Hamburger Wirtschaftsprofessor Wolfgang Maennig präsentiert revolutionäre Ideen für eine Bewerbung. Die Olympischen Spiele würden die Hansestadt schneller fit für die nächsten 50 Jahre machen.
Hamburg. Es mag ungewöhnlich klingen, dass bei einem Kongress, der sich den Titel „Sport und Stadtmarketing“ gibt, gleich der erste Redner die ökonomischen Aspekte des Sports kleinredet. „Ich habe Lust auf das Thema Olympia“, sagt Hamburgs Sportsenator Michael Neumann (SPD) in seinem Grußwort zum 14. Hamburger Symposium Sport, Ökonomie und Medien im Millerntor-Stadion des FC St.Pauli, „aber nicht, weil wir dadurch eine neue U-Bahn-Linie bauen könnten. Das haben wir ohnehin vor. Sondern weil die Spiele einen guten Geist in die Stadt brächten und Hamburg noch schneller fit für die nächsten 50 Jahre machen würde.“ Beim Sport ständen für ihn „ehrliche Begeisterung und die Freude an Bewegung“ im Vordergrund und weit weniger die ökonomische Verwertbarkeit. Sport sei auch deshalb eine großartige Idee, weil es Werte vermittle und es nicht nur um Geld gehen dürfe.
Berlin und Hamburg sind die Kandidaten des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB), der eine Olympiabewerbung für die Sommerspiele 2024 oder 2028 plant. Bis zum 31. August sollen beide Städte einen Fragenkatalog beantworten, der 13 Komplexe umfasst. In Hamburg diskutiert seit vergangenem Montag eine Projektgruppe aus Behördenvertretern im Sportamt am Schopenstehl diese Thematik, in Berlin dagegen äußersten sich Vertreter aus Politik und Sport zuletzt skeptisch, ob die Fragen in dem vorgegebenen Zeitrahmen sinnhaltig zu beantworten seien. Das DOSB-Präsidium will nach Auswertung der Antworten Mitte September oder Ende Oktober entscheiden, welcher Kandidat der Mitgliederversammlung am 6. Dezember zur Schlussabstimmung präsentiert werden soll. Für die Sommerspiele 2024 endet die Bewerbungsfrist beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC) Ende nächsten Jahres.
Wolfgang Maennig, 54, Professor am Institut für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg, hält den vom DOSB angeschobenen Prozess für nicht mehr zeitgemäß. Er fordert in seinem viel beachteten Vortrag, Olympia neu zu denken, indem man sich an die Geschichte der Bewegung erinnere. Für Olympia seien einst keine Städte neu- oder umgebaut worden, die Spiele wären in vorhandene bauliche Strukturen eingebettet worden. „Warum nutzt man heute nicht leer stehende Fabrikgebäude oder -hallen, warum könnten in Hamburg die Schwimmwettbewerbe nicht in ausrangierten Lastkähnen stattfinden“, fragt Maennig, 1988 Ruder-Olympiasieger im Achter. „Es ist Zeit für weniger und Zeit für anders.“ Man brauche keine Schwimmhalle für 18.000 Besucher, die, da für alle späteren Wettbewerbe überdimensioniert, hinterher keiner nutzt. Gigantismus sei von gestern, Nachhaltigkeit das Gebot der Stunde. Auch das IOC ist unter seinem neuen Präsidenten Thomas Bach inzwischen auf dieser Fährte, weil Olympische Spiele ansonsten pluralistischen Gesellschaften nicht mehr zu vermitteln sind.
Ist Olympia schon reif für Veränderungen?
Maennig sagt, er sei zwar ein Freund der repräsentativen Demokratie, an der unmittelbaren Beteiligung der Bevölkerung bei der Gestaltung von Großprojekten komme in Deutschland im Moment jedoch niemand vorbei. Er schlägt deshalb für die Hamburger Bewerbung vor, die Meinung der Menschen über das Internet einzuholen: „Da werden skurrile Ideen kommen, Vorstellungen, die nicht umsetzbar sind, aber es werden Vorschläge dabei sein, die denjenigen nicht einfallen dürften, die sich seit Jahren mit diesen Themen vielleicht zu professionell beschäftigen.“ Diesen Fundus zu heben erhöhe nicht nur die Akzeptanz für die Ausrichtung Olympischer Spiele, „davon kann eine enorme Bereicherung für die Stadtentwicklung ausgehen“.
Hamburg hat auf diesem Feld bereits erste Erfahrungen gemacht. Für die Bewerbung um die Spiele 2012, erinnert der Sportsoziologe Hans-Jürgen Schulke, Professor an der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation, lag ein Gestaltungskonzept des olympischen Dorfes vor, das sich am Design des österreichischen Künstlers und Umweltschützers Friedensreich Hundertwasser (1928–2000) orientierte. Damals schien vielen die Idee zu revolutionär, die Stadt ging schließlich mit konventionellen Plänen in die am Ende aus politischen Gründen gescheiterte Bewerbung.
Maennig ist unsicher, ob Olympia schon reif sei für Veränderungen, „aber man würde mit einer kreativen von der Bevölkerung getragenen Bewerbung weltweit beachtete Akzente setzen, Denkprozesse anstoßen, die irgendwann zu einem Zuschlag führen könnten“. Auf keinen Fall sollte man sich jedoch der Illusion hingeben, mahnt der Wirtschaftswissenschaftler, langfristig wesentliche ökonomische Effekte mit Olympischen Spielen oder anderen Großveranstaltungen erzielen zu wollen. „Dafür gibt es bisher keinen wissenschaftlichen Beleg.“ Die Spiele seien gut für die Stimmung in der Stadt, das Selbstwertgefühl der Bürger, für den Breiten- und Spitzensport, die globale Bekanntheit. „Hierfür wird ein Preis bezahlt“, sagt Maennig, „und der war in den olympischen Überbietungswettbewerben der vergangenen zwei Jahrzehnte doch sehr hoch.“