In ihrem Laden „Alles Käse & Co“ verkauft Isolde Werner regionale Spezialitäten und hat nebenan Platz für Ausstellungen. Hans-Juergen Fink über eine Frau, für die Kultur in jeglicher Form Herzenssache ist.
Eine verträumt dreinschauende Kuh tanzt auf dem bunten Wandgemälde der Ladenfront über eine saftig-grüne Wiese, ein Schaf scheint zu applaudieren, eine Ziege steht auf dem Kopf, oben links beim rot-weißen Leuchtturm. Quer über dem schmalen Schaufenster und dem Ladeneingang in der Ellmenreichstraße, vom Hauptbahnhof aus nur ein paar Schritte vorm Hansaplatz, steht in knallroten Buchstaben „Alles Käse & Co – Norddeutsche Spezialitäten“. Mehr gibt’s hier nicht. Aber auch nicht weniger.
Im Vorraum ein übersichtliches, aber spannendes Angebot: handgemachte Marmeladen, verschiedene Senfsorten, Bio-Säfte, Chutneys, „Salinas – Salz für Gorleben“, Sekt aus der Hanse-Sektkellerei in Wismar (gibt es seit 1751), der nördlichsten in Deutschland. Immer mittwochs auch frisches Holzofenbrot. Und Wurst aus Landschlachtereien.
Im Raum dahinter präsentieren zwei Kühltheken eine erstaunliche regionale Käse-Vielfalt: Pecorino und Rotweinkäse aus dem Osnabrücker Land. Buffalino, Deutsche Edelziege, MeckProm vom Schaalsee, Katenkäse, Alter Friese, Mühlenrad, Usedomer, Wilsteraner, Krukower, Dicke Liese, Dersauer Sterntaler vom Plöner See, Blauer Baron. „In Deutschland haben wir längst mehr Käsesorten als in Frankreich“, sagt Isolde Werner, die Herrin dieses kleinen Paradieses.
Hell schlägt die Ladenglocke an, ein Kunde. „Ich brauche Appenzeller, Gruyère, Emmentaler...“ – „Hamwanich.“ Enttäuscht will er auf dem Absatz umdrehen. „Aber“, Isolde Werner hebt die Stimme, „ich kann Ihnen für all das wunderbare regionale Alternativen anbieten. Mal probieren?“ Wenig später trägt der Mann eine gut gefüllte Käsetüte aus dem Laden, die Stücke gut verpackt in Wachspapier, nicht in Plastikfolie mit Weichmachern. Dazu Informationen satt; niemand geht hier, ohne etwas gelernt zu haben.
Denn „Alles Käse & Co“ ist mehr als ein Käseladen, es ist eine Lebenseinstellung, „fast schon eine Philosophie“, sagt die Inhaberin. Eng verbunden mit den geräumigen Gewölben einer ehemaligen Pferdedroschken-Station. Darin befindet sich heute der KunstRaum HosenStall, Galerie und Veranstaltungsraum, den die Besucher über die ehemalige Stallgasse erreichen.
Ein Laden in einer solchen Kombination ist weder Laune noch Zufall, man muss ihn wirklich wollen. Für Isolde Werner steht er am vorläufigen Ende einer langen Entwicklung, bei der auch Umwege im Nachhinein wie Abkürzungen wirken. Geboren 1954 in Bad Wildungen, aufgewachsen in Kassel, später in Homberg am Niederrhein, bei Duisburg. Bei ihren Großeltern, die beide bis ins hohe Alter Tanzlehrer waren, ist sie ganz selbstverständlich mit gesunder Ernährung aufgewachsen. „Keine Konserven, nicht mal was vom Bäcker wurde gekauft.“ Das meiste selbst gezogen, alles selbst gekocht.
Sie will studieren, Landschaftsarchitektur oder Biologie. Es wird eine Ausbildung zur Hotelfachfrau, „da waren Kost und Logis frei“. Nebenbei studieren geht natürlich nicht in einem First-Class-Hotel. Sie will bald wieder fort und nimmt heute kein Blatt mehr vor den Mund: „Ich fand das dekadent, ich bin einfach keine Lakaienseele.“
Sie kam nach St. Georg, als das noch kein Szene-Stadtteil war
Sofort nach der Prüfung steigt sie um, Werbefachschule, Texterin, eigene Agentur, acht Jahre. Dann zwei Jahre Südfrankreich, der Liebe wegen, „da hab ich Tomaten gezüchtet“. Dann wieder Freelancerin für viele Agenturen, auch für die Lebensmittelindustrie. 1990, „meine Tochter war damals zehn“, wechselt sie von Düsseldorf nach Hamburg. Arbeitet für das Zeitarbeitsunternehmen ADIA, bald als Marketing-Chefin, erst national, dann international. Ein Turbo-Job für eine alleinerziehende Mutter. Immer neue Herausforderungen, wachsende Zuständigkeiten, Firmen-Fusionen. „Wenn man das gut machen wollte, war man rund um die Uhr beschäftigt.“ Sie spürt, wie diese Hochgeschwindigkeits-Lebensweise alles durchdringt. Und sucht Abstand.
Im Jahr 2000 steigt sie aus, mit einem Projekt für die Expo 2000 in der Tasche. Personalmanagement und ein Pavillon zur Zukunft der Arbeit im internationalen Jobmarkt, mit globaler Vernetzung. Danach ist sie wieder frei.
Wurzeln geschlagen hatte Isolde Werner schon 1990 in St. Georg, in der Nähe von 1000 Töpfe. St. Georg ist damals noch kein Szene-Stadtteil, eher ein Dorf in der Stadt, man wohnt eng aufeinander, man kennt sich.
Im Mai 2004 öffnet an der Ellmenreichstraße 28 der „KunstRaum HosenStall“ in einer ehemaligen Droschkenstation (der Name erinnert an die Rotlicht-Tradition des Viertels). Kunst für alle, ohne Schwellenangst, heißt die Devise. 150 Ausstellungen gab es dort seither – zurzeit zu sehen: Werke von Richard Mrugalla.
Im Februar 2006 gründet sich der Verein KunstRaum HosenStall, der das alles organisiert. Mit dabei und zuständig für Öffentlichkeitsarbeit und das Finanzielle: Isolde Werner. Es gibt Jugendarbeit, Programme für Kinder. Eine kleine Familie von Gleichgesinnten wächst da.
In dieser Zeit sind auch die Räume des heutigen Käseladens zu haben. Isolde Werner hat die Veränderung ihres Stadtteils beobachtet. Und fragt sich nicht nur: Was fehlt hier? Sondern auch: Was kann ich da tun? „Eine Schlachterei? Das bin ich nicht. Ein Fischladen? Das bin ich auch nicht.“ Aber Käse – das passt. Sie recherchiert ein halbes Jahr, fährt herum, besucht Höfe, lernt Produzenten in der Region kennen, redet mit ihnen und lernt viel, wird weitergereicht. Viele der Käsemacher sind inzwischen Freunde.
So wird es ein Käseladen mit Kunst-Anschluss. „Kunst und Käse sind Kultur. Kunst ist Kultur, in dem Käse sind Kulturen, und Käse machen hat große Kultur und Vielfalt. Käse, in Handarbeit hergestellt, ist geradezu Hochkultur“, erklärt Isolde Werner. Sie hat ja im Job mitbekommen, wie die Lebensmittelindustrie sich fast alle Produkte zurechtformatiert, sie verändert, „da ist viel Chemie im Spiel“. Das geht auch anders.
„Regional kann gar kein Trend sein – das ist ja das Normale“
Sie eröffnet den Laden 2007 und hat plötzlich alle Entwicklungsfäden ihres Lebenswegs in einem Projekt verknüpft. Früher hat sie für andere Konzepte entwickelt und betextet, jetzt tut sie’s für das eigene Projekt. Sie will ihre Lust an gesunder Ernährung anderen vermitteln. Das Querdenken. Kommunikation. Und es bleibt genug Zeit, draußen zu sein, für lange Spaziergänge mit Jack Russell Terrier Figo zwischen den Feldern in Allermöhe. „Ich hab zwar immer in der Stadt gelebt, aber eigentlich gehör ich nach draußen.“
Sie hat als Schülerin gegen den Schnellen Brüter in Kalkar demonstriert, „da haben uns die Bauern durch den Hof gelassen, und die Polizei hat uns verloren, weil wir dann im Heuboden waren“. So ist sie geblieben: ein bisschen quer zum Mainstream. Mit vielen Ideen und mit dem Vorsatz: „Wenn ich etwas mache, dann bitte so, wie ich das will.“
Selbstständigkeit ist kein Selbstgänger. Zum Beispiel, als der Straßenverkehr vorm Laden nach der Osterweiterung der EU schlagartig zunimmt mit Zuhältern und ziemlich vielen Damen. Oder als der Hansaplatz umgebaut wird – und der Laden hinter Zäunen und Planen unsichtbar. Sie setzt auf Kommunikation und das Regeln im Kleinen. Gespräche mit der Bauleitung, aber auch ein buntes Banner mit der Aufschrift „Lieber ein lecker Käsebrot als zwei schlechte Hamburger“. Deftige Käsebrote to go sind eines ihrer Alleinstellungsmerkmale. Der Laden hat überlebt.
„Das Regeln auf der kleinen Ebene haben die meisten Leute verlernt, da kann man oft viel hinkriegen. Aber wenn’s Ärger geben muss, muss es auch mal Ärger geben.“ So wie beim Projekt „HansaMarkt – Erlebnis + Wissen und Regionaleinkauf“, das in einem Streit mit dem Bezirksamt Mitte festgefräst scheint. „Es soll einfach ein Markt sein mit regionalen Erzeugern, wo die Menschen alle vier Wochen am Sonntag hinkommen, probieren, kaufen und eine Menge lernen über gutes Essen.“
Isolde Werner mag nicht hinnehmen, dass es ausgerechnet da klemmt. Es gibt Unterschriftenlisten. Aber man spürt auch: So ein Kampf kann müde machen. „Manchmal denke ich, für so was sind wir in der falschen Stadt. Warum geh ich nicht nach Berlin?“
Aber einfach weggehen – das ist sie auch nicht. Es gibt ja noch viel zu tun und zu erklären. Und schon blitzen ihre Augen wieder sehr unternehmungslustig: „Plötzlich liest man überall: Regional ist Trend. Da lach ich doch: Regional kann gar kein Trend sein – es ist ja das Normale. Alles andere ist etwas Künstliches, Verändertes. Fahren Sie selbst mal raus, betreiben Sie Verbraucherschutz, es gibt nichts Besseres, als die engagierten Leute zu kennen, die meine Lebensmittel machen. Und schmecken tut es auch viel besser.“
Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, Besonderes für die Stadt leisten, als Vorbildgelten. Isolde Werner bekam den Faden von Meike Winnemuth und gibt ihn an Thomas Sampl weiter.