In seiner Rösterei hat das Unternehmen im vergangenen Jahr 63.000 Tonnen Kaffee verarbeitet. Das ist Rekord. Hamburg ist der Dreh- und Angelpunkt des Geschäfts mit den braunen Bohnen.
Hamburg. Süderstraße 293 in Hamm. Schon am Eingang verrät der Duft, dass man das Herzstück des Kaffeespezialisten Tchibo betritt. Der riesige Komplex, den Tchibo-Gründer Max Herz vor seinem Tod 1965 angelegt hat, war die erste der mittlerweile drei Röstereien des Unternehmens in Berlin, Hamburg und Polen. 170 Mitarbeiter arbeiten in den Gebäuden in Hamburgs Osten, darunter rund 50 Wissenschaftler aus der Entwicklung und Qualitätssicherung.
Leitungen und riesige Röstkessel bestimmen das Bild. Hamburg ist der Dreh- und Angelpunkt des Geschäfts mit den braunen Bohnen. Hier werden die Ernten aus Brasilien, Zentralamerika, Kenia oder Äthiopien und anderen Anbauländern nach dem Schiffstransport angelandet. Die zu diesem Zeitpunkt noch grünen Bohnen vom viertgrößten Kaffeeröster der Welt werden nach der Ankunft erst gereinigt und danach ins weltweit größte Kaffeelager in Hamburg gebracht. Zwar wurde jede Charge bereits im Ursprungsland auf seine Qualität getestet, aber das reicht offenbar nicht. Jetzt muss untersucht werden, ob die Bohnen nach langer Seereise in der gewünschten Qualität in Hamburg angekommen sind.
Insgesamt viermal werden sie nochmals unter die Lupe genommen – einmal auch im Labor der Rösterei. „Schon eine überfermentierte Stinkerbohne kann ein Pfund Kaffee ungenießbar machen“, sagt Christian Esselun, Kaffeefachmann und Produktentwickler bei Tchibo.
Es ist heiß und laut. Aus 40 Meter hohen Silos, in denen bis zu 20 verschiedene Rohkaffeesorten für kurze Zeit getrennt lagern, gelangen die Bohnen in eine der sieben Röstmaschinen. Dort werden sie einzeln je nach Beschaffenheit der Sorte und nach Röstverfahren auf bis zu 250 Grad erhitzt. Beim Rösten reagieren verschiedene Proteine und Zucker, das Kaffeearoma entsteht. „Manche Bohnen müssen langsam – bis zu 20 Minuten – geröstet werden. Andere Sorten verlangen Röstverfahren, die den grünen Rohkaffeebohnen bereits ab zwei Minuten das Aroma entlocken“, sagt Manuel Fliegel, der Direktor aller Tchibo-Röstereien. „Beim Rösten entstehen je nach Ursprungsland der Sorten ein besonderes Aroma, einmal würziger, einmal milder, sowie Farbnuancen von den eher hellen Bohnen für Filterkaffee bis zu den dunkelbraunen Espressobohnen.“
Ein Lkw fährt langsam in Richtung des Kaffeelagers auf dem Gelände in der Süderstraße. 24 Tonnen der grünen Bohnen liefert der Laster zur Weiterverarbeitung an – der alte Kaffeesack hat längst ausgedient. Im vergangenen Jahr verarbeitete Tchibo im Dreischicht-Betrieb von montags bis freitags allein in Hamburg 63.000 Tonnen Kaffeebohnen, also knapp 130 Millionen Pfund Kaffee. „Das war eine Rekordmenge“, sagt Fliegel und wendet sich wieder dem Rösten zu.
Jetzt sind die Bohnen zwar braun, doch bis zur Kaffeetasse ist es noch ein weiter Weg. Damit bei der nun folgenden Mahlung ein gleichmäßiges Ergebnis erzielt werden kann, müssen die gerösteten Bohnen noch einige Stunden ruhen und sich entwickeln. „Erst dann sind sie reif für das Mahlen“, so Fliegel. Die meisten Kaffeesorten in Deutschland bestehen aus Warenlieferungen verschiedener Herkunftsländer. Neben der feinen und teureren Sorte Arabica wird vielfach die günstigere Sorte Robusta, die vor allem in Süd- und Osteuropa geschätzt wird, mit ihrem erdigen Geschmack beigemischt. Bei Tchibo hingegen dominiert Arabica.
Auch in der Hamburger Rösterei wird kräftig gemischt. „Die Verbraucher wollen, dass ihre Lieblingssorte immer gleich schmeckt“, sagt Esselun. Doch dazu brauche man viel Finesse.
„Als Erstes kommt es darauf an, aus welcher Ursprungsregion die Rohkaffees stammen, wir sprechen von Provenienzen“, sagt Esselun. Er legt großen Wert darauf, jede Sorte einzeln zu rösten und erst dann zu mischen. Als Zweites hängt der Geschmack von der Art der Röstung ab.“ Espresso und Caffè Crema werden etwa 20 Minuten im Trommelröster geröstet, Filterkaffee, mit 71 Prozent Anteil der Lieblingskaffee der Deutschen, braucht im Heißluftröster weniger Zeit. Als Drittes sei die Mahlung wichtig – je nach Sorte grob oder fein. Wenn der Kaffee perfekt gemischt ist, geht es in die Verpackungsanlage und danach in den Versand der Bohnen. Sie schlürfen und spucken. Fünf Menschen, darunter Esselun und Fliegel, stehen an einem runden Tisch mit mehreren kleinen Spucknäpfen. Vor ihnen befinden sich diverse gut gefüllte Kaffeetassen. Jeder tunkt seinen Testlöffel nacheinander in die Tasse und spült vor dem Ausspucken der Flüssigkeit den Gaumen. Gefiltert wird der Kaffee per Hand nach der unter Feinschmeckern bekannten Karlsbader Methode. Kanne und Filter sind aus reinem Porzellan, so gibt es nichts, was den Geschmack verfälschen oder Aromen zurückhalten könnte. In den Porzellanaufsatz wird Kaffee gefüllt und der Wasserverteiler aufgesetzt. Dann wird das Wasser mehrmals im Schwall aufgegossen. Das Kaffeepulver muss sehr grob und gleichmäßig gemahlen sein, damit der feine Filter nicht verstopft. Die Zubereitung verlangt Ruhe und Zeit, die Karlsbader Kanne eignet sich daher nicht für den schnellen Kaffee zwischendurch.
Christian Esselun ist in seinem Element. Er erklärt gestenreich die Aromen des braunen Getränks. „Brazil steht für Körper, also Fülle, Kolumbien hat eine leichte aromatische Würze, Äthiopien einen Mokka Flavour, Kenia ist Säureträger.“ Irgendwann verzieht er sein Gesicht. „Das ist eine Fehlbohne, also ein Stinker. Sie ist überfermentiert“, sagt Esselun und freut sich, dass er den extra bereitgestellten Übeltäter erwischt hat. Täglich wird das braune Getränk bei Tchibo zweimal in großer Runde getestet. Manchmal ist sogar Tchibo-Eigner Michael Herz mit von der Partie.
Morgens am Frühstückstisch. Die Familie sitzt zusammen. Ein feiner Duft von frisch gebrühtem Kaffee liegt in der Luft. Pro Sekunde werden in Deutschland im Schnitt 2315 Tassen Kaffee konsumiert, das macht 73 Milliarden Tassen im Jahr. Damit trinken die Deutschen pro Kopf mehr Kaffee als die Italiener oder Franzosen. Deutschlands Lieblingsgetränk verhält sich zickig. Wenn aufgebrühter Kaffee nicht richtig behandelt wird, bekommt das Getränk mit der Zeit einen modrigen Geschmack. Deshalb achten Gourmets auf die 30 Minuten nach dem Aufbrühen, in denen das warme, braune Getränk am besten schmeckt. Danach lässt das Aroma nach, der Kaffee in der Kanne wird leicht bitter. Zudem ist es für das Aroma wichtig, den Kaffee vor Sauerstoff, Licht, Wärme oder Feuchtigkeit zu schützen. „Gemahlenen Kaffee sollte man am besten luftdicht in einem Glasbehälter im Kühlschrank aufbewahren“, sagt Esselun. Er kennt wie kaum ein anderer das Geschäft mit den braunen Bohnen. In seinem Büro steht sogar ein Kaffeebaum.