Spartenchef Markus Tacke hält Ausbauziele der Regierung bei deutschen Offshore-Parks für zu gering. Bereits 550 Mitarbeiter in Hamburg.
Der Ausbau der Offshore-Windkraft in Deutschland könnte in den kommenden Jahren nach Einschätzung von Siemens empfindlich gestört werden. Grund dafür sind aus Sicht des Konzerns die von der neuen Bundesregierung reduzierten Ausbauziele für die deutsche Nordsee und Ostsee: „Die Zielmarke von 6500 Megawatt bis zum Jahr 2020 erreichen wir mit den heute bereits geplanten Projekten nach unseren Einschätzungen bereits 2017, spätestens 2018“, sagte Markus Tacke, Vorstandsvorsitzender der Konzernsparte Siemens Wind Power, dem Abendblatt. „Das würde bedeuten, dass die Branche an den deutschen Küsten spätestens ab Ende 2018 zwei Jahre lang keine Aufträge umsetzen könnte. Solch eine Lücke macht es schwierig, eine industrielle Produktion aufrechtzuerhalten.“ Die frühere Bundesregierung hatte ein Ziel von 10.000 Megawatt Offshore-Ausbau bis 2020 und 25.000 Megawatt bis 2030 formuliert. Bislang sind vor den deutschen Küsten Offshore-Anlagen mit einer Nennleistung von nur rund 650 Megawatt am Netz.
Siemens stieg im vergangenen Jahrzehnt mit der Übernahme des dänischen Unternehmens Bonus in die Windkraftindustrie ein. Seither baute der Konzern seine Belegschaft in der Sparte weltweit auf mehr als 10.000 Mitarbeiter aus. Siemens steht derzeit nach General Electric aus den USA und Vestas aus Dänemark auf Rang drei der größten Hersteller von Windturbinen. Den Markt für Offshore-Windkraftwerke führt Siemens mit Abstand an. Seit 2011 wird das internationale Geschäft von Hamburg aus gesteuert. Der promovierte Maschinenbauingenieur Tacke, 49, leitet die Konzernsparte seit August 2013: „Wir beschäftigen in Hamburg derzeit etwa 550 Mitarbeiter in unterschiedlichsten Bereichen“, sagte er. „Hamburg ist die Zentrale für das Windkraftgeschäft von Siemens, und das wird auch so bleiben. Wir werden die Sparte hier weiter stärken und stellen seit einigen Jahren und auch weiterhin kontinuierlich Mitarbeiter ein.“
Insbesondere für den Ausbau der Offshore-Windkraft in den deutschen Gewässern – und hier vor allem in der Nordsee – spielt Siemens eine besondere Rolle. Um die weit vor den Küsten liegenden Nordsee-Windparks an das Landnetz anzuschließen, werden spezielle Umspannwerke für die Erzeugung von Gleichstrom benötigt, die je Stück mehrere Hundert Millionen Euro kosten. Den Bau, die Installation und den Betrieb solcher Plattformen wie SylWin für die Verbindung von Windparks vor Sylt oder HelWin für die Helgoland-Region koordiniert Siemens mit mehreren Hundert Mitarbeitern der Konzernsparte Energieübertragung ebenfalls von Hamburg aus: „Die Siemens-Übertragungssparte hat Offshore-Umspannwerke gebaut, die zuvor so noch nie gefertigt worden sind“, sagte Tacke. „Wenn die Offshore-Windkraft in Deutschland oder an anderen küstenfernen Standorten weiter ausgebaut wird, wird man weitere Gleichstromumspannwerke brauchen, um die Windparks mit dem Land zu verbinden. Dabei wird sich Siemens aus Hamburg heraus weiter engagieren.“
Der Aufbau einer Offshore-Windkraftindustrie an den deutschen Küsten kam in den vergangenen Jahren nach viel Vorarbeit in Gang. Die Gewerkschaft IG Metall rechnet dem neuen Wirtschaftszweig mehr als 16.000 Arbeitsplätze allein in der Metallverarbeitung zu. Die Offshore-Branche steht allerdings unter Druck, weil die Details für das novellierte Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) noch verhandelt werden. „Wir sind mit der Koalitionsvereinbarung im Großen und Ganzen zufrieden, dort wurden Weichenstellungen vorgenommen, die die Offshore-Industrie voranbringen werden“, sagte Tacke. „Wir beobachten jetzt aber im Rahmen der EEG-Novelle wieder Rückschritte. Dazu gehört vor allem die mittlerweile als fest definierte Zielgröße von 6500 Megawatt Ausbauziel bis zum Jahr 2020, die in der Koalitionsvereinbarung noch eher ein Richtwert war. 5700 Megawatt davon sind bereits gebaut, im Bau oder schon unter Vertrag. Es blieben also nur rund 800 Megawatt Volumen für wirklich neues Geschäft.“
Auch zu den künftigen Einspeisevergütungen für Strom aus Offshore-Windparks machte die Große Koalition von Union und SPD zuletzt widersprüchliche Aussagen. Die Höhe und der Zeitverlauf der Vergütungen sind aber entscheidend für die Kalkulation der Geschäftspläne in den beteiligten Unternehmen: „Die Absenkung der Einspeiseförderung für Wind aus Offshore-Anlagen um einen Cent 2018 und 2019 ist ein Thema“, sagte Tacke. „Die Industrie hat sich auf die in der Koalitionsvereinbarung genannte Förderung bis 2019 eingestellt. Das schafft erneut Unsicherheit in der Branche.“
Auch die für das Thema zuständigen Siemens-Betriebsräte an den Standorten in Norddeutschland und die IG Metall fordern stabile Rahmenbedingungen. „Die Windindustrie an Land und auf See braucht Planungssicherheit, damit Konzerne wie Siemens an der Küste investieren und weitere Arbeitsplätze in dieser Zukunftsindustrie schaffen“, sagte Meinhard Geiken, Bezirksleiter der IG Metall Küste.
Unterbrechungen beim Ausbau von Offshore-Parks werfen die Anstrengungen der Branche zurück, die Erzeugungskosten für Strom aus diesen Anlagen weiter zu senken. „Nur mit einem stetigen Ausbau von Offshore-Windparks entstehen ja Lerneffekte und damit verbunden erhebliche Kostensenkungen“, sagte Tacke. „Das eigentliche Ziel, den Offshore-Strom vom Jahr 2020 an mit Kosten von zehn Cent je Kilowattstunde deutlich weiter in Richtung Wettbewerbsfähigkeit zu bringen, wird damit infrage gestellt.“ Die Offshore-Windkraft habe wesentliche Bedeutung, „um die Systemkosten für die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien insgesamt zu senken“. Siemens baut sein Geschäft mit Windturbinen weltweit aus, sowohl mit Offshore-Kraftwerken als auch mit Anlagen für Landstandorte. Vom US-Energieversorger MidAmerican erhielt der Konzern Ende 2013 den bislang größten je vergebenen Auftrag in der Windkraftindustrie, für insgesamt 448 Anlagen der 2,3-Megawatt-Klasse. Für Landanlagen in Deutschland bekam Siemens kürzlich einen Auftrag des Bürgerwindparks Holzacker-Knorburg in Schleswig-Holstein. Gebaut werden die Siemens-Windturbinen bislang vor allem in Dänemark. „Brande und Aalborg sind unsere beiden wesentlichen Fertigungsstandorte in Dänemark, wir haben auch Fabriken in den USA und in China“, sagte Tacke. „Wenn sich der deutsche Markt so entwickelt, wie wir es erwarten, denken wir darüber nach, mehr Kapazität auch in Deutschland aufzubauen. Über mögliche Standorte kann ich aber noch nichts sagen.“