Geplant war nur ein Tauflied für die Tochter. Doch nun erscheint eine CD, im Herbst ein Album und Hobby-Musiker Tim Linde aus Hamburg fragt sich täglich, was da eigentlich passiert ist.

Die Idee für den Titel hatte sein Sohn. Der liebt als Hanseat natürlich Schiffstaufen. Wann immer im Hafen ein solches Ereignis stattfindet, möchte der Kleine dabei sein. Und natürlich kennt ein Dreijähriger auch den dazu gehörigen Text am Ende jeder Taufrede. „Allzeit gute Fahrt und immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel“. Danach knallt zumeist eine Flasche Champagner an den Bug. „Papa“, sagte Linde junior also, als es um den Taufgottesdienst für die einjährige Schwester ging. „Wünschen wir ihr auch Wasser unterm Kiel?“

Tim Linde lächelt, als er die Geschichte erzählt. „Mir war gleich klar. Das ist es!“ Er hatte den Refrain für jenes Lied gefunden, das er für seine Tochter schreiben wollte. Eine vertonte Gebrauchsanweisung fürs Leben sollte es sein. Nicht mit erhobenem Zeigefinger, trotzdem orientiert an den zehn Geboten, „die letztlich – je nach Leseart – auch für mich gelten“, sagt Linde, der aus der Kirche ausgetreten ist.

Zwei Tage brauchte er fürs Texten. „Es flutschte richtig“, erinnert er sich. Zeilen wie „Mach dich vor keinem Menschen klein, du bist gemacht um frei zu sein“ oder „Dein Wort soll stehen wie in Stein, kein Mensch soll jemals sicher sein vor deiner Ehrlichkeit“, zeigen, dass die Linde-Tochter eine Kindheit mit Selbstbewusstsein vor sich hat.

Plötzlich war ein Musikproduzent am Telefon

Mithilfe von Freunden und jenes Pfarrers, der das Elternpaar getraut hatte, wurde es eine ganz besondere Tauffeier mit handgemachter Musik, bei der sogar der Pastor mitmusizierte. Der Vater des Täuflings sang, spielte Gitarre und Mundharmonika. Und weil Linde und seine Frau den von der privaten Vorführung begeisterten Gästen eine Erinnerung zukommen lassen wollten, ging der Hobbymusiker mit seiner Mini-Band ins Tonstudio von Michael Krüger, nahm den Song auf, brannte ihn auf CDs und verschenkte sie.

Bis hierhin ist diese Geschichte noch keine wirklich besondere Geschichte. Individuelle Tauffeiern gibt es viele, privat gebrannte CDs ebenfalls und ambitionierte Eltern sowieso. Doch ein paar Wochen später klingelte bei Lindes zu Hause das Telefon und ein gewisser Renè Münzer war am Apparat. Er habe da so ein Lied gehört und könne sich durchaus vorstellen, es zu produzieren, sagte der Inhaber von Ear-Lab. Das Label aus Hamburg produzierte unter anderem das Duo Orange Blue, aber auch die Sängerin Schné, Teilnehmerin des Bundesvision Song Contest 2012. „Nach dem Anruf habe ich mich gefragt, ob mir das tatsächlich gerade passiert“, erinnert sich Linde.

Doch auch für Münzer gehörte das Gespräch nicht zum Business as usual. Dass ein Unbekannter dazu eingeladen wird, seinen Erstling in einem Studio einzuspielen, und dass die Produktion dann innerhalb von zwei Monaten sogar fertig ist, „das ist ein eher ungewöhnlicher Vorgang. Auch für mich“, sagt der Musikproduzent.

„Das Lied spricht eine bestimmte Stimmung an“

Beim Anhören habe er allerdings gleich gewusst, dass dieser Song etwas Besonderes sei. „Das Lied hat eine nordische Note und spricht eine bestimmte Stimmung an“, erklärt Münzer. „Außerdem ist der Text charmant geschrieben, nicht zu pathetisch und trotzdem mit ernstem Anspruch.“ Soll heißen: Das könnte ein Verkaufsschlager werden.

Seither ist nichts mehr so wie es mal war im Leben des Tim Linde, 37. Mit Profi-Musikern wurde der Song „Wasser unterm Kiel“ im Studio noch einmal eingespielt. Und kürzlich war er mit seinen Kindern und Ehefrau in Grömitz an der Ostsee. Dort drehte ein Kamerateam das Video zum Lied mit der neuesten Filmtechnik – Drohnenbenutzung inklusive. Die kleine Tochter ist als Adressat der väterlichen Botschaften in dem Kurzfilm zu sehen, natürlich. Allerdings nur von weitem oder von hinten. „Meine Privatsphäre und die meiner Familie möchte ich trotz der sehr persönlichen Entwicklungsgeschichte des Liedes in jedem Fall wahren“, sagt Linde.

Ab 18. Juli ist die Single im Handel. Im Herbst soll sogar ein Album folgen. „Die Geschichten dazu habe ich in der Schublade“, sagt Linde, der bisher musikalisch gesehen lediglich eine „normale Karriere als Schulband-Sänger“ vorzuweisen hat, wie er sagt. Doch wichtige Gedanken und Momentaufnahmen seines Lebens habe er schon immer in Liedform aufgeschrieben. Das sei ihm ein Bedürfnis gewesen. Inzwischen hat auch der NDR in seinem „Hamburg-Journal“ schon einen Beitrag über den Mann mit dem Tauflied gesendet.

Natürlich hätte er den Plattenvertrag ablehnen können

Manchmal fühlt sich der Familienvater von der Entwicklung fast überfordert. Denn eigentlich ist er intensiv mit Nestbau beschäftigt. Vor einem halben Jahr wurde ein Haus gekauft, es sollte nach eigenen Vorstellungen umgebaut werden. Doch wie so oft, zeigten sich die Mängel erst bei der Renovierung und Umgestaltung. „Als wir ans Dach gingen, fiel prompt eine Wand um“, erzählt Linde.

Weshalb sich sein prall gefülltes Leben derzeit ziemlich konträr und stressig zwischen Familie, Baustelle und Job abspielt. Natürlich hätte er die Sache mit dem unverhofften Plattenvertrag ablehnen können. „Aber wer macht das schon, wenn ihm so etwas vor die Füße fällt?“ Außerdem hat die Ehefrau das Okay gegeben.

Beruflich begann die Karriere des Tim Linde ziemlich bieder als Diplom-Kaufmann mit privaten Wurzeln nach Schweden, wo er auch ein paar Semester studierte. Später arbeitete er bei Airbus im Qualitäts-Management, wechselte nach zwei Jahren als Leiter zu einem Karlsruher Unternehmen ins Hamburger Büro, das technische Dokumentationen fertigstellte. In dieser Phase passierte, was Linde eine magische Begegnung nennt.

„Ich arbeite nur mit Leuten, die ich mag“

Einer seiner häufigsten Geschäftskontakte hieß Markus Ritter, ein Schwabe, der in Stuttgart und in der Schweiz tätig war. „Ihn zu treffen, war das Beste, was mir passieren konnte“, sagt er heute. Zwei Männer, zwei Seelenverwandte. Eine ihrer Gemeinsamkeiten war das Aushecken schräger Ideen. Und die Überzeugung, dass am Ende kein Weg an der gemeinsamen Selbstständigkeit vorbeiführen würde.

Linde und Ritter gründeten die Industriemedienagentur Vis a Vista. „Der Plan war, die Tonnen von Papier zu reduzieren, die bei der Auflistung von technischen Abläufen entstehen und die kein Mensch liest“, sagt Linde. „Also beschlossen wir, technische Anleitungen zu filmen.“ Das nötige Know-how eigneten sich die Firmengründer schnell an, inklusive Ausbildungen an der Kamera. Inzwischen arbeiten sie für zahlreiche Unternehmen aus der Industrie sowie Medienbranche, und Linde führt als Geschäftsführer gern die Berufsbezeichnung „selbstständiger Kameramann“.

Unter anderem produzierte das Unternehmen mit dem Pastor Andreas Wandtke-Grohmann den Film „Die Schätze der Nordkirche“, der 2012 auf DVD erschien und unter anderem auf Phoenix und Bibel TV ausgestrahlt wurde. Die TV-Dokumentation zeigt Menschen, die sich in der damals neu gegründeten Nordkirche engagieren. „Ich arbeite nur mit Leuten, die ich mag“, sagt Tim Linde. So kam es dann auch, dass Wandtke-Grohmann bei der Taufe von Lindes Tochter zur E-Gitarre griff.