„Hamburger Begegnungen“: Ein Lufthansa-Kapitän trifft einen Segelflugpiloten im Cockpit des Airbus A340-600. Für den einen ist die Fliegerei Beruf, für den anderen Hobby.
Fuhlsbüttel. Heute heben die beiden nicht ab, sondern bleiben auf dem Boden – relativ zumindest. Als Treffpunkt für Teil fünf der „Hamburger Begegnungen“ wurde ein Hangar auf dem streng abgeschirmten Gelände von Lufthansa Technik am Rande des Flughafens Fuhlsbüttel gewählt. Es geht um Unterschiede, die sich anziehen.
Über eine Stahltreppe führt der Weg in den Bauch des Airbus 340-600 „Saarbrücken“, der gerade gewartet wird. Die Maschine mit maximalem Startgewicht von 368 Tonnen ist aufgebockt. Werkstatt eben. Sieht gigantisch aus. Im Flugbetrieb befinden sich bis zu 345 Passagiere und 17 Crewmitglieder in dem vierstrahligen Großraumflugzeug mit den gewaltigen Turbinen. Heute hantieren ein paar Mechaniker am Rumpf des mit 75,30 Metern zweitlängsten Verkehrsflugzeugs der Welt. Listenpreis: gut 200 Millionen Euro.
An Bord schreitet Jan-Eric Altendorf zielsicher voraus Richtung Cockpit. Schließlich kann sich der Mann hier zu Hause fühlen: Seit 2009 ist der gebürtige Hamburger Kapitän auf dem A340. Startpunkt Lufthansa-Basis München. Wie es der Zufall will, steuerte Altendorf genau diese Maschine mit dem Kennzeichen D-AIHL vor einiger Zeit von Frankfurt nach Doha am Persischen Golf.
Willkommen zurück im Cockpit. Für seinen Begleiter Jens-Arne Reumschüssel ist die Kommandozentrale mit der auf den ersten Blick unüberschaubaren Instrumentenwelt Neuland. Der Jurist ist passionierter Segel- und Kunstflieger. Als Vorsitzender des Segelflugclubs Fischbek mit 70 Mitgliedern kann er auf sieben Vereinsmaschinen zurückgreifen. Alles ist mehr als eine Nummer kleiner, indes keinen Deut weniger faszinierend.
Es gibt enorme Unterschiede zwischen den Welten dieser beiden Piloten, aber auch entscheidende Gemeinsamkeiten. Letzteres wird sich später herausstellen. Im Nu sind die beiden Kollegen per Du – und mittenmang. Für den einen ist die Fliegerei Beruf, für den anderen Hobby. Der eine hat meist volles Haus an Bord, der andere schwebt mutterseelenallein durch die Lüfte. Der eine lässt eine Menge automatisch laufen, der andere legt unentwegt selbst Hand an. Der eine donnert mit 900 Kilometern pro Stunde in 12.000 Metern um die Welt, der andere genießt seine Freizeit in 500 bis 3000 Metern Höhe mit 80 bis 200 Kilometern pro Stunde. Erhaben ist das Gefühl so und so.
Außerdem das Herzblut für die Luftfahrt und Begeisterung für die Freiheit unter oder über den Wolken – mit Blick bis zum Horizont. So sollen sie sein, die „Hamburger Begegnungen“: die Hand ausstrecken, im wahrsten Sinn des Wortes, den Blick über den Tellerrand richten, frei von Scheuklappen Neues erfahren: Typisch hamburgisch ist das. Jeder hat seinen Stolz. Und für beide ist Abheben das Höchste.
Altendorf nimmt auf dem linken Pilotensitz Platz, Reumschüssel rechts. Der Lufthansa-Kapitän schaltet die Instrumente ein. Mit vielfach geübtem Griff. Der Laie ist verblüfft: Monitore leuchten; oben, unten und seitwärts blinkt es. Dutzende Druckknöpfe, Schalthebel und Instrumente lassen erahnen, welche Technik erforderlich ist, diesen Hightech-Koloss in die Luft zu heben und punktgenau sicher zu landen. Altendorf erläutert, wie er während eines Langstreckenflugs mit ökonomischem Fliegen weit mehr als 1000 Liter Kerosin sparen kann – je nach Höhe, Wetter und Wind.
Klar, dass beim Segelfliegen ganz andere Verhältnisse herrschen. „Bei uns sind die Flüge kurz und steil“, sagt Jens-Arne Reumschüssel, „und meistens falsch herum.“ Gemeint sind Loopings und seine Starts auf dem mehr als 100 Jahre alten Flugplatz in der Fischbeker Heide, südlich von Finkenwerder. Im Schnitt müssen die Mitglieder 15Euro pro Stunde zahlen, um abzuheben.
Zum Beispiel mit dem rund 120.000 Euro teuren Fox, einem Segelflugzeug, mit dem das Spektrum an Kunstflugfiguren solo oder doppelsitzig geflogen werden kann. Mit 350 Kilogramm wiegt der Fox einen Bruchteil des Airbus; die Länge von 7,38 Metern entspricht einem Zehntel des ganz großen Bruders. Und das Cockpit ist übersichtlicher, geradezu „spartanisch“, wie Reumschüssel meint: Höhenmesser, Variometer, Fahrtmesser (Tacho), Funkgerät, G-Messer für die Beschleunigung. Die Fluggeräte werden mittels Winde und Stahlseil nach oben gezogen, quasi wie beim Drachensteigen, oder von einem zweiten Flugzeug. Während akrobatische Kunstflüge mit Loopings und Schrauben kaum mehr als ein bis zwei Minuten dauern, kann das Segeln stundenlang dauern. Je nach Thermik.
„Und wenn du auf dem Acker landest, solltest du dem Bauern einen Fuffziger in die Hand drücken“, wirft Altendorf ein. Woher weiß er das? Von seinem Vater Günter, so die Antwort. Der heute 76-Jährige sei ein „Luftfahrtverrückter“, der „seit 1951 praktisch alles fliegt, was eine Tragfläche hat“. Wasser- oder Kufenflugzeuge zum Beispiel, sogar Drachenfliegen stand auf dem Programm. Und riesige Exemplare wie den Jumbo. Günter Altendorf war ebenfalls Flugkapitän in Diensten der Lufthansa. Ein Jahr lang saßen beide Seite an Seite im Boeing-Cockpit: der Senior als Kapitän, der Junior als Kopilot.
Und wie fing alles an, Herr Altendorf? „Erbbedingt habe ich Kerosin im Blut“, entgegnet er. Mutter Margot arbeitete zwölf Jahre als Stewardess für Air France und Lufthansa. Der kleine Jan-Eric düste schon im Maxi-Cosi um den Erdball. Als Schulkind begleitete er seinen Vater in den Ferien im Cockpit. Zur Freude der Passagiere durfte der Buttje manchmal das Essen einsammeln. New York, Rio, Tokio – und noch viel mehr. Mit 16 Jahren hob er nach einem Fliegerkurs auf Juist an Bord eines Motorseglers Marke Falke erstmals alleine ab. Im Anschluss an das Abitur lernte Altendorf zweieinhalb Jahre die hohe Schule der professionellen Luftfahrt: „Mein Kindheitstraum war in Erfüllung gegangen.“
Auch Pilotenkollege Jens-Arne Reumschüssel hatte von Kindesbeinen diese ganz besondere Höhenluft im Sinn. Faszination Flugzeug. Wenn er die Segelflieger über Fischbek schweben sah, hüpfte sein Herz. Mit zwölf Jahren wollte er im Club mitfliegen, das wurde altersbedingt abgelehnt. Mit 14 war es dann so weit. Ein Jahr später, am 3. September 1989, stieg die Premiere. Ganz alleine. Ganz oben. Das Datum ist unvergessen. Mit 17 Jahren hat er die Privatpilotenlizenz in der Tasche.
Altendorf lauscht gebannt den Worten seines Gesprächspartners. Nur zu gut versteht er diese Leidenschaft, denn er teilt sie ja. Während seine Schulterklappen vier Streifen zieren, trägt Reumschüssel auf seiner Jacke drei Kraniche. Der Kranich der Lufthansa muss dagegen alleine fliegen.
Da der Jurist Reumschüssel die Fliegerei als Hobby betreibt, Altendorf dagegen beruflich oben ist, zählt hier kein Vergleich. Beide führen akkurat ihre Flugbücher. Jedes Detail ist gelistet. Lufthansa-Kapitän Altendorf war mit dem Airbus gerade in Seattle, demnächst geht es nach San Francisco. Er kommt auf 15.000 Flugstunden und zwölf Millionen Kilometer. 286 Erdumrundungen sind das locker. Reumschüssel hat 305,46 Stunden ganz oben notiert. Eben nicht lang und weit, sondern kurz und steil, auch das ist ein Unterschied.
Das Gespräch gewinnt an Fahrt. Und an Tiefe. Oder an Höhe, ganz wie man will. Stichworte sind Autopiloten, Sicherheit, private Urlaubsziele, die jeweiligen Schwierigkeiten, die Gewerkschaft Cockpit, der Deutsche Aeroclub, Reumschüssels Faible auch für Cessnas, um das erhebende Gefühl, die Welt von oben zu betrachten.
„Über den Wolken ist die Freiheit nicht immer grenzenlos“, sinniert der Kapitän. Auflagen und viel Verkehr engen den Spielraum ein. Dennoch mache der Beruf grandiosen Spaß und beschere Glücksgefühle erster Klasse. Es sei erfüllend, ein großes Fluggerät wie den Airbus 340 präzise durch die Luft zu bewegen. „Es ist immer wieder von Neuem reizvoll, sich praktisch Flügel anzuziehen, eine Maschine zu beherrschen und frei durch die Lüfte zu gondeln“, ergänzt der Hobbypilot. Übereinstimmend stellen sie fest: „Wir erleben und sehen Sachen, von denen andere nur träumen können.“
Nicht nur, weil es so schön passt: Drei Stunden sind wie im Flug vergangen. Zum Schluss berichtet Jan-Eric Altendorf von seiner Zusatzaufgabe als Ausbilder für die Lufthansa. Er schult Piloten auf „seinen“ Airbus 340-600 um. Einsätze in einem Flugsimulator gehören dazu. „Geht es vielleicht, dass ich ...?“, fragt Jens-Arne Reumschüssel. Na klar. Beide Luftfahrtfreaks verabreden sich. Bald geht es los. Man kann eben auch abheben, wenn man am Boden bleibt. Relativ zumindest.