Die Partei will „jünger, weiblicher und bunter“ werden. Ein Kurs nicht ohne Risiko.
Im Jahr 1990, dem Jahr der deutschen Wiedervereinigung, die von dem christdemokratischen Bundeskanzler Helmut Kohl vorangetrieben worden war, hatte die Regierungspartei CDU fast 790.000 Mitglieder. Im Dezember 2013 waren es noch gut 468.000. Der enorme Mitgliederschwund ist jedoch kein Alleinstellungsmerkmal der Christdemokraten; die große Rivalin SPD stürzte im selben Zeitraum von 943.000 Mitgliedern auf 473.000 ab. Insgesamt nahmen die Mitgliederzahlen der im Bundestag vertretenen Parteien zwischen 1990 und 2013 von 2,3 auf gut 1,2 Millionen ab. Dies rührt an der Substanz dessen, was man in der Politikwissenschaft als Volkspartei bezeichnet.
Die dominierenden Parteien SPD und CDU hatten ursprünglich ein sehr viel schärferes Profil, das sich an ihrer Zielklientel orientierte. Arbeiterfamilien wählten die SPD, weil sie als einzige Massenintegrationspartei ihre Interessen vertrat. Die Wähler der CDU waren dagegen in der Regel politisch konservativ, christlich-religiös und wirtschaftlich besser gestellt.
Doch in den vergangenen Jahrzehnten hat Deutschland einen tiefgreifenden Struktur- und Wertewandel durchlebt. Die klassische Arbeiterschaft ist ebenso geschwunden wie eine starke religiös orientierte Parteibindung. Die sozialen Milieus der Parteienlandschaften mit klaren Identifikationen lösen sich auf. Insgesamt ist damit eine Erosion von Bindungen und Loyalitäten gegenüber den Parteien verbunden. In ihrem Bemühen, möglichst breite Wählerschichten anzusprechen, haben sich die Programme von SPD und CDU immer weiter angenähert; scharfe Unterschiede – wie einst in der Ostpolitik – sind kaum noch zu verzeichnen.
Doch diese mangelnde Profilierung hat nun zur Folge, dass sich viele traditionelle Wähler, gerade auch an den Rändern der jeweiligen Volkspartei, nicht mehr ausreichend genug vertreten sehen. Die Entstehung der Partei AfD etwa ist Symptom dafür. Das Thema Europaverdrossenheit wird von den großen Parteien kaum politisch wirksam umgesetzt. Es ist nicht verwunderlich, dass in der CDU angesichts fast der Halbierung ihrer Mitgliederzahlen und der Tatsache, dass keine einzige der zehn größten deutschen Städte noch von einem christdemokratischen Bürgermeister regiert wird, über eine Schärfung des Profils nachgedacht wird. Wenn CDU-Generalsekretär Peter Tauber im „Spiegel“ fordert, die Partei solle „jünger, weiblicher und bunter werden“, erfolgt dies wohl mit Blick auf die Fakten, dass der Altersdurchschnitt der CDU-Wähler bei 60 Jahren liegt und drei Viertel Männer sind. Das klingt nicht gerade zukunftstauglich.
Doch ein Patentrezept für die CDU wird es kaum geben können. Schon deshalb nicht, weil die Klientel sich in Stadt und Land erheblich unterscheidet. Die CDU leidet auch deshalb unter einer „urbanen Schwäche“, weil sich das Kernprofil der Partei ungeachtet aller Modernisierungsbemühungen der Kanzlerin weiter an herkömmlichen Familienmodellen orientiert. Jeder dritte Deutsche lebt inzwischen in einer Großstadt – und in diesen Städten gibt es immer mehr Singles und Alleinerziehende mit speziellen Bedürfnissen und Interessen. Moderne Stadtpolitik und der Kampf für günstige Mieten werden eher der SPD oder den Grünen zugute gehalten. Hier muss die CDU gegensteuern.
Andererseits darf die Partei ihr konservatives Profil nicht vernachlässigen. Die Annäherung an die SPD hat traditionelle CDU-Wähler verprellt; eine „buntere Partei“ dürfte kaum attraktiver für sie sein.
Eine „Schärfung“ des Profils, in welche Richtung auch immer, kann Wähler an die Partei binden oder sie zurückgewinnen. Sie birgt jedoch das Risiko in sich, andere Wähler abzuschrecken. Aber zumindest weiß der Bürger dann wieder besser, wofür eine Partei wie die CDU überhaupt steht.