BUND-Geschäftsführer Manfred Braasch gewann den Netze-Volksentscheid, klagt gegen die Elbvertiefung und Luftverschmutzung. Der Lüneburger ist der stärkste Gegner des Bürgermeisters.
Hamburg. Wenn es stimmt, dass viel Feind viel Ehr’ bedeutet, dann ist Manfred Braasch vermutlich einer der ehrenwertesten Bürger des deutschen Nordens. Denn kaum einer dürfte im Jahr 2013 so viele und so mächtige Gegner gehabt haben wie der Hamburger Geschäftsführer des Bundes Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).
Als einer der Sprecher der Volksinitiative „Unser Hamburg – unser Netz“ für den Rückkauf der Energienetze hatte der 49-jährige Lüneburger nicht nur SPD, FDP und CDU gegen sich, sondern auch Handels- und Handwerkskammer, Industrieverband, Steuerzahlerbund, Teile der Gewerkschaften und natürlich Vattenfall und E.on, die ihre Strom-, Fernwärme- und Gasleitungen lieber behalten wollten.
Obwohl die Gegenseite in Hamburg Millionen für Anzeigenkampagnen ausgab, obwohl die SPD gegen den Rückkauf plakatierte und auch der populäre Bürgermeister Olaf Scholz immer wieder vor den Risiken warnte: Mit 50,9 gegen 49,1 Prozent der Stimmen setzte die Initiative sich durch. Ein denkbar knapper Sieg – für Braasch, der bereits seit fast 18 Jahren Hamburger BUND-Chef ist, dennoch der bisher größte Erfolg.
Er war es, der während der öffentlichen Debatten auf den Podien saß, die Interviews gab und in die Talkshows ging. Braasch war das Gesicht der Volksinitiative. Sein Erfolg gründet dabei wohl in erster Linie auf einer stoischen Art des Argumentierens. Der mittelgroße Mann mit nicht so vielen Haaren, der hinter einer Brille mit nicht so dünnen Gläsern ernst in die Welt blickt, ist nicht unbedingt ein Volkstribun, der die Hallen zum Tosen bringt. Er besticht eher durch die Aura von Sachkunde und Seriosität als durch mitreißendes Charisma – und ist in diesem Punkt seinem wichtigsten Gegenspieler Olaf Scholz auffällig ähnlich. Der in Itzehoe aufgewachsene Sohn eines Lokführers ist keiner, der jederzeit losrennen könnte, um irgendeine Bastille zu erstürmen. Er schäumt nicht über, er lodert nicht, er wedelt nicht wild mit den Armen. Er argumentiert und argumentiert, zählt Urteile auf, zitiert Gutachten und isst dabei in aller Gemütsruhe seine Pizza oder die geliebten Nudeln beim Italiener an der Langen Reihe gegenüber dem BUND-Büro. Langsam kauen, schlucken, dann das nächste Argument. Alle Fakten präsent und die Schlussfolgerungen überdacht. Alles ganz klar. Wie das stille Wasser in seinem Glas. Dieser Mann ist einfach sicher, dass er Recht hat. Warum also die Stimme heben oder die Fäuste recken?
Vernunft ist es, was zählt. Auch in diesem Punkt sind sich Braasch und Scholz ähnlich. Nur, dass die Vernunft sie zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen führt. Nicht nur beim Thema Energienetze, auch bei der Elbvertiefung. Für die Scholz-SPD und weite Teile der Wirtschaft ist der Hafen das ökonomische Herz der Stadt und die Elbe ihre Lebensader. Für Braasch ist sie auch ein Biotop. Deswegen geht es ihm auch darum, dass „die Löffelente und der Schierlingswasserfenchel sonst niemanden haben, der sich für ihr Überleben einsetzt“. Nur deswegen sei das Verbandsklagerecht eingeführt worden, das den Naturschützern die Macht gibt, Infrastrukturprojekte gerichtlich überprüfen zu lassen – wohlgemerkt auch auf Betreiben von FDP-Politikern wie Gerhart Baum. Es sei seltsam, dass man hierzulande so gern den Schutz der brasilianischen Regenwälder fordere, wenn es aber darum gehe, eines der letzten europäischen Süßwasserwattgebiete wie das Mühlenberger Loch zu schützen, dann zucke man mit den Schultern.
Überhaupt: das Mühlenberger Loch. Braaschs erste große Niederlage. Airbus hat sich auf ganzer Linie durchgesetzt. Als Braasch 1996 Geschäftsführer des BUND in Hamburg wurde, war der Kampf gegen die Airbus-Erweiterung und für den Erhalt des Mühlenberger Lochs seine erste große Herausforderung. Damals war er noch nicht so erfahren wie heute, vielleicht muss man sagen – nicht so abgebrüht. „Ich habe die Erkenntnis mitgenommen, dass man sich die Dinge wirklich erstreiten muss.“ Dabei sei der BUND kein Club der Verhinderer, keine Neinsager-Truppe, sagt Braasch. Immer habe man auch Alternativen vorgeschlagen. Beim Streit um die Airbuserweiterung habe der BUND auf den Standort Rostock gesetzt. Bei der Elbvertiefung plädiere er für eine Kooperation der norddeutschen Häfen.
Dass Olaf Scholz nicht jedes Mal die Hände vors Gesicht schlägt, wenn der Name Braasch fällt, liegt allein daran, dass eine so pathetische Geste nicht zu seinen Reaktionsmustern zählt. Denn schon im Frühjahr droht dem Bürgermeister die nächste Niederlage gegen den mit einer Ergotherapeutin verheirateten Vater zweier Töchter, der nie ein Auto besessen hat und jeden Morgen mit dem Zug aus Lüneburg anreist. Im Frühjahr steht ein Urteil des Verwaltungsgerichts zu einer weiteren Klage des BUND gegen die Stadt an. Hamburg verstößt seit Jahren bei der Luftbelastung gegen von der EU festgelegte Grenzwerte. Nun will Braasch die Stadt zu radikalen Maßnahmen gegen den Autoverkehr zwingen. Auch damit dürfte er sich nicht bei allen Hamburgern beliebt machen. Aber scharfe, bisweilen persönliche Attacken haben bisher wenig Eindruck auf ihn gemacht. „Ich weiß ja, welche Mechanismen dahinterstecken“, sagt Manfred Braasch. „Deswegen kann ich das gut aushalten.“