Das Unternehmen Amplifon will kleinere Konkurrenten übernehmen und die Zahl der Filialen verdoppeln. Das Geschäft ist höchst lukrativ. Denn die Deutschen werden älter, hören schlechter.

Hamburg. Sie sind winzig, viele sogar kaum noch sichtbar – längst handelt es sich nicht mehr um die dicken fleischfarbenen Plastikungetüme hinter dem Ohr. „Es hat sich in den vergangenen Jahren viel getan. Hörgeräte werden jetzt meist mit Chips statt mit großen Batterien betrieben“, sagt Robert Leitl, Deutschland-Chef des italienischen Unternehmens Amplifon, das weltweit die Nummer eins in der Branche ist. Die bundesweite Zentrale des Unternehmens sitzt in Hamburg. Das Geschäft ist höchst lukrativ. Denn die Deutschen werden älter, hören schlechter. 13 Millionen Bundesbürger müssten eigentlich schon heute eine kleine Muschel im Ohr tragen, doch tatsächlich sind es bisher nur 2,5 Millionen, die sich zu ihrer Hörschwäche bekennen.

Das Geschäft brummt trotz dieser Zurückhaltung. Im Jahr 2012 lag der Branchenumsatz bei 1,3 Milliarden Euro durch den Verkauf der Geräte und die Wartung. Für 2013 gibt es noch keine Zahlen, sie werden aber aller Voraussicht nach weiter steigen. Noch ist der Markt von kleinen Betrieben bestimmt, die höchstens zehn Geschäfte haben. Rund 60 Prozent der bundesweit 5000 Filialen gehören zu dieser Gruppe. Hier will Amplifon künftig noch stärker mitmischen, denn das Unternehmen plant weitere Übernahmen. „Als wir im Jahr 2005 in Hamburg unsere Deutschland-Zentrale eröffneten, haben wir in kurzer Zeit 23 Betriebe von verschiedenen Anbietern gekauft“, sagt Leitl. Die Integration war anspruchsvoll, denn die neuen Filialen hatten weder ein gemeinsames IT-System noch die gleiche Hausbank. „Zwischenzeitlich hatten wir sogar 58 verschiedene Bankkonten“, sagt Leitl, der 2008 ins Unternehmen kam und Amplifon unter anderem ein einheitliches IT-System verpasste. „Es war eine schwierige Phase. Die übernommenen Mitarbeiter wussten am Anfang noch nicht, wohin die Reise geht. Und für uns war es am wichtigsten, alle Beschäftigten zu halten. Denn am Markt gibt es nicht so viele gute Hörakustiker“, sagt er. Lediglich 300 Meister machen bundesweit jedes Jahr ihren Abschluss.

Im Jahr 2012 stand die neue Struktur, und Leitl konnte sich um das Thema Expansion kümmern. Inzwischen betreibt das Unternehmen 188 Filialen, vorwiegend in Nord- und Ostdeutschland. Niedersachsen, Berlin und Nordrhein-Westfalen sind wichtige Märkte. In Hamburg hat Amplifon 22, im direkten Umland zehn Filialen. Auch im Saarland und in Bayern ist das Unternehmen präsent. Inzwischen beschäftigt Amplifon mehr als 600 Mitarbeiter, darunter 45 in der Hamburger Zentrale. „Innerhalb der nächsten drei Jahre wollen wir die Zahl unserer Geschäfte verdoppeln“, sagt Leitl. Die einzige Bremse für mehr Wachstum sei der Mangel an qualifiziertem Personal. Auch deshalb hat Amplifon in der Hamburger Zentrale eine Ausbildungswerkstatt eingerichtet. Nicht nur den bundesweit 100 Lehrlingen wird dort das berufliche Rüstzeug mitgegeben. Auch Gesellen und angehende Meister können sich in der Werkstatt weiterbilden.

Der Beruf des Hörgeräteakustikers ist anspruchsvoll. Er passt nicht nur ein Gerät exakt auf die Hörprobleme des Kunden an. Bei dieser Arbeit geht es nicht zuletzt darum, dass der Kunde die für ihn wichtigen Geräusche oder Stimmen aus einem breiten Klangteppich herausfiltert. „Der Kunde kann verschiedene Geräte mehrere Wochen lang in Alltagssituationen testen, ehe er sich für eine Variante entscheidet“, sagt Leitl. Zudem gibt es bei Amplifon ein Team, das die Kunden zu Hause oder im Seniorenheim besucht.

Die Geräte sind in den vergangenen Jahren nicht nur kleiner geworden, sondern sie verfügen auch über mehr Technik. So wird inzwischen in guten Geräten das Filtern von Störgeräuschen automatisch reguliert. Das Abrufen individueller Einstellungen für situative Hörsituationen kann am Gerät selbst oder über eine Fernbedienung erfolgen. Es gibt mittlerweile auch Apps für Hörgeräte. Über sie lassen sich zum Beispiel die Nebengeräusche je nach Belieben ändern. Damit man diese Einstellungen nicht jedes Mal aufs Neue auswählen muss, nutzt die App auch ein Navigationssystem des Smartphones. Ähnliche Funktionen bieten auch andere Hörgeräte mit einer Fernbedienung. Die Anwendung funktioniert nicht nur mit dem iPhone, sondern auch mit anderen Geräten wie dem iPad und dem iPod Touch der neueren Generation. Die Befehle werden via Bluetooth vom Apple-Gerät an das Hörgerät übermittelt.

Durch die neue Technik steigen die Preise. Ein qualitativ gutes Gerät kostet pro Paar nicht selten 3000 Euro. Im Gegensatz zu früher, als die kostenlosen Kassengeräte noch oft wegen ihrer Fiepsgeräusche störten, haben die heutigen den technologischen Wandel mitgemacht. Sie reichen bei vielen Menschen aus. Während Ketten wie Kind mit mehr als 700 Filialen in Deutschland, Geers mit mehr als 600 Geschäften und Amplifon als Nummer drei in Deutschland immer weiter wachsen, haben es die 5000 kleinen Filialisten mit weniger als zehn Geschäften nicht gerade leicht. Nicht nur die Kostenvorteile beim Einkauf großer Stückzahlen, welche die kleinen Unternehmen nicht erzielen können, belasten die Geschäfte. Der Konkurrenzdruck ist immens.

Diese Entwicklung will Amplifon für seine Expansionsstrategie nutzen. Rückenwind bekommt Leitl vom italienischen Mutterkonzern, den der Engländer Algernon Charles Holland 1950 in Mailand gründete. Er hatte zuvor bei einem Flugzeugabsturz ein Knalltrauma erlitten und begann wegen seiner Hörprobleme, nach technischen Lösungen zu suchen. Heute ist das Unternehmen mit einem Marktanteil von neun Prozent Weltmarktführer.