Freiberufliche Geburtshelferinnen haben vom kommenden Jahr an keinen Versicherungsschutz. „Das bedeutet faktisch ein Berufsverbot“. Situation der Geburtshelferinnen hat sich immer weiter verschlechtert.
Hamburg. Für Katrein Aßmann läuft die Zeit. Noch drei Wochen sind es bis zum Geburtstermin. „Wir wissen nicht, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird“, sagt die 31-Jährige und streichelt liebevoll über ihren runden Bauch. In einem anderen Punkt ist sie ganz sicher: „Ich will mein zweites Kind so natürlich wie möglich zur Welt bringen.“ Deshalb hat sie sich für das Geburtshaus in Ottensen entschieden. Und für Lena Weiss und ihre Kolleginnen. „Ich fühle mich von den Hebammen hier perfekt und vor allem persönlich betreut“, sagt die Unternehmensberaterin aus Winterhude. „Das ist ein gutes Gefühl.“
Noch haben werdende Eltern die Wahl, ob sie eine Geburt in der Klinik, in einem Geburtshaus oder zu Hause möchten. Aber das könnte sich bald ändern. Die selbstständigen Hebammen stehen vor dem beruflichen Aus, weil sie sich nach dem jetzigen Stand ab Sommer nächsten Jahres nicht mehr versichern können. Die Nürnberger Versicherung will zum 1. Juli 2015 aus dem letzten verbliebenen Versicherungskonsortium aussteigen, das noch Haftpflichtschutz gewährt. Vor einigen Tagen kamen die Kündigungsbriefe. „Das bedeutet faktisch ein Berufsverbot“, sagt die Hamburger Landesvorsitzende des Deutschen Hebammenverbandes, Susanne Lohmann. Denn: Ohne Berufshaftpflicht dürfen Hebammen nicht arbeiten.
Schon in den vergangenen Jahren hat sich die Situation der Geburtshelferinnen immer weiter verschlechtert. Besonders betroffen sind Hebammen, die Hausgeburten machen, in Geburtshäusern arbeiten oder als sogenannte Beleghebammen gebärende Frauen in Kliniken betreuen. Ihre Versicherungsprämien haben sich seit 2003 nahezu verzehnfacht. Die Vergütungen für die Geburten sind dagegen kaum gestiegen. Für eine Beleggeburt etwa gibt es 275 Euro, für eine Geburt im Geburtshaus 559 Euro. Für Mitte dieses Jahres haben die Versicherer eine weitere Erhöhung der Versicherungsprämie um 20 Prozent auf 5091 Euro im Jahr angekündigt – trotz abnehmender Schadenszahlen. Begründung: Die Kosten für Geburtsschäden sind massiv gestiegen. Inzwischen seien sie ein extrem schwer zu kalkulierendes Risiko, das in der Vergangenheit zum Teil zu erheblichen Verlusten geführt habe, heißt es beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft. Deshalb wollen sie jetzt ganz aussteigen.
Für die selbstständigen Hebammen ist es eine Existenzfrage. „Wir wissen nicht, wie es weitergehen soll“, sagt Lena Weiss. Seit gut zwei Jahren arbeitet sie als eine von zehn Hebammen im Geburtshaus. Wenn sie von „ihren Babys“ spricht, leuchtet ihr Gesicht. „Es ist jedes Mal ein berührender Moment, wenn ein neuer Mensch geboren wird“, sagt die 29-Jährige. Für sie sei der Beruf auch Berufung, etwas anders könne sie sich nicht vorstellen. Ähnlich ist die Situation bei Ulrike Aulbach, die sich auf die Betreuung von Hausgeburten spezialisiert hat. „Aber wenn sich nichts ändert, muss ich im nächsten Jahr aufhören“, sagt die Hamburger Sprecherin des Bundes freiberuflicher Hebammen. Auch Beleghebammen wird es dann wohl nicht mehr geben. In der Hansestadt sind knapp 50 Hebammen betroffen, bundesweit sind es etwa 3500.
Inzwischen warnen die Hebammen-Verbände vor einem Zusammenbruch der gesamten freiberuflichen Geburtshilfe, fordern grundlegende Veränderungen und staatliche Unterstützung. Denn auch die häusliche Versorgung von jungen Müttern und Neugeborenen ist ohne Haftpflichtschutz nicht mehr möglich. „Selbst wenn wir noch einen Versicherer finden, steigen die Kosten weiter“, sagt Jasmin Kraftzik. Die Geburtshilfe hat die Bergedorfer Hebamme schon vor Jahren aufgegeben, jetzt denkt sie über ganz neue Geschäftsmodelle nach. Yoga zum Beispiel. In den vergangenen Jahren sind Schätzungen zufolge mindestens 25 Prozent der Hebammen aus finanziellen Gründen ausgestiegen. In Hamburg sind die Wartelisten bereits lang.
Kampflos aufgeben wollen die Hebammen nicht. Es gibt eine Online-Petition, Protestbriefe werden geschrieben, auch in Hamburg machen die Hebammen mobil. Am Sonnabend um 12 Uhr ist eine Kundgebung auf dem Rathausmarkt geplant. In Berlin gab es inzwischen ein Treffen mit Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU), immerhin mit einem ersten Ergebnis. Ab Sommer sollen die höheren Haftpflichtkosten für alle Hebammen ausgeglichen werden. Außerdem will man gemeinsam an einer langfristigen Lösung für das Problem arbeiten. Die Zeit drängt. Aus Sicht der Hebammenverbände ist eine Neustrukturierung der Versicherung mit einer Haftungsobergrenze für die Hebammen notwendig. Dann würde sich auch wieder ein Versicherer finden, der die Geburtshelferinnen aufnimmt, so die Hoffnung.