehrsstationen eine leichte Abnahme oder einen Gleichstand erkennen.“ Auch wenn das angesichts der seit 2010 geltenden Grenzwerte nicht im entferntesten ausreicht – bei vielen Hamburgern sicher unbeliebte weitergehende Maßnahmen will man sich offenbar lieber von Richtern verordnen lassen als sie selbst einzuführen. Auch in Sachen Stadtbahn bleibt Bürgermeister Scholz beim kategorischen Nein – und kassiert dafür auch Kritik aus München.

„Gerade wenn Hamburgs Bürgermeister so stark auf ingenieurgetriebenen Umweltschutz setzt, müsste der Bau einer Straßen- oder Stadtbahn für ihn höchste Priorität haben“, sagt der Münchner Stadtrat und Umweltreferent Lorenz. „Denn eine solche Bahn belastet die Luft im Verkehr nicht und transportiert deutlich mehr Menschen als ein Bus.“ Deswegen hätten auch immer mehr europäische Städte die Straßenbahn wieder eingeführt, so Lorenz. „In Luxemburg etwa ist der Bau einer neuen Stadtbahn zentraler Bestandteil des aktuellen Luftreinhalteplans.“