Udo Reiter, 69, ist ein emotionaler Mann. Als er mit 22 nach einem Autounfall querschnittsgelähmt wurde, wollte er sich erschießen. Er tat es nicht und hatte seitdem, auch im Rollstuhl, ein schönes, aktives Leben. War 20 Jahre Intendant des MDR, hat eine Frau und eine Tochter und schrieb unlängst seine Autobiografie. Doch jetzt erklärte er, dass er nie ein Pflegefall werden wolle. Und forderte für jeden die Freiheit, seinen Tod selbst zu bestimmen, egal, wie krank, gesund oder jung er sei.

Franz Müntefering, 74, ist ein konsequenter Mann. Im Herbst 2007 trat er als Bundesminister und Vizekanzler zurück, um seine krebskranke Frau auf ihrem letzten Weg zu begleiten. Rückblickend findet er seine Entscheidung gut, auch für seine Familie: „Es war eine Zeit, in der wir das Sterben als Stück des Lebens miteinander erlebten und in der es auch schöne Tage und Stunden gab.“ Statt „das süße Lied vom Freitod“ zu singen, solle man sich für die Palliativmedizin und die Hospizbewegung einsetzen.

Die Haltungen von Reiter und Müntefering können gegensätzlicher nicht sein. Letzten Sonntag diskutierten sie darüber bei Günther Jauch. Eine Diskussion, die auch der Bundestag in den nächsten Monaten fortsetzen wird. Alle müssten darüber reden, doch viele haben Angst vor dem Thema und verdrängen es. Aber sie sollten nicht schnelle Notausgänge aus dem Leben suchen, ohne sich mit den tiefen, erfüllenden Erfahrungen eines Abschieds etwa im Hospiz befasst zu haben.

In Blankenese begann gerade wieder ein Kursus für Sterbebegleiter. Überall in Hamburg haben Hunderte Ehrenamtliche schon solche Seminare mitgemacht. Im praktischen Einsatz erfahren sie viel über sich und die Endlichkeit, über Nähe und Trost, über Freiheit von Angst. Viele Menschen malen sich ja aus, wie quälend einsames Sterben ist. Aber nur wenige wissen, wie beglückend und befreiend ein professionell und liebevoll begleiteter Abschied sein kann. Darum sollten wir uns um Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht kümmern, um die Angebote der Palliativmedizin und der Hospize. Damit wir auch den letzten Tagen mehr Leben geben können.

hwestphal@anderezeiten.de