Drei welthistorische Ereignisse jähren sich in diesem Jahr. Vor 100 Jahren begann der Erste Weltkrieg, vor 75 Jahren begann dann der Zweite Weltkrieg. Die Mauer wurde vor 25 Jahren geöffnet.

Das Jahr 2014 wird nicht nur in der Bundesrepublik von der Erinnerungskultur geprägt sein. Es geht um drei Ereignisse, die welthistorische, bis in die Gegenwart fortwirkende Zäsuren in der dramatischen Geschichte des vergangenen Jahrhunderts waren, auch in Hamburg. Vor hundert Jahren, am 1. August 1914, begann mit der deutschen Mobilmachung der Erste Weltkrieg. Vor 75 Jahren, am 1. September 1939, ließ Hitler Polen überfallen und löste damit den Zweiten Weltkrieg aus. Und vor 25 Jahren, am 9. November 1989, erzwang das Volk in der DDR mit einer friedlichen Revolution die Öffnung der Mauer und damit den Weg zur Einheit.

Mit Jubel verabschiedete die Bevölkerung in den Mittagsstunden des 5. August 1914 das hamburgische Infanterieregiment Nr.76 in den Krieg – nach einem morgendlichen Feldgottesdienst auf dem Kasernenhof, bei dem der fahnengeschmückte Altar von Trommeln und Maschinengewehren flankiert war, ein schreckliches Dekor. Die meisten dieser Soldaten kehrten nicht zurück. Der nationale Überschwang dieser Tage, der „Hurra-Patriotismus“, dessen Verkörperung Kaiser Wilhelm II. war, ließ die Menschen auch in Hamburg voller Zuversicht glauben, dieser Krieg werde nicht lange dauern und mit einem deutschen Sieg enden. Historiker nannten diese Massensuggestion später das „Augusterlebnis“ des Jahres 1914. Aber schon bald nach Kriegsbeginn, als sich die Familienseiten der Zeitungen mit Todesanzeigen der Gefallenen füllten, wich der Taumel anfänglicher Begeisterung einer ahnungsvollen Ernüchterung. Die Hamburgerinnen und Hamburger begannen zu begreifen: Dies wird ein Kampf auf Leben und Tod. Die Heimat lernte nicht den Krieg, aber seine Folgen kennen: Entbehrungen, Mangel, Hunger und Not.

Das Kaiserreich ging mit weit gesteckten Zielen in diesen Krieg. Sie sahen erhebliche Gebietsabtretungen im Westen wie im Osten vor, die im wesentlichen Preußen zugute gekommen wären, und dazu einen kontinentaleuropäischen Wirtschaftsverbund unter deutscher Vorherrschaft, wenngleich bei formaler Gleichberechtigung der Teilnehmerstaaten, und eine Erweiterung der deutschen Kolonien. Das war ein Konzept, das im Hamburger Rathaus mit großer Aufmerksamkeit analysiert wurde.

In einer mitteleuropäischen Wirtschaftsorganisation unter deutscher Führung sah man im Senat große Chancen für Hamburg. Und die Gebietsabtretungen zugunsten Preußens fanden die Stadtväter ebenfalls hochinteressant. 1915 erreichte die innerdeutsche Agitation für diese Kriegsziele einen Höhepunkt. Diese Situation wollte der Senat sich zunutze machen. Am 7. Dezember 1915 leitete die Stadtregierung dem Reichskanzler Theodor von Bethmann-Hollweg eine Denkschrift über die „unumgängliche“ Erweiterung des hamburgischen Staatsgebietes zu. Die Hansestadt bestand ja damals aus dem alten Hamburg, ohne Wandsbek, Altona und Harburg-Wilhelmsburg. Diese drei Städte waren preußisch. Hamburgs Territorium konnte nur auf Kosten Preußens erweitert werden. Dessen Staatsregierung hatte ihre Zustimmung bislang verweigert. Diese Haltung, so sagte man sich im Senat, würde sich wahrscheinlich ändern, wenn Preußen bei einem siegreichen Ausgang des Krieges anderswo territorialen Zugewinn erhalten würde, wie dies die deutschen Kriegsziele vorsahen. Der Verlauf ließ dies Makulatur werden.

Auf den Kriegsausbruch 1914 war die Öffentlichkeit auch in Hamburg nicht vorbereitet. Mitte Juni 1914 hatten britische Schlachtschiffe noch die Kieler Woche besucht. Kaiser Wilhelm II. hatte hohe britische Seeoffiziere und Diplomaten zum Diner auf seine Yacht „Hohenzollern“ eingeladen, und deutsche und britische Mannschaften hatten gemeinsam ihre Freizeit verbracht. Sechs Wochen später waren sie Kriegsgegner.

Am 1. September 1939, als Hitlers Krieg begann, war alles ganz anders, von Begeisterung keine Spur. Beklommen hörten die Menschen, auch die Belegschaften der großen Betriebe, um 10 Uhr vormittags Hitlers verlogene Rechtfertigungsrede. Die massive Aufrüstung in den Jahren zuvor, die Ausrichtung der Wirtschaft nach den Forderungen der Wehrmacht, deren Drill für den Angriffskrieg, die Luftschutzübungen, das alles waren untrügliche Anzeichen. Aber die Menschen dachten an den Ersten Weltkrieg und konnten nicht glauben, dass ein Politiker diese Schrecken erneut heraufbeschwören würde. Am 22. Juni 1940, nach einer Serie deutscher Blitzfeldzüge, kapitulierte Frankreich im historischen Salonwagen von Compiegne. Die Schmach von Versailles schien getilgt. Als nach dem Westfeldzug im Juli und August 1940 die siegreichen Truppen in die Heimat zurückkehrten, wurden sie von der Bevölkerung stürmisch bejubelt, vor allem in Berlin und Hamburg. Die Menschen hofften auf Frieden. Die Tschechoslowakei, Polen, Dänemark. Norwegen, Holland, Belgien, Frankreich waren nun in deutscher Hand. Nun durfte man doch auf eine Verständigung hoffen, oder?

Derlei Fragen beantwortete am 29. Oktober 1940 der damals mächtigste Mann der Hansestadt, Reichsstatthalter und Gauleiter Karl Kaufmann, in einem Vortrag vor Kaufleuten: „… die Neugestaltung Hamburgs (gemeint waren die geplante gewaltige Hochbrücke und die Führerbauten) strahlt ein derartiges Schwergewicht aus, dass eines Tages der Zeitpunkt gekommen sein wird, wo unsere Lebensinteressen gewachsen und unabweisbare Notwendigkeiten gegeben sein werden … Jedenfalls dürfen Sie sicher sein, dass ich nicht für das kleinere, sondern für das größere Hamburg kämpfe.“ Im Klartext lautete diese Botschaft: Karl Kaufmann strebte eine erneute Vergrößerung des Staatsgebiets über den Zuwachs durch das Groß-Hamburg-Gesetz von 1937 hinaus an.

Natürlich werde das siegreiche Deutschland auch Kolonialmacht sein: „Ich weiß nicht, wie die Grenzen des Kolonialreiches aussehen werden, dass wir aber nach diesem Kriege über ein großes Kolonialreich verfügen, darüber besteht überhaupt kein Zweifel mehr.“ Es werde nach diesem Krieg ein vom Deutschen Reich beherrschtes, „neu organisiertes Europa“ entstehen, „unter Führung eines großen germanischen Reiches“. Aufgabe auch der Kaufmannschaft sei es, „dass Hamburg entsprechend seiner Tradition, seiner Geschichte und seiner Leistung“ sich daran beteilige.

Das Veranstaltungsprotokoll verzeichnet auch dazu „Lebhafter Beifall“. Großbritannien, so versicherte Kaufmann seinen Zuhörern, werde geschlagen, auch daran „gibt es überhaupt keinen Zweifel“. Erst wenn man sich die deutschen Kriegsziele von 1915 und 1940 (und Hamburgs Beteiligung daran) vor Augen hält, wird der Wandel deutlich, für den das dritte Erinnerungsdatum steht: der Fall der Mauer durch eine Revolution, die im elementaren Sinne vom Volk ausging, ohne jegliches Blutvergießen, nicht mit Kanonen, sondern mit Kerzen, und als deren Folge die deutsche Einheit nicht gegen unsere Nachbarn, sondern gemeinsam mit ihnen, mit denen wir in Freundschaft verbunden sind. Keine Metropole hat mehr von der Einheit Deutschlands und Europas profitiert als Hamburg, das nicht nur in sein historisches Hinterland zurückgekehrt ist. Seine Handelsströme sind geografisch die der Hanse von einst, rings um den prosperierenden Ostseeraum.