Deutlich mehr als 50.000 Fußballfans fiebern in Winterhude, Altona und auf dem Heiligengeistfeld mit der deutschen Mannschaft. Nach dem intensiven Schlagabtausch waren die Zuschauer fix und foxi.

Winterhude/St. Pauli. Sie hatten die Lage schon früh sondiert. 15Uhr, Stadtpark, Landhaus Walter: „Das sah alles sehr gut aus“, sagt Rainer Schubert. Mit Sohn Benedikt war er auf der Suche nach einem geeigneten Ort zum Fußballgucken am Abend. Was sie fanden, waren Liegestühle, Sandkiste, Riesenleinwand. Kurz: das Hamburger WM-Quartier der allseits respektierten Fachzeitschrift für Fußballkultur „11Freunde“, das zweitgrößte Public Viewing der Stadt. Ein guter Platz, wenn man es etwas kuscheliger mag als beim Fanfest auf St. Pauli. „Genau richtig für uns“, sagt Rainer Schubert, inzwischen mit Sohn Benedikt und Partnerin Kirsten Hübner bei 15 Grad Außentemperatur vor der Leinwand des Landhauses Walter sitzend.

In der Fan-Arena auf dem Heiligengeistfeld war dagegen alles wie gehabt. Schon vor dem Spiel Riesenandrang, Riesenstimmung und auf der Bühne: Riesenhalligalli. Später dann 50.000 Fans und Stadionatmosphäre. Angesichts des Spielverlaufs hin- und hergerissen zwischen Jubel, Trubel, Heiterkeit und Bibbern, Beten, Bangen. „Wer WM fühlen will, muss hierhinkommen“, sagte Fan-Arena-Sprecherin Daniela Scherbring. Das galt auch für Anhänger der gegnerischen Mannschaft, Ghanaer blieben aber hier wie dort wenig überraschend in der Unterzahl.

So vergruben im Stadtpark mehrheitlich schwarz-rot-golden behängte Menschen ihre Füße im Sand vor der Leinwand. Zumindest die, die rechtzeitig einen der begehrten Plätze im Beach-Club ergattert hatten – wie die Kleinfamilie um Kirsten Hübner und Rainer und Benedikt Schubert. Insgesamt sollen 4000 Menschen unter den Bäumen gesessen und gestanden haben. Nicht das schönste Spiel der WM, aber ein Krimi im Park, das Zittern unter Linden, die Schlacht von Schland im Sand. Denn nach dem intensiven Schlagabtausch waren auch die Zuschauer im Stadtpark fix und foxi.

Während die deutsche Mannschaft in Fortaleza mit Hitze, Luftfeuchtigkeit und widerborstigen Ghanaern kämpfte, kämpfte Hamburgs Fernsehkollektiv mit seinen Eindrücken der gegen Hitze, Luftfeuchtigkeit und widerborstige Ghanaer kämpfenden Nationalelf. Viele sahen dabei aus wie Philipp Lahm in der zweiten Halbzeit: einfach nur fertig. Wogen der Begeisterung und der Verzweiflung gingen gleichermaßen durch die Ränge – Führung, Ausgleich, Rückstand, Ausgleich. „Ein großartiges Spiel“, sagte Rainer Schubert. „Kraftraubend“, „nervenzehrend“ kommentierte Tom Bartels nach dem Schlusspfiff. „Und wie!“, stand in den Gesichtern der Stadtparkbesucher.

Den frischen Temperaturen setzten nicht nur die WM-Begeisterten auf dem Heiligengeistfeld und im Stadtpark das wärmende Feuer der Fußballleidenschaft entgegen. Auch vor den Kneipen standen Menschenschlangen, bei privaten Festen wie am Heußweg wurde es voll, und das Private Viewing in der Arena am Altonaer Volkspark, bei dem Besucher in den Genuss einer kostenpflichtigen Rundum-Sorglos-Betreuung kommen, meldete ausverkauft. Deutschlandweit sahen 24 Millionen Menschen das Spiel – öffentliche Übertragungen noch nicht eingerechnet.

Folgerichtig stand das gut besuchte Fanfest bei den deutschen Toren Kopf: Obwohl Trommeln, Tröten und Trillerpfeifen wegen der späten Anstoßzeit und zum Lärmschutz der Anwohner zu Hause bleiben sollten, trötete sich das halbe Heiligengeistfeld in einen Rausch, vereinzelt knallten Böller. 15.000 Liter Bier wurden laut Veranstalter in der Fan-Arena verkauft. Dennoch sei es sowohl während des Spiels, als auch im Anschluss friedlich geblieben. Das bestätigte die Hamburger Polizei. Allerdings verhinderte der mangels Sieg ausgefallene Autokorso nicht, dass die Reeperbahn nach dem Schlusspfiff unter akuter Verstopfung litt. Tausende Fanfestbesucher mussten erst mal runterkommen, und zwar ausgerechnet auf der geilen Meile.


Weniger Probleme bei der Abreise gab es im Stadtpark. Zu Fuß oder auf dem Fahrrad verabschiedeten sich die Besucher des WM-Quartiers von den zwei großen Leinwänden und dem halben Dutzend Flachbildfernseher. „Geil und großartig“, befand Rainer Schubert nach dem Spiel. Er meinte sowohl das Public Viewing als auch das Spiel. Die Welle der Begeisterung schwappte jedenfalls auch in etwas kleinerem Rahmen über die Fangemeinde. Man muss nur einige Quadratmeter Leinwand, ein paar schwarz-rot-goldene Fähnchen und etwa 45.000 Leute abziehen. Dafür war der Sound erstklassig und die Frauenquote überaus hoch.

Hatte Sohn Benedikt anfangs noch mit kalten Füßen auf der Stranddecke gehadert und sich insgeheim auf die heimische Couch zurückgewünscht, machte das aufregende Match diese Sorge vergessen. „Das war schon cool“, sagte er. „Auch wenn ein Sieg schöner gewesen wäre“, ergänzte Kirsten Hübner. Nächstes Mal also wieder im Stadtpark? „Das machen wir vom Wetter abhängig“, sagt die TV-Produzentin. Zudem sei ungewiss, ob der Anstoß des Deutschland-Spiels am Donnerstag um 18 Uhr mit ihren Arbeitszeiten in Einklang zu bringen ist. Ansonsten spreche nicht viel dagegen.