In diesem Jahr feiert die Michael-Stich-Stiftung 20. Geburtstag. Im Abendblatt-Interview spricht der Ex-Tennisprofi über Verantwortung, Lebensgeschenke und seinen Ärger über den Umgang mit dem Thema Aids
In seinem früheren Leben auf den Tennisplätzen dieser Welt spielten Leistung und Disziplin die Hauptrolle. Heute ist es sein größter Wunsch, dass HIV-infizierte und an Aids erkrankte Kinder von der Gesellschaft nicht mehr ausgegrenzt werden. Kurz vor dem Drachenbootrennen, dem traditionellen Spenden-Event auf der Alster, lud Michael Stich zum Gespräch in die Räume der Michael-Stich-Stiftung an der Heilwigstraße.
Hamburger Abendblatt: Seit 20 Jahren setzt sich die gemeinnützige Michael-Stich-Stiftung für HIV-infizierte und an Aids erkrankte Kinder in Deutschland ein. Wie sieht Ihre persönliche Zwischenbilanz aus?
Michael Stich: Nicht missen möchte ich das Gefühl, sehr viel Gutes bewegt zu haben, Menschen geholfen zu haben und dadurch eine persönliche Befriedigung zu bekommen. Das ist nicht jeden Tag so. Es gibt auch Tage, an denen man die Verantwortung, die man für andere Menschen übernimmt, auch gerne mal abgeben würde. Das positive Gefühl überwiegt aber eindeutig.
Waren Sie sich dieser Verantwortung von Anfang an bewusst?
Stich: Ich war damals noch sehr jung, mit 25 Jahren der jüngste Stifter Deutschlands. Dass es die Stiftung ein Leben lang geben wird, habe ich aber erst später begriffen. Als ich 1994 anfing, war der Kontakt noch etwas enger mit den Kindern. Zum Beispiel haben wir sie zu Veranstaltungen wie den BMW Open in München eingeladen. Da waren sie dann ganz beseelt und glücklich. Und zwei Wochen später bekam ich eine Todesanzeige zugeschickt. Das hat mich emotional sehr mitgenommen, ich musste dazu eine gewisse Distanz aufbauen.
Werfen wir mal einen Blick in die Zukunft: Wo steht die Stiftung in 20 Jahren?
Stich: Na ja, ich werde dieses Jahr 46. Wenn wir mal annehmen, dass ich noch 40 Jahre lebe, dann muss ich es wohl noch weitere 40 Jahre machen (lacht). Die Arbeit der Stiftung hat sich im Laufe der Zeit verändert: Von der Soforthilfe und von der Grundidee, Kindern ein Lachen zu schenken, was bis heute die Basis der Stiftung ist, hat sich die Arbeit hin zur Prävention weiterentwickelt. Noch gibt es in der Gesellschaft viele Vorurteile, was die Krankheit betrifft. Betroffene werden von Schulen und Freizeitangeboten ausgeschlossen aus Angst, sie würden andere Kinder anstecken. Mein Wunsch für die Zukunft ist, dass HIV-infizierte und an Aids erkrankte Kinder nicht mehr ausgegrenzt werden. Es sind normale Menschen, die leider eine tödliche Krankheit haben.
Ärgert Sie diese Unwissenheit?
Stich: Ja, und auch die Ignoranz diesem Thema gegenüber. Wenn ich zum Beispiel meine Singlefreunde mit ihren wechselnden Partnern sehe. Die denken, dass das Thema Aids sie nicht betrifft, solange sie sich in ihren Kreisen aufhalten. Ebenso die Generation meines Vaters: Sie vermittelt das Gefühl, dass sie dieses Thema nicht betrifft. Aber sie hat eine Verantwortung den Enkelkindern gegenüber. Aids ist ein generationenübergreifendes Thema. Um auf HIV und Aids aufmerksam zu machen, gehen wir mit Präventionsprojekten vermehrt an Schulen. Wir haben gemerkt, dass der Wissensstand der Schulkinder extrem schlecht ist. Aber sie sind neugierig, Sexualität ist sehr früh ein Thema. Und unsere Hoffnung ist, dass die Kinder das Wissen aus der Schule mit nach Hause nehmen und mit ihren Eltern oder sogar auch Großeltern darüber sprechen.
Mit 45 Jahren haben Sie schon zwei ganz unterschiedliche Leben gelebt: Tennisprofi auf der einen Seite, Stifter und Unternehmer auf der anderen Seite ...
Stich: Ich hatte nie das Ziel, Tennisprofi zu werden, das war eher Zufall. Ich habe es zwar immer geliebt, Tennis zu spielen, aber ich war nie besonders gut. Ich bin mal Landesmeister in Schleswig-Holstein geworden, aber wahrscheinlich nur, weil der Verband zu unserer Zeit einer der schlechtesten war. In meinem letzten Jahr bin ich dann deutscher Jugendmeister geworden. Ich weiß bis heute nicht, warum. Mein Gefühl war, dass es andere gab, die wesentlich besser und erfolgreicher waren als ich.
Trotzdem zogen Sie als 18-Jähriger von Elmshorn nach München und starteten dort Ihre Profikarriere. Haben Ihre Eltern Sie dazu angespornt?
Stich: Nein, gar nicht. Die waren zwar sportbegeistert, aber wenn man meinen Vater im Nachhinein gefragt hätte, hätte er wahrscheinlich gesagt, dass ihm die ganze Tennissache suspekt war. Er, der klassische Kaufmann, und meine Mutter zu Hause bei den Kindern – eine ganz normale Familie, in die die Tenniskarriere eigentlich gar nicht passte. Ursprünglich wollte ich nach dem Abitur Medizin studieren, meinen Geschwistern nacheifern, die beide Informatik studiert hatten. Aber dann wurde ich von Niki Pilic entdeckt. Der hat an mich geglaubt. Dann bin ich ziemlich schnell von Platz 570 auf Platz 120 gestiegen und habe gedacht: Das ist ja einfach. Ich wusste aber immer, dass das nur ein Abschnitt meines Lebens ist, die Vorbereitung auf die nächsten 50 Jahre.
Klingt ziemlich weise. Und das unternehmerische Wissen haben Sie sich so nebenbei auf dem Sportplatz angeeignet?
Stich: Leider nicht, wenn ich bedenke, wie viel Zeit ich als Profi eigentlich dafür gehabt hätte. Aber ich war damals auf das Gewinnen fokussiert, ganz klar. Ein Mathe-Genie war ich nie. Den Blick fürs Kaufmännische habe ich durch meinen Vater mitbekommen. Und der Sport hat mir wirtschaftliche Unabhängigkeit beschert. Das größte Geschenk war allerdings für mich, so viele unterschiedliche Mentalitäten in der ganzen Welt kennengelernt zu haben, rauszukommen aus Elmshorn und Hamburg. Das war wichtiger als das Geld. Und auch heute schlägt mein Herz noch für den Sport. Tennis lässt mich einfach nicht los, allein dadurch, dass ich Turnierdirektor am Rothenbaum bin.
Einfach mal ein paar Bälle schlagen, ohne gewinnen zu wollen. Geht das?
Stich: Im Moment spiele ich wenig Tennis in meiner Freizeit. Ich habe 35 Jahre meines Lebens Tennis gespielt, da verliert man irgendwann den richtigen Drive. Und man muss auch die richtigen Leute finden, die einem nichts beweisen wollen. Aber ich spiele gerne Schaukämpfe vor großem Publikum. Das macht mir immer noch Spaß. Ich werde immer spielen, solange mein Körper das mitmacht. Außerdem gehe ich laufen und fahre Fahrrad. Ich mache gerne Dinge für mich allein. Mit zehn Jungs kicken, das ist nicht so mein Ding.
Fällt es Ihnen leicht, für Ihre Stiftung um Geld zu bitten?
Stich: In manchen Jahren ist es einfacher, in manchen schwieriger. Mein Team und ich haben gelernt zu betteln. Und wir können sehr überzeugend sein. Mein Name ist da natürlich hilfreich. Aber man muss sich schon bemühen und kämpfen und auch mal ein Nein akzeptieren. Das Thema Aids ist leider nach wie vor nicht besonders attraktiv, viele wollen sich damit nicht auseinandersetzen und es auch nicht öffentlich unterstützen. Unsere Hauptveranstaltung ist das alljährliche Drachenbootrennen auf der Alster. Dann gibt es mal ein Golfturnier, mal einen Schaukampf – so sammele ich über das Jahr hinweg Spenden ein. Im Moment überlegen wir, eine Kunst-Charity-Auktion im kommenden Jahr aufzulegen. Solche Events zu entwickeln macht mir Spaß.
Als Stifter haben Sie Vorbildfunktion. Wer hat Sie damals als Tennisspieler beeindruckt?
Stich: Mein Vorbild als Jugendlicher war Jimmy Connors. Geprägt haben mich auch Spielerpersönlichkeiten wie John McEnroe, Ivan Lendl, Pete Sampras und Andre Agassi. Wenn ich die heute bei Schauturnieren treffe, dann ist da immer noch viel gegenseitiger Respekt. Mit einigen bin ich auch heute noch befreundet, zum Beispiel mit Jim Courier. Da gab es auch auf intellektueller Ebene mehr als nur Tennis.
Sind Sie auch mit Boris Becker befreundet?
Stich: Nein, wenn wir uns sehen, dann plaudern wir. Aber privat haben wir keinen Kontakt.
Gehören Sie zu den Menschen, die gerne in alten Fotoalben und Zeitungsartikeln über sich blättern?
Stich: Überhaupt nicht. Meine Mutter hat im Zuge meiner Karriere sehr viele Zeitungsartikel gesammelt. Die habe ich irgendwann mal alle im Kamin verbrannt. Behalten habe ich nur zwei Fotoalben, die Fans für mich gemacht haben. Die Pokale sind die schönste Erinnerung. Generell bin ich niemand, der in der Vergangenheit lebt. Obwohl ich froh und stolz darauf bin, was ich geschafft habe. Und falls ich mal eine Biografie schreiben wollte, dann sollte ich langsam damit anfangen, die Geschichten aufzuschreiben.
Bitte vervollständigen Sie den Satz: Wäre ich nicht Tennisprofi geworden, dann ...
Stich: ... hätte ich mich sicherlich auch sozial engagiert, da ich immer eine soziale Ader hatte. Schon als Klassensprecher habe ich mich für Mitschüler eingesetzt, die ungerecht behandelt wurden.