Jäger erschießen an der Küste von Sylt junge Seehunde, wenn diese krank und schwach sind. Tierschützer sind entrüstet darüber, dass die Jäger über Leben und Tod der Tiere entscheiden.

Jahr für Jahr kommt am Flutsaum der 38 Kilometer langen Sylter Küste lebendes Strandgut an: Es sind sogenannte Heuler – verwaiste Seehund-Jungtiere, die durch Sturm oder Störungen von ihren Müttern getrennt wurden und dann mit – Nomen est Omen – klagenden Lauten hilflos am Strand liegen.

Während einige der aufgefundenen Heuler in der Seehundstation in Friedrichskoog wieder aufgepäppelt werden, bekommen kranke oder zu sehr geschwächte Tiere den Fangschuss.

Dies ist Aufgabe der amtlich bestellten Seehundjäger, die um diese Zeit wie in jedem Jahr unterwegs sind.

Seehundjäger selbst im Schussfeld

Allerdings sind sie nun selbst ins Schussfeld geraten: Der Verein Deutsches Tierschutzbüro mit Sitz in Köln hat unter dem Motto „Stoppt die Robbenjäger von Sylt!“ eine Online-Kampagne gestartet, an der sich angeblich bereits weit über 2000 Menschen beteiligt haben.

Auch in der schleswig-holsteinischen Landesgeschäftsstelle des Naturschutzverbandes BUND meldeten sich in den vergangenen Tagen viele besorgte oder neugierige Anrufer, die über die vermeintliche Seehundjagd auf Sylt Genaueres wissen möchten.

Inzwischen hat sich sogar Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck in die Debatte eingeschaltet: „Wir haben die Pflicht, Tieren unnötiges Leiden zu ersparen“, stellte der Minister unzweideutig klar.

Anfeindungen irritieren Jäger

Thomas Diedrichsen ist einer von drei amtlich bestellten Seehundjägern auf Sylt – und von den plötzlichen Anfeindungen sehr irritiert. Bei jedem Heuler würden er und seine Kollegen zunächst den Gesundheitszustand der Tiere untersuchen, erzählt er.

Ein Großteil der aufgefundenen Jungtiere – häufig werden die Seehundjäger durch Strandspaziergänger oder die Polizei informiert – leide unter schweren Lungenerkrankungen. „Dann wird das Tier durch einen gezielten Schuss von seinen Leiden schnell erlöst.“

Routinemäßige Untersuchungen der toten Seehunde, beispielsweise durch Mitarbeiter der Tierärztlichen Hochschule Hannover zeige, dass sie häufig nicht heilbare Schädigungen infolge von Lungenwurmbefall haben, meldet der Landesbetrieb für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz.

Dafür, dass Diedrichsen und seine Kollegen im Auftrag des Nationalparkamtes und des Landesjagdverbandes die kranken Tiere töten und überlebensfähige Heuler in die Seehundstation bringen, erhalten sie eine Aufwandsentschädigung.

Aufpäppeln in Friedrichskoog

Etwa zehn Mal pro Jahr wird ein Jungtier zum Aufpäppeln nach Friedrichskoog gebracht. Die Jäger transportieren den gefundenen Heuler dann in einer Wanne zum Hörnumer Hafen, wo er an Bord eines Ausflugsschiffes verladen, später am Hafen von Nordstrand in Empfang genommen und weiter zur Seehundstation befördert wird.

Die Station ist die einzige ihrer Art in Schleswig-Holstein und hat sich ausdrücklich der Heuleraufzucht verschrieben. Hier werden die eingelieferten Jungtiere zunächst tierärztlich untersucht und für einige Tage in Quarantäne gehalten.

In kleinen Gruppen wachsen die Tiere auf und wechseln später in das große Auswilderungsbecken, wo sie sich im wendigen Schwimmen und im Fischfang üben. Haben sie schließlich ein Gewicht von 25 Kilogramm erreicht, können sie wieder in die Freiheit entlassen werden.

Protest im Internet

Doch in Zeiten von Facebook, Twitter und Co. akzeptieren Tierschützer dieses übliche Prozedere nicht länger, sondern mobilisieren Widerstand. Der Verein Deutsches Tierschutzbüro, dessen Newsletter nach eigenen Angaben über 40.000 Abonnenten erhalten, kritisiert auf seiner Homepage:

„Seehundjäger dürfen beim Auffinden von hilflosen Tieren über deren Leben oder Tod entscheiden. In den vergangenen Monaten haben sie zahlreiche Tiere an den Stränden erschossen. Das Deutsche Tierschutzbüro hält dies für nicht hinnehmbar.

Nicht Jäger sollten darüber entscheiden, ob ein verletztes oder krankes Tier gesund gepflegt werden kann, sondern Tierärzte. Denn um richtig beurteilen zu können, wie schwach oder krank ein Tier ist und ob es noch Überlebenschancen hat, braucht es viel Fachwissen und Erfahrung. Daher: Tierärzte statt Todesschützen!“

Diesem Statement folgt auf der Homepage eine Online-Petition, die sich an das schleswig-holsteinische Umweltministerium richtet.

Habeck weist Vorwürfe zurück

Adressat Robert Habeck bringt für die Vorwürfe wenig Verständnis auf:

„Wir haben die Pflicht, den Seehunden gute Lebensbedingungen zu schaffen. Aber genauso haben wir die Pflicht, todkranken Tieren unnötige Leiden zu ersparen. Keinem der Seehundjäger fällt es leicht, Seehunde zu töten. Aber auch dies gehört zu ihrer Verantwortung.“

Auf den Vorwurf, den Jagdaufsehern fehle die entsprechende Sachkenntnis, entgegnet Minister Habeck:

„Die Seehundjäger werden von Tierärzten, Wissenschaftlern und anderen Fachleuten regelmäßig geschult. Die Tierärzte bescheinigen ihnen eine hohe Kompetenz – Untersuchungen getöteter Tiere bestätigen immer wieder, dass die Seehundjäger in der jeweiligen Situation richtig entschieden haben.“

Stefanie Sudhaus vom BUND sekundiert diese Sicht der Dinge: „Vielen Menschen ist nicht bekannt, dass die Seehundjäger gut ausgebildet sind und auch kontrolliert werden.“

Seehundbestand wächst weiter

Und auch wenn an der schleswig-holsteinischen Nordseeküste in diesem Winter rund 130 Jungtiere getötet werden mussten, sei der Bestand der Seehunde „gesund und wächst weiter“, betont Robert Habeck.

Derzeit gebe es etwa 12.000 der Meeressäuger. Das Nationalparkamt Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer stellt sich derweil unwissend: „Das Deutsche Tierschutzbüro ist uns nicht bekannt und hat sich bei Diskussionen über den Umgang mit Seehunden bisher nicht beteiligt“, heißt es von dort.

Um die Stimmung positiv zu gestalten, hat man reagiert.

So sollen Sylt-Urlauber ab dem Frühjahr die Möglichkeit haben, die Tiere aus nächster Nähe und doch in gebührendem Abstand beobachten zu können: Das „Erlebniszentrum Naturgewalten“ in List will von einer kleinen, vor dem Ort gelegenen Insel per Live-Kamera Bilder übertragen.

Mehr noch: Besucher des Zentrums können die Kamera nach Belieben schwenken oder zoomen und so am Alltag der hier heimischen Seehundkolonie teilnehmen.