Hanjo Schneider ist seit zwölf Jahren Vorstandsvorsitzender des Logistikdienstleisters Hermes Europe GmbH. Ein Gespräch über Haustürkontakte, das Duzen mit dem Boss und die Vorteile des Mindestlohns.
Der Weg in die Schaltzentrale der Macht ist lang. Wer ins Büro des Chefs möchte, muss den Vorstandsfahrstuhl benutzen. Die Etage ganz oben ist genauso wie man sich den wichtigsten Bürotrakt eines Großkonzerns vorstellt: breite Flure, gedämpftes Licht, dicker Teppichboden. Erstaunlicherweise ist der Arbeitsplatz des Vorstandsvorsitzenden der Hermes Europe GmbH, der zugleich Mitglied des Vorstandes der Otto Group ist, überschaubar groß und funktionell eingerichtet. Hanjo Schneider legt offenbar keinen Wert auf Statussymbole.
Hamburger Abendblatt: Hanjo Schneider, wann sind Sie zuletzt mit einem Hermes-Boten mitgefahren?
Hanjo Schneider: Genau vor fünf Jahren. Das war eine gute Erfahrung.
Inwiefern?
Schneider: Zunächst war der Kollege ziemlich überrascht. Es war ja auch nichts organisiert. Ich bin einfach morgens an das Depot gefahren und zwei Stunden mit auf Tour gegangen.
Haben Sie denn auch schwere Pakete schleppen müssen?
Schneider: Ja, selbstverständlich. Das hat mir aber nichts ausgemacht. Zudem habe ich an dem Tag bestimmt 30 Menschen kennengelernt, die ich natürlich noch nie vorher gesehen hatte. Diese kurzen Haustürkontakte waren hochspannend.
Welche Kriterien müssen Ihre Fahrer erfüllen?
Schneider: Sie sind das Aushängeschild unseres Unternehmens. Es ist enorm wichtig, dass die Fahrer sauber und gut gekleidet sowie freundlich sind, um einen guten Eindruck zu hinterlassen. Der einzige persönliche Kontakt bei einer E-Commerce-Bestellung entsteht schließlich bei der Übergabe des Pakets an den Endverbraucher.
Wie viele Zusteller sind unterwegs?
Schneider: Im Jahresschnitt bis zu 13.000.
Sind die nicht alle bei Subunternehmen beschäftigt?
Schneider: Richtig. Wir kooperieren heute mit ungefähr 380 selbstständigen Unternehmern. Und die stellen die Fahrer fest bei sich ein.
Machen Sie beim gesetzlichen Mindestlohn mit?
Schneider: Selbstverständlich. Wir befürworten den Mindestlohn und werden die mit uns kooperierenden Generalunternehmer bei der Umsetzung unterstützen.
Was verdient so ein Paketzusteller im Monat?
Schneider: Er kommt so auf 1400 bis 1500 Euro brutto im Monat.
Wie viele Pakete liefern Sie in Deutschland pro Tag aus?
Schneider: Zwischen einer und eineinhalb Millionen Pakete.
Wie organisieren Sie das?
Schneider: Das ist halt unser Handwerk. Wichtig ist es, den Überblick zu behalten und zu wissen, wo sich jedes einzelne Paket gerade befindet. So erreichen wir eine Erfolgsquote von 96,3 Prozent schon beim ersten Zustellversuch.
Was bedeutet das gegenüber der Konkurrenz?
Schneider: Damit Marktführer zu sein. Unsere Arbeit basiert auf einer ausgeklügelten Logistik und der guten Arbeit jedes einzelnen Fahrers, der eben weiß, wie seine Kunden zu erreichen sind. Im Regelfall fährt er daher auch immer die gleiche Tour.
Wann lösen Sie Ihren ärgsten Konkurrenten Post als Marktführer ab?
Schneider: Das ist kein originäres Ziel von uns. Wir wollen nachhaltig wachsen. Deutschland ist ein wichtiger Markt. Europa ist aber wichtiger.
Wie viele Fahrzeuge haben Sie täglich im Einsatz?
Schneider: Rund 10.000 im Jahresmittel.
Und wie viele Retouren haben Sie pro Tag?
Schneider: Bei unserem Gesamtvolumen gibt es circa 30 Prozent Retouren. In Deutschland sind es mit Abstand die meisten.
Wie kommt das?
Schneider: Das hat sicher einen in der Historie gewachsenen Hintergrund. Die Kunden wünschen diese Möglichkeit – und die ist ja auch eine lang geübte Praxis im Distanzhandel.
Wie wollen Sie die Retourenflut eindämmen?
Schneider: Das ist bei uns keine Flut, sondern Teil des Geschäftsmodells. Die Retouren lassen sich nämlich durch viele Maßnahmen in durchaus vertretbaren Grenzen halten. Otto hat da eine 65-jährige Erfahrung.
Was halten Sie von der neuen Retourenregelung, dass man das Paket beim Zurücksenden selbst bezahlen muss?
Schneider: Ich halte das für eine richtige, verursachungsgerechte Regelung. Die meisten der großen Onlinehändler werden das aus Wettbewerbsgründen aber nicht in Anspruch nehmen.
Dann bleibt es beim alten Prinzip?
Schneider: Ja, so ist es. Die Otto Group wird es auf jeden Fall so machen.
Womit verdienen Sie noch Geld?
Schneider: Mit allen Geschäftstätigkeiten, vom Multi-Channel-Einzelhandel über Finanzdienstleistungen bis hin zu Services. Dabei ist es unser Ziel, ein werthaltiges Wachstum zu erzielen.
Wo ordnet sich Ihr Logistikunternehmen weltweit ein?
Schneider: Wir sind der führende Logistiker für den europäischen Endverbraucher. Und das in den Bereichen Business to Consumer sowie Consumer to Consumer.
Wo können und wollen Sie noch wachsen?
Schneider: In den drei großen Kernmärkten. Deutschland, England und Frankreich. Dort sehen wir sehr gute Optionen für die Zukunft. Aber auch in Russland erkennen wir im E-Commerce-Bereich hohe zweistellige Wachstumsraten.
Was ist mit Asien?
Schneider: Wenn es um den Einkauf geht, ist China für uns einer der wichtigsten Märkte. Knapp die Hälfte unserer Waren, die wir weltweit fertigen lassen, stammen aus chinesischer Produktion.
Wie können sie Ihre Paketauslieferung noch optimieren?
Schneider: Wir testen gerade die Lieferung in engen Zeitfenstern. Der Kunde kann dann sagen, ich hätte gerne mein Paket kommenden Mittwoch zwischen dreizehn und fünfzehn Uhr. Wir haben das in Berlin und Nordrhein-Westfalen getestet und werden dieses Jahr noch deutschlandweit starten.
Warum gibt es noch immer keine Sonntagszustellung?
Schneider: Das ist in Deutschland nicht wirklich gewünscht. Aber in England. Dort stellen wir als erster Dienstleister auch am Sonntag zu.
Wie eigenständig können Sie die Hermes Europe GmbH führen?
Schneider: Es ist sicher ein großer Vorteil bei der Otto Group, dass man diese Chance hat, ein Unternehmen wirklich so zu führen und dafür verantwortlich zu zeichnen, als ob es das eigene wäre.
Sie arbeiten schon lange mit Michael Otto zusammen. Duzt man sich da nach all den Jahren?
Schneider: Nein. Du oder Sie spielt aber auch keine Rolle in einer vertrauensvollen Beziehung. Ich wurde auch schon von Menschen, mit denen ich per Du war, enttäuscht. Insofern kann ich mit einem Sie hervorragend leben.
Wie oft sind Sie im Jahr auf Reisen?
Schneider: Rund 120 Tage im Jahr.
Erste Klasse oder Holzklasse?
Schneider: Wir dürfen bei Fernzielen erste Klasse fliegen, was ich als großen Luxus empfinde.
Können Sie auf den langen Flügen auch richtig schlafen?
Schneider: Ja, schon. Ein Vorteil der ersten Klasse. Ansonsten könnte ich nach einem Zwölf-Stunden-Flug auch nicht sofort arbeiten.
Sie machen auf mich einen freundlichen Eindruck. Bleibt der immer so?
Schneider: Ja. Aber Freundlichkeit schließt Konsequenz nicht aus.
Wie ist der Umgangston in der Führungszentrale?
Schneider: Es ist Teil unserer Kultur, darauf zu achten, dass bestimmte Werte erhalten bleiben. Das spielt hier bei uns immer noch eine große Rolle.
Einmal Hermes, immer Hermes?
Schneider: Ja.
Haben Sie sich mit 52 Jahren also festgelegt?
Schneider: Ich bin damit immer ganz gut gefahren, nicht von einer Chance zur nächsten zu springen. Wenn man Spaß an seiner Aufgabe hat, sich gut aufgehoben fühlt, gibt es keinen Grund zu wechseln.
Wie spannen Sie aus?
Schneider: Freizeit ist mir wichtig, und ich mache auch mal drei Wochen am Stück Urlaub. Da lese ich keine E-Mails. Vor Menschen, die das Thema Freizeit mit dem Thema Arbeit vermengen, sollte man sich in Acht nehmen.
Wie oft sehen Sie Ihre Familie?
Schneider: Wenn ich in Hamburg bin. Und am Wochenende immer. Wir haben eine 21-jährige Tochter, die studiert in Hamburg Modejournalismus. Und sie schreibt sehr gut. Sie hat das schon früher in der Schule gemacht und ist sehr kreativ.
Was ist Ihr liebstes Hobby?
Schneider: Fliegen begeistert mich.
Wie oft fliegen Sie selbst?
Schneider: So oft wie möglich. Ich besitze aber kein eigenes Flugzeug. Das ist wie bei Booten. Die sollte man auch nur chartern.
Sind Sie nicht auch ein begeisterter Golfer?
Schneider: Ich spiele sehr gerne Golf. Aber ob ich begeistert bin …?
Wie oft spielen Sie?
Schneider: Im Schnitt jedes zweite oder dritte Wochenende.
Was spielen Sie?
Schneider: 18 Löcher reichen. Das ist für mich eine normale Golfrunde. Dafür brauche ich ungefähr vier- bis viereinhalb Stunden – zusammen mit Freunden. Und hinterher ein Bier.
Welches Handicap haben Sie?
Schneider: 14.
Das ist aber ziemlich gut ...
Schneider: Ja, aber haben und spielen sind zweierlei Dinge.
Wollen Sie Ihr Handicap noch verbessern?
Schneider: Ich glaube, das schaffe ich in meinem Leben nicht mehr.
Wieso?
Schneider: Dafür müsste ich mehr spielen. Und das wäre mir den Aufwand nicht wert.
Norbert Vojta ist Journalist und Honorarprofessor an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg