Große Verkehrsprojekte sind in Hamburg in der Vergangenheit schon häufig gescheitert. Warum sich Bürgermeister Olaf Scholz trotzdem auf politisch vermintes Terrain begibt.

Hamburg. Wer heute Kongens Nytorv, einen der zentralen Plätze Kopenhagens überqueren will, muss einen Bogen schlagen. Ein großer, runder Bauzaun versperrt den Weg zur Reiterstatue König Christians V. in der Mitte des großzügigen Areals. Hinter den Brettern ist ein Schachtbauwerk entstanden, von dem aus sich Fräsen durch den Kopenhagener Kalkstein graben. Die dänische Hauptstadt baut eine Metro-Ringlinie: Das doppelröhrige Tunnelsystem wird 15,5 Kilometer lang sein und 17 U-BahnStationen erhalten. Täglich sollen die führerlosen U-Bahn-Züge bis zu 240.000 Menschen rund um die Uhr transportieren. Fertigstellung: 2018, Kosten: 2,87 Milliarden Euro.

Falls Bürgermeister Olaf Scholz an Kopenhagen je denken sollte, müsste sein Herz höher schlagen. Die Radfahrmetropole setzt auf den Ausbau des U-Bahn-Netzes und nicht etwa auf die von Scholz heftig abgelehnte oberirdische Stadtbahn. Am Mittwoch ließ der Bürgermeister im Rathaus das teuerste Infrastrukturprojekt seiner Amtszeit verkünden: Von Osdorf durch die Innenstadt bis nach Bramfeld soll eine neue U-Bahn-Linie gebaut werden – die U 5. Je nach Variante wird die Streckenlänge zwischen 28 und 32 Kilometern betragen. Baubeginn: frühestens 2020, Fertigstellung: in den 30er-Jahren, Kosten: 3,8 Milliarden Euro, heutiger Stand.

Nur auf den ersten Blick erscheint es ungewöhnlich, dass Scholz nicht selbst die ersten Planungen für eine neue U-Bahn-Stammstrecke präsentierte. Der Bürgermeister hatte Hochbahn-Chef Günter Elste, zwar Sozialdemokrat mit langer (Leidens-)Geschichte, aber doch auch eigentlich Stadtbahn-Befürworter, und Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) vorgeschickt. Der Effekt: Mit dem Manager und dem früheren Handelskammer-Präses erhielt das Megaprojekt einen quasi objektiven, SPD-fernen Anstrich.

In Wahrheit ist der U-Bahn-Bau nach Lurup, Osdorf und Bramfeld ein zutiefst sozialdemokratisches Projekt. Und zwar mehr als den Sozialdemokraten recht sein kann. Denn vor ziemlich genau 40 Jahren haben die Sozialdemokraten die U-Bahn-Karte im Wahlkampf schon einmal ausgespielt. Damals versprach die SPD die schienengebundene Anbindung der gerade entstandenen Großsiedlung Osdorfer Born an die Innenstadt. „U-Bahn für Lurup – Start schon in zwei Jahren“ lautete das vollmundige und sehr fortschrittsgläubige Versprechen auf dem Wahlplakat, auf dem auch schon ein U-BahnZug mit der Zielangabe „U 4 Osdorfer Born“ zu sehen war.

Es kam bekanntlich anders. Die SPD verlor zwar kräftig bei der Bürgerschaftswahl, konnte aber mit der FDP zusammen den Senat bilden. Der neue Erste Bürgermeister Hans-Ulrich Klose kippte das U-4-Projekt kurzerhand aus Kostengründen. Seitdem scheint die Verkehrspolitik die Luruper und Osdorfer ebenso vergessen zu haben wie auf der anderen Seite der Stadt die Steilshooper und Bramfelder, jedenfalls was sichtbare Ergebnisse und nicht nur Planungen und Ankündigungen betrifft.

Scholz handelt also auf politisch durchaus vermintem Terrain. Der Bürgermeister, der die Bedeutung persönlicher Glaubwürdigkeit in der politischen Debatte kennt und daraus für sich weiterhin Kapital schlagen möchte, weiß selbstverständlich, dass die SPD in der Luruper U-Bahn-Frage bereits einmal nicht Wort gehalten hat. Warum geht er dennoch das Risiko ein, dass seine Partei erneut scheitert?

Karte als pdf: So soll die neue U-Bahn fahren

Scholz würde an dieser Stelle selbstbewusst darauf verweisen, dass ihm solches Ungemach nicht passieren werde, und darüber hinaus die technischen und logistischen Vorzüge einer U-Bahn hervorheben. Er ist von der Sache einfach überzeugt, trotz der deutlich höheren Kosten gegenüber einer Stadtbahn-Lösung. Doch jenseits aller rationalen Erwägungen: Der Metro-Plan erfüllt eine zentrale Funktion im kommenden Bürgerschafts-Wahlkampf. Scholz weiß, dass sein Busbeschleunigungsprogramm, in dessen Folge derzeit überall in der Stadt Baustellen eingerichtet und Straßen aufgerissen werden, keine Wähler an die Urnen zieht. Vermutlich im Gegenteil.

SPD hat der Stadtbahn nichts Konkretes entgegenzusetzen

Und bislang hat die SPD dem Projekt Stadtbahn, für das zum Beispiel die CDU schon Streckenplanungen vorgelegt hat, nichts Konkretes entgegenzusetzen. Und die Stadtbahn ist nun einmal ein Sympathieträger, wobei viele Menschen, da hat Scholz sicherlich recht, in Wahrheit an die alte Straßenbahn denken, die bimmelnd durch die City fuhr.

Mit der U 5 – das Label U 4 ist mittlerweile für die HafenCity-Linie vergeben – will der Sozialdemokrat verkehrspolitisch in die Offensive gehen. Die Vorstellung, mit der U-Bahn die Arenen im Volkspark, den Osdorfer Born und den Bramfelder Marktplatz schnell und bequem zu erreichen, soll die Fantasie der Hamburger beflügeln. Mit anderen Worten: Mit dem Mittwoch, als Günter Elste und Frank Horch das Projekt U 5 aus der Taufe hoben, hat der inhaltliche Wahlkampf der SPD begonnen. Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass die U-5-Idee von jetzt an fester Bestandteil der Wahlkampfreden des Ersten Bürgermeisters sein wird.

Nebenbei bedeutet die Festlegung auch eine indirekte Koalitionsaussage. Mit Scholz’ U-Bahn-Plänen rückt ein mögliches rot-grünes Bündnis nun in weitere Ferne, denn trotz mancher Rückschläge setzen die Grünen weiterhin auf die Stadtbahn. Auf einen völligen Verzicht würden sich die Grünen in Koalitionsverhandlungen sicherlich nicht einlassen. Pflegeleichter für die SPD dürfte die FDP werden, die aber den Sprung in die Bürgerschaft erst einmal schaffen muss. FDP-Verkehrspolitiker Wieland Schinnenburg bezeichnete die U-5-Pläne als „grundsätzlich gut“, monierte aber die hohen Kosten und langen Bauzeiten.

Auch wenn die Hochbahn, wie in dieser Woche angekündigt, bis Ende des Jahres eine Machbarkeitsstudie zur U 5 vorlegen will, die wirklichen Probleme kommen erst sehr viel später – und sie sind politischer Natur. Fast alle großen Verkehrsinfrastrukturprojekte brauchen in Hamburg Jahre, häufig Jahrzehnte bis zu ihrer Realisierung. Oder alles scheitert am Ende doch noch. Mal ist die politische Mehrheit weg, die Stimmungslage in der Bevölkerung hat sich gedreht oder das Geld fehlt.

Es fehlt ein Grundkonsens

Bestes Beispiel ist die Wiederbelebung der Stadtbahn. Nur 13 Jahre nach dem Aus für die letzte Straßenbahnlinie hielt Bürgermeister Henning Voscherau 1991 schon wieder ein Modell der Tram in der Hand, berief eine Kommission ein und befand das Ganze doch für zu teuer. Rot-Grün setzte die Stadtbahn Ende der 90er-Jahre planerisch aufs Gleis, die CDU-Schill-FDP-Koalition stoppte das Projekt. Schwarz-Grün gab 2008 erneut den Startschuss, bevor der CDU-Rumpfsenat 2010 abermals auf die Tram-Bremse trat.

Es fehlt ein Grundkonsens zur Ausrichtung des öffentlichen Nahverkehrs. Selbst bis zur Realisierung des vergleichsweise überschaubaren Projekts der S-Bahn-Anbindung des Flughafens vergingen rund 40 Jahre. Das veranlasste den früheren Bürgermeister Ortwin Runde, der 1998 den ersten Spatenstich tat, einmal zu der schelmischen Bemerkung, dass seine Vorgänger wohl „Dussels“ gewesen seien, weil sie das Projekt nicht auf die Reihe bekommen hätten.

Viel Hoffnung auf Einigkeit besteht nicht, der Zwist ist auch historisch bedingt. Der frühere Bürgermeister Klaus von Dohnanyi hat darauf hingewiesen, dass im 19. Jahrhundert eine Senatskommission zur Gründung der Universität 60 Jahre lang vergeblich tagte. Herausgekommen ist lediglich die Gründung der Berufsfeuerwehr 1872.

Auch der Blick auf den nördlichen Nachbarn macht nicht wirklich Mut: Die Kopenhagener Metro gibt es erst seit 2002 und wird in vier Jahren eine Streckenlänge von 43 Kilometern haben. Die Hochbahn wurde schon 1911 gegründet und verfügt über ein Netz von „nur“ 104 Kilometern Länge.