In der Hansestadt stehen den Menschen im Schnitt täglich drei Stunden und 40 Minuten zur freien Verfügung - Männern noch ein wenig mehr als Frauen. Zeitnot führt zu oberflächlicher Schnelllebigkeit, sagt ein Zukunftsforscher.
In Zukunft werden die meisten Menschen in ihrem Leben weniger arbeiten und mehr Freizeit haben. Das glauben Sie nicht? Wir haben uns die Zeitverwendung der Hamburger einmal näher angeschaut: Das Jahr hat 8760 Stunden. Durchschnittlich umfasst die Arbeitszeit eines Vollberufstätigen ohne Urlaub und Krankheit mit 1640 Stunden rund 18,7 Prozent der gesamten Jahresstunden. Mit Schlafen verbringen wir knapp ein Drittel unseres Lebens: täglich 7,14 Stunden, also 2606 Stunden jährlich. Somit bleiben etwa 50 Prozent der Jahreszeit übrig.
Leider ist es aber nicht so, dass die restliche Lebenszeit zur freien Verfügung steht und wir in dieser tun und lassen können, was wir wollen. Etwa ein Fünftel (22 Prozent) des Jahres geht für die sogenannte Obligationszeit drauf. In dieser Zeit erledigen wir all die Dinge, die notwendig sind, wie z. B. die Wegezeiten zur Arbeit, die Körperpflege, die Hausarbeit oder das Einkaufen. Für die reine Freizeit verbleiben dann noch 2591 Stunden – dies sind immerhin 29,6 Prozent der jährlichen Lebenszeit.
Betrachtet man die freie Zeit etwas genauer, bleiben an einem Werktag im Bundesdurchschnitt gerade mal drei Stunden und 56 Minuten für eben jene Zeit, in der man tun und lassen kann, was man möchte. Wir Hamburger haben im Durchschnitt sogar nur drei Stunden und 40 Minuten Freizeit pro Werktag. Hierbei sind viele Unterschiede in unserer Stadt nachweisbar: So haben Männer 19 Minuten mehr Freizeit als Frauen und Paare ohne Kinder im Haushalt ganze 77 Minuten mehr als Paare mit Kindern. Die mittlere Generation befindet sich in der Rushhour des Lebens: Arbeit, Kinder und häufig auch die Pflege der Eltern. Da bleibt wenig Zeit für Freizeit. Auffällig ist auch, dass die Freizeit von Jugendlichen im Zeitvergleich immer weiter abgenommen hat. Sicherlich sind hierfür u. a. die Einführung des Abiturs nach zwölf Schuljahren und das Angebot von Ganztagsschulen mitverantwortlich. Hinzu kommen aber auch die steigende Anzahl von (Pflicht-)Terminen wie Nachhilfe, Vereinssport oder Musikunterricht sowie der Druck, immer und überall online aktiv zu sein.
Viele werden sich künftig bewusst zurückziehen und Dinge verpassen
Sind durchschnittlich 3:40 Stunden nun viel oder wenig Freizeit? Historisch betrachtet, hatten wir nie mehr Freizeit: So wurde vor 100 Jahren noch 60 Stunden pro Woche gearbeitet und bis in die 1960er-Jahren hinein war die 50-Stunden-Woche üblich. Heute arbeiten wir zwischen 35 bis 40 Stunden und einige Unternehmen haben sogar die 30-Stunden-Woche eingeführt.
Trotz dieser objektiv betrachtet reichlichen Zeit zur freien Verfügung, herrscht bei vielen Hamburgern subjektiv das Gefühl vor, zu wenig freie Zeit zu haben. Woran liegt das? Zwei Gründe halte ich für ausschlaggebend: Erstens haben wir fast unendlich viele Möglichkeiten, unsere Zeit zu verleben – und diese Möglichkeiten nehmen zu.
Anderseits haben wir den Wunsch, ja vielleicht sogar den Druck, möglichst viel in dieser Zeit zu schaffen. In unserer Zeitnot reagieren die meisten pragmatisch und verkürzen die Aktivitäten oder kombinieren mehrere. So wird der Besuch von Freunden mit dem Abendessen kombiniert, oder der Haushalt während des Fernsehens erledigt.
Auf diese Weise lässt sich ein wenig Zeit sparen. Hinzu kommt, dass kaum eine Aktivität noch länger als zwei Stunden dauert – vom Fernsehabend, über Sport bis hin zum Theater- oder Kinobesuch. Der Preis für diese Schnelllebigkeit ist häufig Oberflächlichkeit – denn für Liebe zum Detail oder Ruhe für eine langfristige Beschäftigung nehmen wir uns nur selten Zeit.
Was ich für die Zukunft erwarte? Ich glaube, viele von uns werden sich öfter zurückziehen, Aktivitäten reduzieren und absichtlich Dinge verpassen. Denn nur so kann dem Freizeitstress begegnet werden und Freizeit wieder zu einer tatsächlich freien Zeit werden.
An dieser Stelle schreibt jeden Montag Prof. Ulrich Reinhardt von der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen