Hohe Mieten, teures Eigentum, Pendler im Dauerstau, Mängel bei der Bauqualität, nervige Nachbarn – das Wohnen in Hamburg und Umgebung ist ein Dauerbrenner-Thema. In einer fünfteiligen Serie befasst sich das Abendblatt deshalb mit der Frage: Wie wollen wir leben?

Mieter bleiben flexibel (von Oliver Schirg)

Seit nunmehr gut 30 Jahren wohne ich zur Miete. Fast genauso lange Zeit muss ich mich der mit leicht vorwurfsvollem Unterton gestellten Frage erwehren, warum ich mir keine Wohnung kaufe. Schließlich sei das doch viel besser, günstiger und ich müsste dann im Alter keine Miete mehr bezahlen.

Bleiben wir gleich beim Alter und seinen Bedrohungen. Es stimmt natürlich nur bedingt, dass Haus- oder Wohnungsbesitzer nach Renteneintritt nichts mehr für die Wohnung zahlen müssen. Wasser, Strom, Investitionsrücklage, das alles bekomme ich bis zu meinem letzten Atemzug nicht zum Nulltarif. Egal, ob mir die Wohnung gehört oder jemand anderem. Ein anderes gern an die Wand gemaltes Bedrohungsszenario besteht darin, dass ich von (m)einem raffgierigen Vermieter aus der Wohnung vertrieben werde.

Meine Erfahrung ist eine andere: Die meisten Vermieter sind nette Menschen und letztlich nur daran interessiert, dass die Miete pünktlich gezahlt wird und man ihre Immobilie pfleglich behandelt. Sicher, manchmal dauert es mehrere Telefonanrufe, bis das Treppenlicht wieder leuchtet oder das nicht mehr schließende Kellertürschloss ausgetauscht wurde. Aber es stimmt: Ich muss mich weder um Reparaturen noch um andere Notfälle kümmern.

Hinzu kommt, dass in Deutschland das Mietrecht außerordentlich mieterfreundlich ist und damit ein gehöriges Maß an Sicherheit bietet. So kann ein Vermieter einem vertragstreuen Mieter grundsätzlich nur dann kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse daran hat. Meistens klappt eine Kündigung also nur, wenn der Vermieter oder einer seiner Verwandten in die Wohnung einziehen will.

Doch nicht zu selten klappt auch das nicht. Wenn der Auszug für mich als Mieter „eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist“, kann ich bleiben. So steht es im Gesetz. Hart könnte beispielsweise sein, „wenn angemessener Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen nicht beschafft werden kann“. Auch hohes Alter kann mir die Wohnung erhalten.

Kommen wir zum Geld. Wer eine Wohnung kauft oder sich ein Haus baut, braucht entweder eine gut dotierte Erbschaft oder muss sich (hoch) verschulden. Auch wenn einem die Bankmitarbeiter und deren glänzenden Prospekte etwas anderes einreden wollen: Die Bank gewinnt immer, und für den Kreditnehmer wird es am Ende immer teurer als anfangs behauptet. Experten haben ausgerechnet, dass man für 800 Euro im Monat eine Wohnung oder ein Haus mit einem Wert von 170.000 Euro finanzieren kann. Versuchen Sie mal in Hamburg oder Umgebung eine Immobilie für diese Summe zu erhalten.

Da hilft auch das Versprechen einer Wertsteigerung meiner Immobilie nicht. Schließlich will ich ja in der Wohnung leben und sie nicht verkaufen. Im Übrigen wird, was die Wertsteigerung angeht, schöngerechnet, was das Zeug hält. Experten zufolge bedarf es einer jährlichen Wertsteigerung von zwei Prozent, damit der Käufer gewinnt. Abgesehen von 1A-Lagen dürften das nur die wenigsten Immobilien erreichen.

Hinzu kommt die Überlegung, was ich als Mieter mit dem Geld unternehme, das ich spare, weil ich weder Kreditraten noch Zinsen bezahlen muss. Ich kann es ausgeben oder gewinnbringend anlegen. Besitzer von Wohneigentum neigen zu der Illusion, sie gingen aufgrund des Haus- oder Wohnungskaufs disziplinierter mit ihrem Geld um.

Die damit unausgesprochene Unterstellung, Mietern säße das Geld lockerer in der Tasche, mag in dem einen oder anderen Fall richtig sein. Allerdings kann ich als Mieter mein Geld in Aktien oder – welche Ironie – in Immobilienfonds investieren und eine höhere Rendite erwirtschaften als durch eine Wertsteigerung meines Hauses.

Was für mich allerdings schwerer wiegt: Mit einer Immobilie kaufe ich mir Immobilität, oder anders ausgedrückt: Wer mietet, kann rasch seine Zelte abbrechen. In meinen jungen Jahren stand ich wiederholt vor der Entscheidung, kurzfristig in eine andere Stadt zu ziehen. So wechselte ich Anfang der 90er-Jahre innerhalb von einer Woche von Berlin in die damalige Bundeshauptstadt Bonn. Mein geringstes Problem dabei war die dreimonatige Kündigungsfrist meiner Wohnung.

Zu guter Letzt: Als Mieter lebe ich ruhiger und friedlicher. Die Abende mit Freunden, die eine Eigentumswohnung oder eigenes Haus besitzen, sind voll von Geschichten über ätzende Dispute mit ihren Nachbarn. Erst wer Streit unter Wohnungsbesitzern erlebt hat, weiß, wozu Menschen fähig sind.

Im Übrigen: Eine Untersuchung der Zeitschrift „Wirtschaftswoche“ ergab, dass Hamburg eine der Städte in Deutschland ist, in der Käufer einer Wohnung kaum im Vergleich zur Miete sparen. Oder sie zahlen sogar drauf.

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Besitzen macht glücklich (von Matthias Iken)

Vor knapp einem Jahr schreckte eine Studie der Europäischen Zentralbank die Deutschen auf – anders als gefühlt und gedacht zählen wir Deutschen nicht zu den wohlhabendsten Europäern, sondern reihen uns im unteren Mittelfeld ein. Ob Zyprioten oder Malteser, Italiener oder Spanier, überall sind die Haushalte im Schnitt vermögender als hierzulande.

Die brisanten Ergebnisse der Euro-Banker wurden rasch kleingeredet und eingefangen, bevor sich daraus eine weitere Debatte über Euro-Rettungspakete hätte entzünden können. Diskutieren aber sollte man die Zahlen – denn die relative Armut der Deutschen hat eine Ursache: Hierzulande gibt es zu viele Mieter und zu wenige Immobilienbesitzer.

Während in Italien oder Spanien rund 80 Prozent, in Rumänien gar 90 Prozent in ihren eigenen vier Wänden leben, sind es in Deutschland lediglich 46 Prozent. Wir sind ein Volk der Mieter. Dafür gibt es geschichtliche Gründe, wie die Zerstörung der deutschen Städte im Zweiten Weltkrieg, der Wiederaufbau mittels Sozialwohnungen oder der außerordentlich hohe Standard bei Mietwohnungen.

Doch das ist eben nur ein Teil der Wahrheit. Zugleich bremsen die Fehler der Gegenwart den Reichtum in Deutschland.

Warum überweisen viel zu viele viel zu lange freiwillig jeden Monat dem Vermieter beträchtliche Summen, statt die eigenen Penunzen in den Vermögensaufbau zu stecken? Jeder Monat als Mieter ist ein verschenkter Monat: Ein Hamburger, der monatlich 1000 Euro Kaltmiete zahlt, hat am Ende eines Jahrzehnts 120.000 Euro Vermögen weniger als ein Häuslebauer – und das schon unter der irrigen Annahme, die Miete werde nicht erhöht. Wir freuen uns über zwei gesparte Cent beim Tanken, fahnden nach der billigsten Milch, sind Schnäppchenjäger vor dem Herrn und finden Geiz geil.

Geiler wäre Geist. Denn in den zehn Jahren, um das kleine Beispiel wieder zu bemühen, wären aus den 120.000 Euro ein kleines Vermögen geworden. Angelegt in eine eigene Immobilie wären angesichts der Kaufpreisentwicklung von plus 58 Prozent in Hamburg 190.000 Euro geworden. Auch wenn das Image von Bausparkassen und Häuslebauern irgendwo zwischen spießig und langweilig changiert, vielleicht sind Spießer und Langweiler manchmal einfach pfiffiger.

Natürlich sind derzeit in der Hansestadt die Preise gerade für Eigentumswohnungen in unerschwingliche – manchmal absurde – Höhen gestiegen. Unter 3500 Euro pro Quadratmeter sind kaum noch Immobilien zu bekommen. Glücklich, wer rechtzeitig zugegriffen hat. Die Preise für Eigentumswohnungen sind zuletzt dreimal stärker gestiegen als die Mieten.

Aber zu spät muss es nicht sein. Die Zinsen verharren nahe ihrer historischen Tiefstände. Für Kredite mit zehnjähriger Laufzeit beträgt der Zins nicht einmal mehr zwei Prozent – im Jahr 2000 lagen die Sätze noch bei mehr als dem Dreifachen. Das klingt nicht dramatisch, doch die Unterschiede sind so gewaltig wie zwischen dem FC Bayern und dem HSV. Bemühen wir noch einmal – allerdings vereinfacht – die Mathematik: Ein Kredit in Höhe von 250.000 Euro kostete 2000 monatlich 1473 Euro; derzeit ist man mit 922 Euro dabei. Selten war es so attraktiv, Schulden zu machen. Wer die Inflation fürchtet, für den gilt das erst recht. Abseits der Hipster-Stadtteile bleiben Immobilien für Normalverdiener durchaus erschwinglich, etwa in Baugemeinschaften. Allerdings sollte man die zentrale Regeln beim Immobilienkauf nicht ausblenden. Entscheidend ist dreierlei: Lage, Lage, Lage.

Natürlich bleibt jeder Immobilienkauf ein Risiko – man setzt auf steigende Preise und hofft darauf, auch in Zukunft seine Raten zu bedienen. Hamburg jedenfalls, das zeigt der mitunter irre Run auf Betongold, gilt als attraktiver Standort und dürfte es bleiben. Angesichts der erwarteten 50.000 Neuhamburger bis 2030 wird der Wohnungsmarkt weiter wachsen. Abgesehen vom Sparbuch mit seinen mikroskopisch kleinen Zinsen scheinen da alle anderen Geldanlagen gefährlicher.

Es ist schon drollig, dass in einer Gesellschaft, die überall nach dem Kick und dem Risiko sucht, ausgerechnet bei einer soliden, ja langweiligen Immobilienfinanzierung alle Warnlampen zu blinken beginnen. Warum lassen wir uns lieber von Vermietern und Verträgen fremdbestimmen, statt uns die Freiheit zu nehmen, die eigenen vier Wände zu gestalten? Immobilien machen immobil? Man darf bezweifeln, dass Mieter mobiler sind. Birnen im Treppenhaus kann jeder selber tauschen, komische Nachbarn gibt es überall.

Es mag gute Gründe geben, Mieter zu bleiben. Gut, dass ich alle ignoriert habe.

Die Serie im Überblick


Folge 1:
Stadt oder Land

Folge 2: Mieten oder kaufen

Folge 3: Haus oder Wohnung

Folge 4: Neubau oder Altbau

Folge 5: Architekt oder Fertighaus

Alle Folgen finden Sie unter www.abendblatt.de/themen/wie-wollen-wir-leben