Mehr und mehr Unternehmen verabschieden sich aus dem dualen System, um Kosten zu sparen. Jetzt steuert die Bundesregierung gegen und plant, Ausnahmen und Schlupflöcher zu schließen.
Berlin. Von Trittbrettfahrern und schwarzen Schafen ist die Rede. Sozusagen hinter den Kulissen von gelber Tonne und gelbem Sack tobt ein erbitterter Kampf. Die unbezahlten Verpackungsabfälle steigen dramatisch, die für das Einsammeln Zuständigen warnen vor einem Kollaps des durch den grünen Punkt bekannten Systems.
Was hat die Bundesregierung
am Mittwoch beschlossen?
Den ersten Schritt zu einer Reform, die das System der gelben Tonne retten soll. Zunächst wurden EU-Vorgaben umgesetzt. Demnach sind Wursthäute, Teebeutel, Kleiderbügel und Grablichtbecher keine Verpackungen. Sie dürfen somit auch nicht in die gelbe Tonne . Im weiteren Gesetzgebungsverfahren sollen auf Initiative Nordrhein-Westfalens an diese sechste Novelle der Verpackungsverordnung weitere Maßnahmen „angebunden“ werden, mit denen Schlupflöcher zur Aushöhlung des Systems geschlossen werden.
Was ist das Ziel der komplizierten
Verpackungsordnung?
Umweltminister Klaus Töpfer (CDU) brachte 1991 die Verpackungsverordnung auf den Weg. Seitdem müssen Hersteller Verantwortung für die von ihnen in Umlauf gebrachten Produktverpackungen übernehmen. Durch die fachgerechte Entsorgung und mehr Recycling sollen die Umwelt geschont und der Rohstoffverbrauch gesenkt werden. „Die derzeitige Verpackungsverordnung bietet zu viele Schlupflöcher für zweifelhafte Entsorgungspraktiken“, kritisiert die Deutsche Umwelthilfe.
Was ist das Problem beim Sammeln
von Plastik-Abfällen?
Hersteller zahlen an die dualen Systeme (es gibt zehn, das größte ist das DSD mit dem grünen Punkt) Gebühren für das Sammeln zum Beispiel von Joghurtbechern und Plastikverpackungen über die gelbe Tonne oder den gelben Sack. Während aber die Mengen konstant bleiben, ist die Zahl bezahlter Verpackungen im ersten Quartal um 25 Prozent im Vergleich zu 2013 gesunken – es gibt den Verdacht, dass schwarze Schafe das System unterlaufen. Hinzu kommt, dass bei zuletzt 2,4 Millionen Tonnen pro Jahr gesammelter Leichtverpackungsabfälle 40 Prozent fälschlicherweise dort entsorgter Müll waren.
Steht das Recyclingsystem auch
in Hamburg unter Druck?
Ja, auch in Hamburg verabschieden sich mehr und mehr Unternehmen aus dem dualen System, um Kosten zu sparen. So würden beispielsweise Handelsketten in ihren Geschäften eigene Recyclingtonnen aufstellen, heißt es. Viele Kunden bringen Recyclingabfälle aber nicht in den Laden zurück, sondern stecken sie in die gelbe Tonne. Die Recyclingunternehmen blieben auf den Mehrkosten sitzen. In Hamburg gibt es zwölf Betriebe, die das Geschäft mit den Recyclingabfällen betreiben.
Welche Besonderheiten gibt es
in Hamburg beim Recycling-Müll?
In Hamburg heißt die gelbe Tonne „Wertstofftonne“. Zudem sei es in der Hansestadt ausdrücklich erwünscht, auch sogenannte stoffliche Nichtverpackungen in der gelben Tonne zu entsorgen, sagt Reinhard Fiedler, Sprecher der Stadtreinigung. Damit seien beispielsweise Bratpfannen, Backbleche, leere Wischeimer gemeint. Auch das Entsorgen des Plastikgehäuses von Grablichtern mit Hilfe der gelben Tonne ist in Hamburg ausdrücklich erlaubt. Der Recyclingmüll werde unter den zwölf Unternehmen aufgeteilt, sagt Fiedler. Der Anteil der Stadtreinigung liegt bei rund 17 Prozent. „Wir verwerten ausschließlich stofflich“, so Fiedler weiter. Plastikabfälle würden nicht verbrannt, sondern an ein Harzer Unternehmen geliefert, wo daraus neues Plastik hergestellt werde. „Die stoffliche Verwertung ist zwar teurer, aber eben auch hochwertiger als die thermische Verwertung“, sagt der Sprecher der Stadtreinigung.
Was für Schlupflöcher gibt es
im gegenwärtigen System?
Zum einen Eigenrücknahmen: Verpackungen können zum Beispiel im Supermarkt zurückgegeben werden, entsprechend weniger zahlen Hersteller an die dualen Systeme. „Nach den veröffentlichten Zahlen ist allein die Menge der Eigenrücknahmen um 166 Prozent gestiegen“, sagt der Präsident des Bundesverbands der Entsorgungswirtschaft (BDE), Peter Kurth. Das entspreche nicht der Realität. Unter Bezug auf eine angeblich hohe Zahl an Rücknahmen werden dadurch weniger Lizenzgebühren an duale Systeme gezahlt. Eine andere Variante sind Branchenlösungen. Kantinen, Krankenhäuser, Hotels, Seniorenheime oder Imbiss-Ketten können sich selbst um ihre Abfallentsorgung kümmern. Je höher hier die angeblichen Mengen an zu entsorgenden Verpackungen, desto geringer die Zahlungen für Betreiber gelber Tonnen und Säcke.
Wieviel Geld geht dem System
dadurch verloren?
Von bis zu 350 Millionen Euro in diesem Jahr ist die Rede. Die dualen Systeme sollen dafür sorgen, dass die Abfälle dem Recycling zugeführt werden. Wenn dem System zugeführte Mengen kleingerechnet werden und – salopp gesagt – so immer mehr unbezahlter Müll eingesammelt wird, kommt das System an seine Grenzen. „Wenn Verpackungen aus Kostengründen als selbst zurückgenommen gemeldet, aber in der Realität nicht zurückgegeben werden und im gelben Sack landen, gaukelt dies hohe Recyclingquoten vor“, kritisiert der Bundesgeschäftsführer der Umwelthilfe, Jürgen Resch. Da ein Recyclingzwang nur für bezahlte Abfallmengen gilt, werde so auch das Recycling geschwächt.
Wie können höhere Gebühren und
Produktpreise vermieden werden?
Auf Antrag Nordrhein-Westfalens sollen Ausnahmetatbestände wie Eigenrücknahmen und Branchenlösungen spätestens vom Januar 2015 an weitgehend gestrichen werden. So soll verhindert werden, dass weitere Mengen bei den dualen Systemen abgemeldet werden. Sonst könnten höhere Gebühren für sich korrekt verhaltende Müllverursacher drohen. Und in letzter Konsequenz höhere Produktpreise im Laden. „Ein gutes Recycling wird durch den sich ausweitenden Betrug unmöglich“, kritisiert der Linke-Umweltpolitiker Ralph Lenkert.