Henning Voscherau ist Aufsichtsrat eines Joint Ventures mit der russischen Gazprom. Ole von Beust arbeitet für eine staatliche türkische Agentur. Nun gibt es Kritik an der Nähe der früheren Senatschefs zu Wladimir Putin und Recep Erdogan.
Es ist nicht leicht, Gerhard Schröder zu sein. Oder Henning Voscherau. Oder Ole von Beust. Auch wenn die politische Karriere längst beendet ist, werden frühere Amtsträger weiter von der Öffentlichkeit beobachtet – ganz besonders kritisch wird beäugt, wie sie ihr Geld verdienen und mit wem sie sich bei der Rückkehr in den Beruf so einlassen. Auch nach Ende der Amtszeit erwartet man in Deutschland die Einhaltung der hohen moralischen Standards, die hierzulande für die Mitglieder der politischen Klasse gelten.
Die beiden früheren Hamburger Bürgermeister Voscherau und von Beust geraten genau deshalb dieser Tage wieder verstärkt in die Kritik. Voscherau, der jüngst an der umstrittenen Geburtstagsfeier Gerhard Schröders in St. Petersburg teilnahm, ist seit 2012 Chef des Aufsichtsrats der South Stream Transport B.V. mit Sitz in Amsterdam, einem Joint Venture mit Unternehmen aus Deutschland, Italien und Frankreich, die zusammen 50 Prozent der Aktien halten – die restlichen 50 Prozent gehören dem russischen Unternehmen Gazprom, das allerdings im Vorstand und im Aufsichtsrat nicht die Mehrheit hat.
Ziel des Unternehmens ist der Bau einer Gaspipeline von Russland durch das Schwarze Meer bis Bulgarien. Schon bei Amtsantritt ist Voscherau für sein Engagement kritisiert worden. Die Grünen-Menschenrechtsbeauftragte Marieluise Beck sagte, es sei das Ziel von South Stream „die russische Gasmacht über den europäischen Gasmarkt auszubauen“. Wenn sich mit Henning Voscherau nach Ex-Kanzler Schröder „ein zweiter früherer deutscher Spitzenpolitiker in den Dienst eines solchen Projektes begibt, steht er den Interessen der deutschen und europäischen Gaspolitik, die auch auf politische Unabhängigkeit zu achten hat, entgegen“, sagte Beck.
„Grundsätzlich plädiere ich für ein Abstandsgebot“
Der aktuelle Konflikt um die Ukraine und die völkerrechtswidrige Übernahme der Krim durch Russland, macht das Engagement Voscheraus für das Vorhaben des russischen Staatsunternehmens nicht unbedingt weniger heikel. Die Reaktion auf die Party, die Ex-Kanzler Schröder mit dem russischen Präsidenten Putin in dieser Woche feierte, zeigt, wie wenig Verständnis es in Deutschland für derlei Kumpanei mit als autokratisch geltenden Regierungschefs gibt.
Ähnliches gilt für Ex-Bürgermeister Ole von Beust. Er berät zusammen mit dem früheren Grünen-Staatssekretär Rezzo Schlauch seit zweieinhalb Jahren die staatliche türkische Investitionsagentur Ispat, die Investoren für die Türkei begeistern sollen. Dass die Türkei unter dem Ministerpräsidenten Recep Erdogan nicht gerade als vorbildliche Demokratie gilt, ist für von Beust dabei offenbar kein großes Problem. Dabei hat die scharfe Kritik von Bundespräsident Joachim Gauck in dieser Woche die Frage erneut aufgeworfen, wie ernst es die Türkei mit der Demokratie nimmt. Er beobachte mit Sorge Tendenzen, den Rechtsstaat und die Gewaltenteilung zu beschränken, hatte Gauck bei seinem Türkei-Besuch gewarnt.
Scharfe Kritik am Engagement der beiden Ex-Bürgermeister kam in dieser Woche vom Hamburger Verfassungsrechtler und früheren CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Professor Ulrich Karpen, der zahlreiche Regierungen und Parlamente in Lateinamerika, auf dem Balkan, in der ehemaligen Sowjetunion, in Afghanistan und Irak und in Afrika beraten hat. „Grundsätzlich plädiere ich für ein Abstandsgebot: Wenn Politiker aus ihren Ämtern ausscheiden, sollte es einen zeitlichen Mindestabstand für eine neue Tätigkeit geben. Leider gibt es dafür in Deutschland keine Regelungen“, sagte Karpen auf Anfrage des Abendblatts.
Es ist eine moralische Frage
Voscheraus und von Beusts Engagement für Gazprom beziehungsweise für die türkische Regierung halte er „für problematisch, in Wahrheit für anfechtbar“, sagte Karpen. „Denn beide Regierungen entsprechen nicht unserer Vorstellung von Demokratie. Russland driftet ab in menschenrechtsfeindliche, völkerrechtswidrige Gefilde, und auch die Türkei entwickelt sich derzeit in eine autokratische Richtung. Ich halte es für frühere Hamburger Bürgermeister nicht für angemessen, sich in den Dienst solcher Regierungen zu stellen.“
Das sei vor allem eine moralische Frage, „aber eine moralische Frage in der Politik, die uns alle angehen muss“, so der Jurist. „Es wäre besser, wenn Repräsentanten unserer Demokratie, die in ihren Ämtern den Mantel der demokratischen Rechtsstaatlichkeit getragen haben, diesen nicht im Schrank hängen lassen, wenn sie aus dem Amt ausscheiden. Mittlerweile müssen wir uns in Sachen politischer Moral wie dem Abstandsgebot schon Ratschläge von Staaten holen, die wir früher selbst beraten haben, wie zum Beispiel Südafrika. Das ist keine gute Entwicklung.“
Noch schlimmer ist für Karpen allerdings das Verhalten von Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder. „Einen Fall wie den von Ex-Kanzler Gerhard Schröder, der nach seinem Ausscheiden für Putins Gazprom tätig geworden ist, hätte ich früher nicht für möglich gehalten“, sagt der Verfassungsrechtler. „Dass Schröder Putin dann auch noch einen ‚lupenreinen Demokraten‘ nennt, ist eine Verdummung des Publikums.“
Henning Voscherau weist die Kritik an seiner Tätigkeit im Gespräch mit dem Abendblatt zurück. „Wir Hamburger wissen seit Jahrhunderten, dass freier, friedlicher Warenaustausch den Interessen aller Beteiligter dient. Wechselseitige wirtschaftliche Abhängigkeiten bauen Brücken und sichern Frieden. Und es geht um Versorgungssicherheit für Familien und Betriebe – ein klares deutsches Interesse“, sagt Voscherau. Lobbyarbeit gehöre nicht zu den Aufgaben der South Stream Transport B.V.
Voscherau kann Kritik nicht verstehen
Er sei durch eine Initiative seines Bruders, dem BASF-Aufsichtsratschef Eggert Voscherau, in Abstimmung mit dem Vorstandsvorsitzenden von Wintershall – das Unternehmen ist der deutsche Part in dem Joint Venture – in den Aufsichtsrat berufen worden. „Verpflichtet habe ich mich bis Ablauf des Jahres 2014, und ich pflege mein Wort zu halten“, sagt Voscherau.
Angesprochen auf die russische Politik und die Lage in der Ukraine fügte der Altbürgermeister hinzu: „Wer Frieden will, muss beide Seiten sehen – das war das Geheimnis der Ost- und Friedenspolitik Willy Brandts. Sogar Kissinger, Gorbatschow, Schmidt und Bahr wurde Einseitigkeit vorgeworfen, als sie sich besorgt zur Ukraine äußerten. Aber aus der Krise darf kein Krieg werden, erst recht kein Weltkrieg.“ Deshalb müssten die Verantwortlichen miteinander reden, statt aggressiv übereinander. „Europa wurde vor 100 Jahren von ‚Schlafwandlern‘ ins Verderben geführt, das darf sich nie wiederholen“, sagt Voscherau.
Er könne auch nicht erkennen, dass seine Tätigkeit in irgendeiner Weise mit dem früheren Amt als Hamburger Bürgermeister kollidiere, so Voscherau. „Ich bin seit Anfang 1968 als Jurist berufstätig, davon nur neun Jahre bis 1997 im Rathaus. Das ist 17 Jahre her! Es kann nicht Ihr Ernst sein, dass man nach einigen Jahren demokratischer Verantwortung mit einem lebenslangen Berufsverbot belegt wird. Das wäre zweifellos verfassungswidrig – und für unsere Demokratie kontraproduktiv.“ In Wahrheit bräuchte das Land viel mehr Bürger, die außerhalb der Politik beruflich etwas leisten und „auf begrenzte Zeit ein demokratisches Wahlamt übernehmen“.
Auch Ole von Beust (CDU) wies die Kritik an seinem Engagement für die türkische Regierung zurück. „Die Türkei befindet sich seit etwa zehn Jahren in einer rasanten wirtschaftlichen aber auch gesellschaftlichen Entwicklung, in deren Verlauf es zu erheblichen Konflikten zwischen Jung und und Alt und dem großstädtischen Milieus und dem ländlichen Raum kommt“, sagte von Beust. „Tradition und Moderne, westliches Denken und streng religiöses Denken prallen aufeinander, teilweise aggressiv. Ich warne aber vor Überheblichkeit, diesen Prozess daran zu messen, wie weit wir in Deutschland heute sind.“
„Türkei genießt privilegierten Status gegenüber der EU“
Vor 70 Jahren habe es in Deutschland Barbarei gegeben, vor gut 40 Jahren in Westeuropa die sogenannten Studentenunruhen mit 100.000 jungen Leuten auf den Straßen im Widerstand gegen die als einengend empfundene Gesellschaft. Und vor 25 Jahren sei noch auf Menschen an der innerdeutschen Grenze geschossen worden.
Auch Erdogans jüngste Äußerungen gegen Homosexuelle ändern offenbar nichts an dieser Sichtweise des bekennenden Homosexuellen von Beust. „Wir sollten anderen Ländern auch ihre Entwicklung zugestehen“, sagt der frühere Senatschef. „Der faire Umgang mit Minderheiten, Respekt und Toleranz wachsen nicht über Nacht, erst recht nicht, wenn teilweise jahrhundertealte Überzeugungen dieses erschweren.“ Es gelte die alte Maxime der „Entspannungspolitik“, die ja auch erfolgreich war: Wandel durch Annäherung – und nicht durch Abgrenzung.
„Um so mehr, wenn, wie in der Türkei, das Verfassungsgericht unabhängig ist, und die Regierung gerade in letzter Zeit häufiger in die Schranken gewiesen hat und außerdem Wahlen stattfinden, die im Großen und Ganzen demokratischen Spielregeln folgen.“ Die Türkei gehöre überdies zur Nato und genieße „schon jetzt einen privilegierten Status gegenüber der EU“. Die Agentur, die er berate, unterstütze den Wandel der Türkei „auch in Hinblick auf die Verhandlungen mit der europäischen Union über einen möglichen späteren Beitritt“.
Heftige Kritik an Schröders Kontakt zu Putin
Aus der unmittelbaren Politik gibt es nur vorsichtige Kritik am Engagement Voscheraus und von Beusts. „Auch Ex-Bürgermeistern muss es freistehen, sich nach ihrer politischen Laufbahn in der Wirtschaft zu engagieren – alles andere käme einem Berufsverbot gleich“, sagt etwa FDP-Fraktionschefin Katja Suding. „Aber wie lange die Karenzzeit von der Amtsaufgabe bis zur neuen Tätigkeit währt oder ob die für Länder stattfinden muss, deren demokratische Strukturen infrage stehen, das ist eine Frage von Glaubwürdigkeit und Verantwortungsbewusstsein. Da würde ich mir mehr Fingerspitzengefühl wünschen.“
Deutlich härter fallen die Kommentare zur jüngsten Party der Herren Schröder und Putin aus. „Das Verhalten von Altkanzler Schröder straft all diejenigen Lügen, die noch vor Wochen behauptet haben, Schröder könne eine neutrale Vermittlerrolle zwischen Russland und der Ukraine einnehmen“, sagte der Hamburger Grünen-Bundestagsabgeordnete Manuel Sarrazin. „In Wirklichkeit ist er nicht mehr und nicht weniger als der PR-Lobbyist eines Großkonzerns und das Feigenblatt Putins für seinen immer mehr ins Autokratische abdriftenden Politikstil.“
Schröders Treffen mit Putin sei „ein Schlag ins Gesicht der Angehörigen der Mitglieder der OSZE-Mission, die zurzeit von Separatisten in der Ostukraine festgehalten werden“. Wladimir Putin habe bis zum Zeitpunkt der Feier „nichts unternommen, um eine Freilassung der Gefangenen zu erwirken“, so Sarrazin. „Ein Treffen mit ihm in der jetzigen Situation ist an Zynismus nicht zu überbieten.“