Vor anderthalb Jahren fasste Jens Illemann den Plan, das größte Orchester der Welt im Volkspark zu versammeln. Nun unterstützt ihn ein Team bei dem Projekt „Wir füllen das Stadion“.

Hamburg. Was wäre eigentlich, wenn...?“ Es mögen viele Ideen dieser Welt sein, die mit dieser Frage begonnen haben. Und mindestens genau so viele, aus denen nie etwas geworden ist. Jens Illemann hat sich fest vorgenommen, dass es bei seiner Idee anders läuft: „Was wäre eigentlich, wenn man ein ganzes Stadion mit Musikern füllt und so das größte Orchester der Welt auf die Beine stellt?“

Anderthalb Jahre ist es her, dass der 27-Jährige den Plan fasste, das Projekt „Wir füllen das Stadion“ auf die Beine zu stellen. Inzwischen hat er ein Team gefunden, das ihn unterstützt, die Verhandlungen mit der Hamburger Imtech Arena als Austragungsort laufen und sogar Star-Dirigent Wolf Kerschek konnte gewonnen werden – und bisher sieht es so aus, als würde es auch mit dem Wunschdatum klappen. Illemanns Ziel ist es, dass am Tag der Musik 2015, am 20. Juni, rund 15.000 Musiker gemeinsam musizieren und damit einen Eintrag ins Guinnessbuch der Rekorde schaffen. Der bisherige Rekord liegt bei 7224 Musikern und wurde in Australien aufgestellt.

Wie kommt man auf so eine Idee? So ganz genau weiß Illemann das auch nicht. Aber es muss irgendwie damit zusammenhängen, dass er selbst nach Abschluss seines Lehramtsstudiums begann, professionell Dirigieren zu lernen. Und wie es manchmal so ist, wenn man Neues lernt, erwächst daraus neuer Eifer und in diesem Falle wohl auch ein wenig Übermut – schließlich hatte er bis dahin noch nie nie etwas Größeres organisiert als eine Geburtstagsparty. Zweifelnd oder gar überfordert wirkt er dennoch nicht. Eher routiniert, fast ein wenig geschäftsmännisch. Mit seinem braven Kurzhaarschnitt und dem gebügelten Hemd jedenfalls ganz und gar nicht wie ein virtuoser Musiker, der eine seiner wahnwitzigen Ideen umsetzen will. Bei den folgenden Gesprächen mit Veranstaltern und Technikern dürfte ihm das wohl geholfen haben.

Technikprobleme bereiten Kopfzerbrechen

Ein paar Monate dauerte es trotzdem, bis er die Hamburger Eventagentur a.s.s. concerts mit im Boot hatte. Seit einem Jahr planen sie jetzt gemeinsam das Mammutprojekt, suchen Sponsoren und tüfteln mit Experten an der Technik. Genau die stellt sich gerade als größte Herausforderung dar. Das Problem: „Wenn Musiker auf 140 Metern Entfernung miteinander spielen, kommt es zu einer Klangverzögerung von etwa einer halben Sekunde.“ Im Ergebnis also eher ein Klangkuddelmuddel als ein Genuss. „Es gibt in dieser Größenordnung keine Erfahrungen, wie man es hinbekommt, dass es am Ende auch gut klingt“, sagt Illemann. Schließlich sollen auch die Zuschauer auf den Rängen Freude an dem Konzert haben.

Ganz gelöst ist das Technikproblem noch nicht. Angedacht ist bisher die Variante, dass sich statt eines großen mehrere kleine Orchester formieren, die wie kleine Einheiten funktionieren und dass es ein Referenzorchester auf der Bühne geben soll. Auf der Bühne soll auch der Dirigent stehen, der von dort aus die 15.000 Musiker im Innenbereich des Stadions dirigieren soll. Und Illemann ist stolz, dass er Wolf Kerschek, Gewinner des Echo Klassik und Hamburger Jazzpreises, überzeugen konnte.

Dabei war das eigentlich gar nicht so schwer: „Ich war sofort begeistert“, sagt Kerschek. „Die Idee, dass die Leute im Stadion keinen Weltstar feiern, sondern ihre eigene Musik, ist fantastisch und ein tolles Zeichen für aktives Musikmachen.“ So ganz kann er bisher allerdings nicht absehen, was da auf ihn zukommt. „Das größte Orchester, das ich bisher dirigiert habe, umfasste ungefähr 100 Musiker.“ Und auch die technischen Probleme beschäftigen ihn noch. „Es soll ja am Ende nicht nur eine witzige Idee sein, sondern auch ein gutes Ergebnis.“

Vier Jahre Erfahrung werden vorausgesetzt

Auch Jens Illeman, der als Musiklehrer selbst diverse Instrumente spielt, ist das wichtig. Und so richtet sich der Rekordversuch zwar an Laienmusiker, nicht aber an blutige Anfänger. Mitmachen können nur diejenigen, die mindestens vier Jahre Erfahrung an ihren Instrumenten haben. Gebraucht werden diverse Arten von Streichern, Bläsern, Schlagwerkern und Sängern (mehr unter www.wirfuellendasstadion.de). Ab Spätsommer/Herbst ist die Anmeldung möglich. Mit der Bestätigung sollen den Musikern dann später auch die Noten zugeschickt werden, damit sie sich auf die Lieder vorbereiten können. Eine Mischung, die Flexibilität erfordert: Dvořáks 9. Sinfonie, Auszüge aus Beethovens 9. Sinfonie, eine Nummer aus dem Musical Starlight Express und „Music was my first love“ von John Miles. Mit der eher unüblichen Mischung will Illemann Grenzen zwischen den Genres aufweichen und auch Menschen ansprechen, die sonst mit klassischer Musik nichts am Hut haben.

Und er wünscht sich, dass davon auch etwas bei den deutschen Kulturbehörden ankommt. „Theater werden geschlossen, Orchester werden aufgelöst, in viel zu vielen Bereichen wird gekürzt“, so Illemann. „Mit so einem Projekt können wir zeigen, dass Interesse und Leidenschaft für klassische Musik da sind und somit ein Signal an die Kulturbehörde senden.“

Da hat man längst von Illemans ambitionierten Plänen gehört. Aktive Unterstützung gibt es zwar nicht, dafür aber Anerkennung: „Das Projekt ‚Wir füllen das Stadion‘ verbindet mit seinem Weltrekordversuch, das größte Orchester der Welt zu formieren, die Bereiche von ernster und Unterhaltungsmusik im Rahmen einer Eventveranstaltung. Da es eine breite Schicht von Musizierenden anspricht, wird es sicherlich viele Musikbegeisterte aus Hamburg und Deutschland in Hamburg zusammenbringen und sie Teil einer eindrücklichen Aufführung werden lassen“, sagt Behördensprecherin Laura-Helen Rüge.

Bis zum Anmeldestart sind es noch ein paar Wochen hin. Dann entscheidet sich, ob Illemann wirklich genügend Musiker begeistern konnte. Aber der angehende Lehrer ist zuversichtlich: „Mehr als 2500 Voranmeldungen sind bereits eingegangen“, sagt er. Auch „Hamburg singt“, ein Chor für Sänger und Nicht-Sänger, ist mit dabei. „Es sieht alles sehr gut aus“, sagt Illemann. Und schaut dann ein bisschen verträumt. „Was wäre, wenn ...“

Noch hat der Kartenverkauf nicht begonnen. Infos für Künstler und Zuschauer auf www.wirfuellendasstadion.de