Game Music ist mit Computerspielen auf dem Vormarsch. Der Sound wird nicht nur live einspielt, sondern auch live aufführt. Ein Report aus einer jungen Branche, die die Gema austrickst.
Hamburg. Gut gemacht, Erdling. Dieses Mal hast du gewonnen! So verkündete bei dem Computerspielklassiker „Space Invaders“ von 1978 ein Schriftzug, wenn man alle anfliegenden Aliens abgeschossen hatte. Die Musik zu diesem Ballerspiel der ersten Stunde bestand aus einer Sequenz von vier Elektrobrummtönen, die umso schneller wurde, je mehr Treffer man erzielte.
Erregung gleich Geschwindigkeit, das war die simple Formel bei dieser „Mutter“ aller Game-Musiken. Heute, fast vier Jahrzehnte später, schickt die Computerspielmusik sich an, eine Kunstform eigenen Rechts zu werden. Konzerte mit den großen, symphonischen Soundtracks von Game-Klassikern füllen in Japan, den USA, Russland, Mexiko und sehr vereinzelt auch in Deutschland Konzertsäle und sogar Stadien. Und einige Hamburger sind mittendrin.
Hamburg ist „Hafen der Games-Branche“
Glaubt man der Selbstdarstellung der Hamburger Wirtschaftsförderung, so ist die Hansestadt der „Hafen der Games-Branche“. Mag die Internetindustrie auch in Berlin sitzen, Spiele kommen aus Hamburg. Und die Musik zu diesen Spielen? Wer komponiert eigentlich unter welchen Bedingungen die Soundtracks zu den zahllosen Daddelerlebnissen, die in dieser Stadt produziert werden? Eine kleine Bestandsaufnahme zeigt das Bild einer Branche in der Findungsphase.
Hamburg hat sich einige Mühe gegeben, die Game-Industrie an die Stadt zu binden: So gibt es an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) den Studiengang Games-Master; und die Initiative Gamecity: Hamburg kümmert sich um die Standortbedingungen für die digitale Unterhaltungsindustrie.
Zu den Früchten solcher Förderung zählen kleine Start-up-Firmen wie Threaks. Wer die „Three Freaks“ heute in ihrem neu bezogenen Büro besucht, erlebt echte Startup-Atmosphäre: Die Kaffeedose ist leer, die gerahmte Urkunde vom letzten Wettbewerbserfolg findet sich irgendwo hinterm Schrank, und beim Chefprogrammierer sitzt ein Hund auf dem Schoß, der seine Wächterfunktion tierisch ernst nimmt.
Videospiele als Vertriebskanal für Musik
Die Geschäftsidee von Wolf Lang und Sebastian Bulas, so heißen die zwei verbliebenen Gründer der „drei Freaks“, ist bestechend einfach: Videospiele als neuer Vertriebskanal für Musik, Synergien schaffen zwischen Musik- und Spielebranche. Die Idee dazu kam den beiden Grafik-Designern noch während ihres Studiums an der HAW. Gemeinsam entwickelten sie eine Software, die Musikstücke visualisiert und in eine Spielemechanik integriert.
Das Ergebnis war „Beatbuddy“, ein rhythmusbegabter Wassertropfen, der sich durch die pulsierende Unterwasserwelt „Symphonia“ kämpft, in der „Snare-Bubbles“ aufsteigen und „Hi-Hat-Krabben“ zuschnappen. Mit jeder Spieleaufgabe, die der kleine Actionheld löst, aktiviert er neue Elemente eines Songs, nach und nach setzt sich so die Musik zusammen.
Mit dieser Idee gewann „Threaks“ etliche Preise, und jeder öffnete die Tür zu weiteren Förderern und Kontakten. Der „Pro-Ideen-Fonds“ unterstützte die Produktion des Prototyps; „Exist“, die Initiative für Existenzgründer, förderte die Erstellung eines Businessplans. „Ohne diese Strukturen gäbe es uns nicht“, sagt Wolf Lang. Bis zu neun Angestellte beschäftigte das Start-up-Unternehmen in der Produktionsphase von „Beatbuddy“. Für die Komposition eines Songs gewann „Threaks“ sogar den Games-Komponisten Austin Wintory, der als einer der Ersten seiner Zunft für einen Grammy nominiert worden war.
Wenn Wolf Lang heute die zurückliegenden Jahre als „Horror-Reise“ bezeichnet, dann sind daran weder technische noch kreative Schrecknisse schuld. Gema, Urheberrechte, Lizenzen, so lauten die Stichworte, bei denen sich die Mienen der Gründer verfinstern. Game-Music-Komponisten seien für gewöhnlich nicht in der Musikverwertungsgesellschaft Gema, erläutert Lang, Gema-Komponisten dagegen seien für den Spielebereich zu teuer.
Die vorläufige Lehre aus langen Rechtsstreitigkeiten sei also, dass Threaks für sein nächstes Projekt zwar mit einer „größeren Band“ zusammenarbeite, aber die „kommt nicht aus Deutschland“. Um die Rechte für alle „Beatbuddy“-Songs zu sichern, hatte Threaks sogar einen der großen Konzerne des Musikbusiness als Partner gewonnen. Doch die Entscheidungswege bei dem von den USA aus geleiteten Major waren so lang, dass die Spieleentwickler nach drei Jahren Vorarbeiten schließlich entnervt auf die Kooperation verzichteten. „Die kennen halt ihr Geschäft, CD-Verkäufe und Konzerte“, sagt Lang. Der Versuch, Synergien zwischen Game- und Musikindustrie zu schaffen, scheiterte.
Gema-Vertrag lässt sich gestalten
Geschichten über die Fesseln und Fallstricke, die das Urheberrecht für Kreative bereithält, nimmt der Komponist Michael Stoeckemann mit ungerührter Miene zur Kenntnis. „Was viele nicht wissen, ist, dass ich meinen Gema-Vertrag auch gestalten kann. Ich muss ihn nicht unterschreiben wie er ist.“ Als gelernter Versicherungskaufmann hat er seinen Gema-Vertrag zuerst gründlich gelesen, als Film- und Game-Music-Komponist hat er davon später sehr profitiert. Seit 17 Jahren ist Stoeckemann im Geschäft, seit drei Jahren konzentriert er sich mit seiner Firma Sound of Games ganz auf die Spiele-Sparte.
Seinem Anspruch nach ist Stoeckemann aber zuerst Musiker: „Ich möchte, dass sich ein Musiker meine Soundtracks anhören kann“, lautet seine Devise. Während viele Kollegen ihre Klänge aus Datenbanken beziehen, gilt bei ihm: „Ich mache so viel live wie möglich.“ Ein echtes Unikum in der Branche ist, dass Sound of Games Musik nicht nur live einspielt, sondern auch live aufführt. Bewaffnet mit zwei Tablets und eingepackt in eine Art Raumanzug, treten Stoeckemann und sein Geschäftspartner Filipp Issa auf Spielemessen als Duo auf. Gerade die guten alten Songs aus der Spielesteinzeit würden nostalgische Gamer immer wieder gern hören, erzählt Stoeckemann.
Den Komponisten selbst begeistern vor allem die neuesten technischen Entwicklungen: Die Präsenz in sozialen Medien nennt er sein „Brot-und-Butter-Geschäft“, und dank Tablets und Handy-Apps würden „monatlich rund 50 Millionen Menschen“ seine Musik hören. „Die Chancen sind riesengroß, und da wird noch viel kommen – ich glaube aber, wenig aus Deutschland.“ Die größten Entwicklungsbudgets gäbe es in den USA, und das beste Orchester für Game-Music-Produktionen sitze in Mazedonien. „Grandiose Musiker“ nennt Stoeckemann, der selbst Geiger ist, seine Kollegen dort. Die deutsche Musik- und Orchesterszene sei dagegen zu sehr „klassik-geprägt“.
Kurse für Filmkomponisten und Sounddesigner
Das gelobte Land für Game-Music-Komponisten sind für Michael Stoeckemann die USA: „Dort ist der Qualitätsstandard viel, viel höher, weil die Leute auch besser ausgebildet sind.“ An diesem Punkt setzt die Filmsound Hamburg an. Diese von der Filmkomponistin Gudrun Lehmann mitbegründete Sommerakademie bietet seit 2011 Kurse für Filmkomponisten und Sounddesigner an.
Vor zwei Jahren erweiterten die Akademiebetreiber das Angebot um einen Meisterkurs für Game Music mit Michael Stoeckemann. Und 2013 kam noch ein eigener Wettbewerb für Game-Music-Komponisten hinzu, der Young Talent Award Games Music. Vorsitzender der Jury ist in diesem Jahr wieder Chris Hülsbeck. Der ist sozusagen der Dirk Nowitzki unter den deutschen Game-Music-Komponisten, denn der in Kassel geborene Schöpfer der „Turrican“-Soundtracks lebt und arbeitet heute in den USA.
Die Chancen der Game Music schätzt Gudrun Lehmann ähnlich optimistisch ein wie Stoeckemann. Wie die Filmmusik werde auch die Game Music in absehbarer Zeit als konzertfähig voll anerkannt werden: „Der WDR hat angefangen, Game Music im großen Stil mit einer Wahnsinnsauslastung aufzuführen. Denen wird die Bude eingerannt von Publikum, das man im Konzertsaal sonst nie sehen würde.“
Doch auch um die Probleme weiß Lehmann. So hat sie für die anstehende Akademie eigens einen Referenten von der Schweizer Verwertungsgesellschaft Suisa eingeladen; der soll den Gema-geplagten deutschen Kreativen zeigen, wie Rechteverwertung andernorts anders und vielleicht ja sogar besser klappt.