Bei der Unterbringung von Flüchtlingen ist es zu früh für einen Hilfeschrei
Wenn man es positiv sehen will, kommt man zur freudigen Erkenntnis: In Hamburg werden eben doch alle gleich behandelt. Bei dem ein oder anderen Bürger, der an behördlichen Auflagen und Verzögerungen bei Baugenehmigungen verzweifelte, mag sich sogar Schadenfreude einstellen, wenn er erfährt, dass die Stadt sich selbst kein Stück besser behandelt. Es ist jedenfalls erstaunlich, wie viele Knüppel die eine Behörde der anderen zwischen die Beine wirft, wenn es darum geht, eine Flüchtlingsunterkunft zu bauen. Das hat das Abendblatt-Dossier über das Projekt an der Rahlstedter Straße überdeutlich gemacht.
Es ist ein Trauerspiel, das Hamburg hier aufführt. Dass sich die Stadt nicht einmal in ihrer eigenen Zuständigkeit vernünftig helfen kann, zeigt, wie schlecht vorbereitet sie auf die steigende Zahl von Flüchtlingen ist. Die Entschuldigung, mit einem solchen Ansturm habe man nicht rechnen können, kann nur in Teilen gelten. Die Flüchtlingszahlen steigen seit Jahren kontinuierlich, und angesichts der Kriege und Konflikte in Syrien, dem Irak, Teilen Nordafrikas und Afghanistan durfte niemand ernstlich auf eine Entspannung der Lage hoffen.
In dieser Situation, in der die ersten Familien in Hotels und andere in Zelten untergebracht werden, bemüht Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) das St.-Florians-Prinzip und fordert, dass die Flächenländer doch mehr und Hamburg eben weniger Flüchtlinge aufnehmen sollten. Denn Hamburg als dicht besiedelte Großstadt habe einfach weniger Möglichkeiten, argumentiert der Senator. Die einhellig ablehnende Reaktion seiner Kollegen wird ihn kaum überrascht haben. Scheele hätte sich den Vorstoß aber aus einem anderen Grund sparen sollen. Denn Hamburg ist nun wirklich noch nicht am Ende seiner Möglichkeiten angelangt.
Die Fakten sprechen jedenfalls eine andere Sprache. So ist Hamburg für eine Großstadt mit rund 2300 Einwohnern pro Quadratkilometer vergleichsweise dünn besiedelt. In Frankfurt sind es etwa 2770, in Berlin rund 3800 und in München sogar 4470. Auch ein Blick auf die Flüchtlingszahlen hilft bei der Einordnung: In diesem Jahr werden in Hamburg 4100 Menschen erwartet. Keine Kleinigkeit, gewiss. Aber gemessen an der Gesamtbevölkerung sind das gerade einmal 0,23 Prozent.
Meist sind es Familien, die nach Deutschland flüchten. Geht man von vier Personen im Schnitt aus, würden rein rechnerisch 1025 Wohneinheiten gebraucht. Ja, auch das ist viel, zumal die Lage auf dem Hamburger Wohnungsmarkt weiter sehr angespannt ist. Aber angesichts der Zahlen beim Wohnungsneubau, die sich binnen weniger Jahre mehr als verdoppelt haben (auf mittlerweile rund 6000), ist es wahrlich nicht unmöglich.
Allerdings müssen die Anstrengungen deutlich erhöht werden. Ein hochrangiger Koordinator, vergleichbar mit den Stellen für Wohnungsbau oder Baustellen, könnte ein Lösungsansatz sein. Und dann darf es natürlich nicht länger passieren, dass die Beamten der Stadt sich selbst im Wege stehen. Denn wir dürfen nicht vergessen, worum es hier eigentlich geht. Eben nicht um Zahlen und Quoten. Es geht um Kinder, Frauen und Männer, die Grausamkeiten erlebt haben, die oft jenseits unserer Vorstellungskraft liegen. Die Krieg und Zerstörung, Unterdrückung und Gewaltexzesse oft jahrelang erdulden mussten. Viele von ihnen sind traumatisiert – aber dankbar, dass sie der unmittelbaren Todesgefahr entkommen sind.
Wir sollten diese Menschen nicht als Belastung betrachten. Wir sollten sie willkommen heißen. Und einen Gedanken darauf verwenden, wie glücklich wir uns schätzen können, in einem so reichen und sicheren Land zu leben. Klar: Das kann man jetzt als Gutmenschengerede abtun. Wahr bleibt es dennoch.
Der Autor ist stellvertretender Leiter der Hamburg-Redaktion