Hamburger Fahrradhersteller Bergamont verkauft pro Jahr 150.000 Räder und zieht nun mit Zentrale und eigenem Laden an die Budapester Straße auf St. Pauli.
Hamburg. Fernsehmoderatorin Susann Atwell fährt eins im Flower-Power-Stil. TV-Köchin Cornelia Poletto setzt auf ein klassisches, eisblaues Modell mit Elektromotor. Biathlon-Europameister Daniel Böhm schwingt sich zum Ausdauertraining in den Sattel eines schwarzen Rennrads. Und der FC St. Pauli dreht nach den Einheiten auf dem Fußballplatz auf 15 Mountainbikes seine Fitnessrunden durch das Niendorfer Gehege. Wenn der Körper ins Rollen kommen soll, setzen viele Prominente und Profisportler auf Fahrräder aus dem Schlachthof. 1993 gründete Stefan Berkes die Firma Bergamont an der Lagerstraße. Zunächst war es eine reine Vertriebsgesellschaft, die fertige Räder an- und verkaufte. Weil Qualität und Design nicht mehr den wachsenden Ansprüchen genügte, erfolgte Ende der 90er-Jahre der Einstieg als Hersteller. Heute verkauft das Unternehmen mehr als 150.000 Räder im Jahr und ist damit Hamburgs größter Fahrradproduzent.
In diesen Tagen macht das Unternehmen seinen nächsten Schritt und bezieht die neue Zentrale an der Budapester Straße. Im ersten und zweiten Stock wird die Verwaltung sitzen, im Erdgeschoss eröffnet an diesem Sonnabend der erste Conceptstore der Firma – für Privat- und Geschäftskunden. „Wir wollen unseren Partnerhändlern und allen Fahrradbegeisterten die Welt von Bergamont zeigen“, sagt Marketingleiter Tim Huppertz. Auf 160 Quadratmetern Ladenfläche werden in Stahlracks mit Holzrückwänden die Velos stehen, um den Industriecharakter zu betonen. Schließlich habe man sich stets als Fahrradschmiede verstanden. „Diese Module bieten wir unseren Händlern später auch als Shop-in-shop-Konzept an“, sagt Huppertz. Rund 70 Modelle werden im Geschäft immer vorhanden sein, insgesamt sind sogar fast 200 Modelle zwischen 400 und 5500 Euro im Programm. Die Filiale mit angeschlossener Werkstatt soll als Showroom dienen, die Bekanntheit der Marke steigern und Händler locken, die das Konzept übernehmen wollen. Rabatte oder ein Lagerabverkauf sind dort nicht geplant.
Das Unternehmen, das nach eigener Auskunft seit der Gründung jedes Jahr Gewinn gemacht hat, befindet sich seit vielen Jahren auf Wachstumskurs. „Wir wollen in diesem Jahr einen Umsatz von 37 Millionen Euro erzielen, was eine Verdoppelung in den vergangenen sechs Jahren bedeuten würde“, sagt Huppertz. Nachdem die Branche im Vorjahr wegen des langen, harten Winters unter einem schwachen Frühjahr litt, sei der Start in die diesjährige Saison fulminant gewesen. „Wir werden mit Sicherheit Ende des Jahres vor einem leeren Lager stehen“, sagt Huppertz. Weltweit boome die Branche. Für Bergamont sind die Hauptmärkte Deutschland, Österreich und die Schweiz. In der Bundesrepublik wuchs der Absatz seit Jahren stetig, obwohl die Anzahl der verkauften Fahrräder insgesamt hierzulande sinkt. 2007 kauften die Deutschen laut Branchenverband ZIV noch 4,6 Millionen Räder, im vergangenen Jahr waren es nur 3,8 Millionen. „Deutsche Hersteller haben in den vergangenen Jahren Marktanteile gewonnen“, sagt Huppertz und zählt auch Namen von Konkurrenten wie Stevens, Cube und Canyon auf. „Die Kunden vertrauen auf Räder, die hier entworfen und designt wurden.“ Und sie geben für ihr Rad zunehmend mehr Geld aus. Der durchschnittliche Neupreis in Deutschland stieg binnen sechs Jahren von 367 auf 520 Euro. Preistreiber war dabei der Trend zum E-Bike. Jedes neunte verkaufte Velo verfügt mittlerweile über einen Hilfsmotor. Von den 71 Millionen Rädern auf deutschen Straßen haben mehr als 1,6 Millionen elektrische Unterstützung, was den Preis treibt. Auch Bergamont setzt zunehmend auf diese Räder. Gab es vor wenigen Jahren erst vier Modelle, sind nun rund zwei Dutzend Varianten im Angebot.
Die Ideen für die neuen Modelle stammen aus der neun Personen großen Entwicklungsabteilung. Sie wird künftig direkt hinter dem Geschäft sitzen, um sofort ein Feedback aus dem Verkauf zu erhalten. Sieben Mitarbeiter kümmern sich um die Technologie, Geometrie und Verarbeitung des Rahmens sowie um die Anbauteile. Zwei Designer verpassen den Modellen den optischen Feinschliff. Entwurf und Design sind „made in Hamburg“. Im Anschluss werden die Pläne geprüft und nach Asien geschickt. Arbeiter in Taiwan und China fertigen die Modelle.
Ähnlich verfährt auch der lokale Rivale Stevens, der von seinen 80.000 pro Jahr verkauften Rädern nur die hochwertigsten Custombikes in Billstedt zusammenschraubt. Neben den beiden großen gibt es in der Metropolregion eine Vielzahl kleinerer Radhersteller. Einige Tausend Stück pro Jahr stellt die Harburger Marke Trenga De her. Robuste Tourenräder mit handgelöteten Maßrahmen sind die Spezialität von Norwid aus Neuendorf bei Elmshorn. Die Designagentur Zweydingers Zweyrad aus Tangstedt konzentriert sich auf Räder im klassischen Stil. Das Liegeradstudio ist auf das Kurbeln der Pedale aus der Horizontalen spezialisiert.
Weit über den Norden hinaus erstreckt sich das Absatzgebiet von Bergamont. In Deutschland bieten 450 Händler die Räder an, aber auch in etwa 35 weiteren Staaten wird auf die Velos aus St. Pauli abgefahren. Neuseeland und Indien gehören zu den exotischen, Russland zu den aufstrebenden Märkten. Mehr Absatz erhofft sich die Firma künftig in Italien, Frankreich, Spanien, Portugal und den Benelux-Ländern. Die Staaten werden nun von der Budapester Straße aus betreut. Deshalb sei auch ein Aufstocken beim bisher 55 Mitarbeiter umfassenden Personal geplant. Bisher hat dort den Vertrieb die Schweizer Muttergesellschaft BMC übernommen, die mit ihren Marken BMC und Stromer vor allem auf Rennräder, hochpreisige Mountainbikes und E-Bikes spezialisiert ist. Vor fünf Jahren gingen die beiden Firmen zusammen, um Synergien bei Einkauf und Entwicklung zu schaffen. Denn die Margensituation werde immer schwieriger, weil die Löhne in Asien steigen und die Preise für die zugekauften Komponenten wie Bremsen, Sättel etc. anziehen.
Die strategischen Entscheidungen für Bergamont seien aber stets auf St. Pauli gefällt worden. Und das soll auch nach dem Umzug von der Lagerstraße, wo das Lager verbleiben wird, an die Budapester Straße so bleiben. Huppertz: „Wir sehen uns zuallererst einmal als Hamburger. Da aber Bergamont auf St. Pauli gegründet wurde, ist die Verbundenheit zu diesem Stadtteil natürlich sehr groß.“