Ob Hoeneß, Sommer oder Schwarzer – der Nation gehen die Vorbilder aus
Eine Silberscheibe hat das Land verändert: 2006 kauften deutsche Steuerbehörden erstmals eine CD mit den Namen und Daten von Steuersündern, zwei Jahre später durchsuchten sie vor laufenden Fernsehkameras das Haus des damaligen Post-Vorstandschefs Klaus Zumwinkel. Seit diesem öffentlich inszenierten Sündenfall darf sich kein Steuerhinterzieher in Deutschland mehr sicher fühlen – Schweizer oder Liechtensteiner Bankmitarbeiter bieten ständig neue Datenträger an, immer wieder greifen Behörden zu. Diese Deals mögen rechtsstaatliche Grenzgänge sein. Doch die, die sie fürchten müssen, hatten diese Grenze durch ihre Steuerhinterziehung zuvor überschritten.
Den Fahndern gehen fast täglich neue Steuerbetrüger ins Netz. Aus Angst, erwischt zu werden, zeigen sich viele Deutsche selber an. Den Rest besorgen die Datenträger. Unter den Gefallenen und Aufgefallenen findet sich viel Prominenz. Dazu gehören der Unternehmer Uli Hoeneß wie die Journalisten Theo Sommer und Alice Schwarzer oder nun der Berliner Kulturstaatssekretär André Schmitz (SPD). Sie alle eint ein überdurchschnittliches Einkommen und ein eher unterdurchschnittlich ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein. Der unbändige Wille, Steuern zu sparen, verbindet Linke und Rechte, Hanseaten und Bayern, Künstler wie Politiker. Zu den Steuerhinterziehern gehören erstaunlich viele Mitglieder der Talkshow-Elite dieses Landes. Genau jene, die sonst vom Sofa der Fernsehstudios belehrten und dozierten, finden sich plötzlich auf der Anklagebank wieder. Die Eitlen von einst werden damit doppelt bestraft – zum teuren Strafbefehl kommt der mediale Liebesentzug.
Das alles muss man nicht bedauern. Für die Talkshow-Macher mag es ärgerlich sein, wenn ihr Personal reihenweise ausfällt, für die Demokratie kann es heilsam sein, wenn das eine oder andere Vorbild vom Sockel stürzt.
Peinlich war, wie sich Täter plötzlich zu Opfern machten. Alice Schwarzer etwa gibt sich weniger reumütig als vielmehr angriffslustig: Sie empört sich über die Berichterstattung und spricht von „Persönlichkeitsverletzung“ und „Denunzierung“, Theo Sommer beruft sich darauf, kein Uli Hoeneß zu sein, weil er schließlich weder mit Aktien spekuliert habe noch ein Auslandskonto besitze. Als ob es darum geht. Aber der Vergleich passt in ein Land, dem der Kapitalismus ob seiner Zumutungen suspekt ist – es sei denn, es geht um die Mehrung des eigenen Vermögens. Deshalb hat auch die öffentliche Empörung über die Steuerhinterzieher etwas Bigottes: Sommer, Schmitz oder Schwarzer sind keine Unholde, sondern typische Deutsche: Steueroptimierung ist im Land der „1000 ganz legalen Steuertricks“ Volkssport.
Der FDP-Politiker Hermann Otto Solms lästerte einmal, Steuervermeidung sei in Deutschland ein stärkerer Trieb als der Sexualtrieb. Viele schummeln bei ihrer Steuererklärung und finden Schwarzarbeit in den eigenen vier Wänden clever, sie halten die eigenen Vergehen für lässliche Sünden, die Verfehlungen der Prominenten aber für ein Verbrechen. Den Unterschied machen die Summen, die man dem Fiskus vorenthält – oder einfach die Möglichkeiten zur Hinterziehung. Wer wenig hat, hat wenig Gelegenheit. Ein Fußgänger aber sollte sich nicht damit brüsten, noch nie ein Tempolimit überschritten zu haben.
Das Thema Steuern und Ehrlichkeit ist deshalb nicht nur ein Thema der Hinterzieher, sondern der gesamten Gesellschaft. Weder taugen die Verfehlungen einer Elite als Entschuldigung für eigene Vergehen noch zu moralischem Rigorismus. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass derzeit fast täglich ein Prominenter ein paar Hunderttausend in der Schweiz vergessen hat, während der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff wegen Vorteilsnahme vor Gericht steht. Hier geht es übrigens um 753,90 Euro.