Marianne von Köhnemann betreut ihren Mann zu Hause. So wie 18.000 Angehörige in Hamburg. Heute ist bundesweiter Aktionstag

Poppenbüttel. Als Marianne von Köhnemann ihren Mann Klaus kennenlernte, das ist mehr als 56 Jahre her, verliebte sie sich wohl auch deswegen in ihn, weil er ein so erstklassiger Tänzer war. Wenn die 79-Jährige von dieser Party in Mannheim erzählt, auf der sie ihren späteren Ehemann zum ersten Mal traf und auch mit ihm tanzte, streichelt sie über die Hand ihres Mannes, der unter ihrer selbst gestrickten Mohairdecke in seinem Sessel am Wohnzimmerfenster sitzt. Daneben steht sein Rollator. „In guten wie in schlechten Zeiten“, wollten sie zusammenhalten, das hatten sie sich bei ihrer Trauung versprochen.

Nach der guten Zeit, in der die von Köhnemanns zu Hause in Poppenbüttel vier Kinder großgezogen haben, sind es nun die schlechteren Tage, die sie gemeinsam meistern. Der gute Tänzer von einst, der als Landmaschineningenieur gearbeitet hat, ist ein Pflegefall und Marianne von Köhnemann eine von rund 18.000 Menschen in Hamburg, die als Angehörige ihre Lieben zu Hause pflegen. In Hamburg gibt es 47.000 Pflegebedürftige (Stand 2011), etwa 32.000 werden zu Hause gepflegt, davon 18.000 wie Klaus von Köhnemann ausschließlich durch Angehörige.

Das Diakonische Werk und andere Sozialverbände fordern von der Politik ein Rettungspaket für die Altenpflege, damit „würdevolle Pflege, gerechte Finanzierung, familiäre Entlastung und attraktive Ausbildung“ weiterhin möglich sind. Denn es sind Menschen wie Marianne von Köhnemann, auf die es ankommt. „Die pflegenden Angehörigen sind das große Gut, das wir unbedingt erhalten müssen“, sagt Katrin Kell von der Diakonie Hamburg. Ausgebildetes Pflegepersonal sei kaum zu finanzieren, außerdem vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels auch kaum zu bekommen. Von den Pflegekassen wünscht sich die Diakonie, dass diese die Angehörigen offensiver auf ihre Leistungen hinweisen. „Viele Angehörige wissen überhaupt nicht, was ihnen zusteht“, so Katrin Kell.

Marianne von Köhnemann pflegt seit anderthalb Jahren ihren Mann. 2006 erlitt er einen Schlaganfall und später einen Herzinfarkt im Krankenhaus. Der 85-Jährige hatte das gut überstanden, doch dann hat sich sein Zustand so verschlechtert, dass Marianne von Köhnemann auf Anraten des Hausarztes Pflegestufe 1 beantragt hat. Ihrem Mann wurde eine erhebliche Pflegebedürftigkeit bescheinigt. 235 Euro gibt es monatlich von der Pflegeversicherung. Es ist vor allem seine Unbeweglichkeit, die ihren Mann so hilfsbedürftig macht. Ist er mit dem Rollator unterwegs, kann es immer sein, dass er fällt. So wie neulich, als er im Wohnzimmer in die Glasvitrine gestürzt war. Zum Glück zog sich Klaus von Köhnemann nur eine Prellung am Kopf zu. Dazu kommen Sprachstörungen und erhebliche Schluckbeschwerden, sodass seine Frau ihm seine Mahlzeiten in Breiform zubereitet und ihn füttert. Sein Kurzzeitgedächtnis habe nachgelassen, aber dement sei er nicht. Marianne von Köhnemann, die einen Schwerbehindertenausweis hat, starke Asthmatikerin ist und unter Rückenschmerzen leidet, muss ihrem Mann bei allem helfen. Sie zieht ihn an und aus, sie wäscht und duscht ihn. Zwei-, dreimal in der Nacht bringt sie ihn zur Toilette.

Heute ist sie besonders müde. Die vergangene Nacht war anstrengend: Damit ihr Mann richtig im Bett liegt, braucht es einen Ruck, mit dem Marianne von Köhnemann ihn in Position schiebt. Um 4 Uhr morgens war dieser Ruck etwas unglücklich, sodass ihr Mann aus dem Bett fiel. Sie hat es geschafft, ihn wieder aufzurichten. „Noch kriegen wir es hin. Es kann aber irgendwann sein, dass ich es nicht mehr schaffe“, sagt sie. Doch eine fremde Hilfe im Haus zu haben, die ihren Mann pflegt – so weit ist Marianne von Köhnemann noch nicht. Auch wenn es schwierig ist, von der Ehefrau zur Pflegekraft zu werden. Im Alltag funktioniert sie, doch in manchen Momenten wird sie nachdenklich. „Manchmal ist es schwierig für mich, zu sehen, was aus einem Menschen wird in all den Jahren.“ Und auch für ihren Mann ist es nicht einfach. „Alt werden macht keinen Spaß“, sagt er. Marianne von Köhnemann ist pragmatisch: „Ich sehe es als meine Verpflichtung und hadere nicht.“

Je länger sie sich allein um ihren Mann kümmert, desto schwieriger wird es nach Erfahrung von Gabriele Schröder werden, irgendwann doch Hilfe ins Haus zu holen. Gabriele Schröder leitet beim Diakonischen Werk die Hamburger Angehörigenschule. Die Schule hat im vergangenen Jahr 108 Kurse für Menschen angeboten. „Was pflegende Angehörige vor allem benötigen ist Wertschätzung und Anerkennung“, sagt Gabriele Schröder. Viele seien gesellschaftlich isoliert, weil sich Freunde abwenden oder weil sie selbst nicht mehr die Energie haben, soziale Kontakte aufrechtzuerhalten. Die meisten pflegenden Angehörigen sind älter als 68 Jahre und körperlich nicht mehr fit. Dazu kommen Belastungen durch wenig Schlaf und das schlechte Gewissen, doch nicht alles leisten zu können. Schröder fordert für Menschen wie Marianne von Köhnemann kostenfreie Kur- oder Erholungsangebote.

Seit vergangener Woche besucht Klaus von Köhnemann zweimal in der Woche eine Tagespflege. „Zuerst fühlte es sich an, als würde ich ihn abschieben“, sagt Marianne von Köhnemann. „Aber für mich bedeutet es Freiheit, und mein Mann gönnt es mir auch.“ Isoliert ist Marianne von Köhnemann nicht. „Ich habe meinen Kaffeeklatsch mit meinen Freundinnen. Dieser Austausch ist wichtig.“