Fragen nach seiner politischen Zukunft und nach einer Kanzlerkandidatur mag Olaf Scholz gar nicht. Der SPD-Vizevorsitzende wirbt lieber um neue Mitglieder, und das ausgerechnet in den Reihen der FDP.

Er ist der einzige Ministerpräsident, der mit absoluter Mehrheit regiert, und er hat die nobelste Staatskanzlei. Nur die Stimmung, in der Olaf Scholz zum Interview im Kleinen Sitzungszimmer des Hamburger Rathauses erscheint, passt nicht recht dazu.

Hamburger Abendblatt: Herr Scholz, auf dem Parteitag waren nur noch 67 Prozent dafür, dass Sie stellvertretender SPD-Vorsitzender bleiben. Schlechter hat niemand aus der Parteispitze abgeschnitten. Über wen sagt das mehr aus – über Sie oder über die Sozialdemokraten?

Olaf Scholz: Es ist nicht meine Art, darüber zu philosophieren. Ich mache meine Arbeit; zuletzt viele Tage und manche Nacht in den Koalitionsverhandlungen.

Sie sind der einzige Ministerpräsident, der mit absoluter Mehrheit regiert. Größeren Erfolg kann zurzeit niemand in der SPD verbuchen...

Scholz: …und der Parteitag hat dazu geführt, dass dieser Umstand innerhalb und außerhalb der SPD ganz oft neu erwähnt wurde. Auch nicht schlecht.

Muss die Basis lernen, mit Führungskräften zu leben, die Nadelstreifenanzüge tragen, gerne mit Merkel regieren und die SPD zur Alleinerbin der sozialliberalen Ära erklären?

Scholz: Ich trage nicht nur Nadelstreifenanzüge. Aber die sehen ganz passabel aus (lacht). Im Ernst: Die SPD und ich auch haben einen Regierungswechsel angestrebt. Weil es für Rot-Grün nicht gereicht hat, haben wir uns auf Koalitionsverhandlungen mit der Union verständigt – und dabei viel erreicht. Etwa den Mindestlohn, mehr Geld für die Infrastruktur und einen klugen Pfad für die Energiewende. Das Ergebnis der Verhandlungen ist aus Sicht der gesamten Parteiführung gut. Und dass die SPD das sozialliberale Erbe antreten sollte, habe ich schon in der Vergangenheit gesagt und wiederhole das gern: Die FDP hat dieses Erbe längst vergessen. Diejenigen, die sozialliberal denken, müssen sich als Wähler und als Mitglieder bei der SPD gut aufgehoben fühlen. Die SPD kann eine neue Heimat für viele Liberale werden, die von der FDP enttäuscht sind.

Ist die FDP denn tot?

Scholz: Es wäre ein großer Zufall, wenn die FDP in vier Jahren in den Bundestag zurückkehren würde.

Wie wollen Sie Wähler und Mitglieder der FDP von der Sozialdemokratie überzeugen?

Scholz: Die Welt ist nicht so gradlinig, wie sich Polit-Strategen und Journalisten das gelegentlich vorstellen. Viele FDP-Wähler haben in ihrem Leben auch schon für SPD, CDU oder Grüne gestimmt. Wer mit seinen liberalen Vorstellungen auch eine Vorstellung von sozialer Gerechtigkeit verbindet, ist bei der SPD gut aufgehoben.

Verzeichnen Sie Übertritte, seit die FDP außerparlamentarisch geworden ist?

Scholz: Eine solche Statistik führen wir nicht. Aber ich bin sicher: Je länger die FDP nicht im Bundestag vertreten ist, desto größer wird die Zahl ihrer Mitglieder und Anhänger, die ihren Blick auf andere Parteien werfen. Manche auf uns.

Beim Parteitag hat sich die SPD nicht mit der FDP befasst, sondern eine Öffnung nach links beschlossen. Wie lange dauert es, bis Rot-Rot-Grün regiert?

Scholz: Die Partei "Die Linke" muss ihre Programmatik grundlegend verändern, wenn sie das Land mitgestalten will. Dazu gehört ein Bekenntnis zur Nato, zu Europa, zum Euro und zur Haushaltsstabilität. Auch die Partei "Die Linke" muss verstehen, dass die Unternehmen vernünftige Rahmenbedingungen benötigen, um zu wachsen und Arbeitsplätze zu schaffen. Ich bin gespannt, ob die Führung dieser Partei sich traut, den unvermeidbaren Konflikt über diese Frage mit einem Teil ihrer Mitglieder zu riskieren. Tut sie das nicht, verbaut sie sich alle Perspektiven. Es geht um ernsthafte, klare Politik für die größte Volkswirtschaft Europas.

Was bedeutet das für die nächste Bundestagswahl?

Scholz: Ich bin skeptisch, dass die Partei "Die Linke" den notwendigen Kurswechsel vollzieht und regierungsfähig werden wird. Wir werden sehen.

Welche Rolle spielt die Vergangenheit der Linkspartei?

Scholz: Die Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Geschichte ist in der Partei "Die Linke" nicht immer so, wie man das erwarten darf. Die Frage bewegt immer noch viele in meiner Partei.

Ihre nordrhein-westfälische Kollegin Hannelore Kraft hat vor einigen Tagen erklärt, sie werde nie als Kanzlerkandidatin antreten. Wie groß war Ihre Überraschung?

Scholz: Was da aus der sozialdemokratischen Landtagsfraktion berichtet wird, hat mich nicht überrascht. Ich habe ein sehr gutes und sehr freundschaftliches Verhältnis zu Hannelore Kraft. Und sie hat sich so ähnlich schon früher geäußert.

Bedauern Sie, dass der Sozialdemokratin, die Angela Merkel aussichtsreich herausfordern könnte, der letzte Ehrgeiz fehlt?

Scholz: Wir beschäftigen uns jetzt gar nicht mit Kanzlerkandidaturen, und mit Ehrgeiz hat das ganze nichts zu tun. Frau Kraft ist eine sehr gute Ministerpräsidentin und hat zu Recht großen Einfluss auf die Politik dieses Landes. Das wird immer wieder dazu führen, dass Leute den Namen Hannelore Kraft nennen, wenn es um wichtige Aufgaben geht.

Wie sehen Ihre eigenen Pläne aus?

Scholz: Ich werde 2015 wieder für das Amt des Hamburger Bürgermeisters kandidieren. Das habe ich versprochen, und daran halte ich mich. Und zwar nicht, weil ich muss, sondern weil ich will. Erster Bürgermeister in Hamburg – das ist ein großartiges Amt! Das, was ich vielleicht an politischen Fähigkeiten besitze, kann ich aus diesem Amt heraus über Hamburg hinaus einsetzen, zuletzt während der Koalitionsverhandlungen.

Ich werde nie als Kanzlerkandidat antreten – dieser Satz käme Ihnen wahrscheinlich nicht über die Lippen...

Scholz: Bleiben Sie locker und machen Sie mal eine Pause mit solchen Fragen. In wenigen Tagen gibt es hoffentlich einen sozialdemokratischen Vizekanzler, und das hat ja nicht nur Bedeutung für die Arbeit der künftigen Regierung. Von uns denkt keiner daran, was wir 2017, 2021 oder 2025 machen werden.

Hannelore Kraft schon. Sie hat sich für alle Zeiten aus dem Rennen genommen.

Scholz: Wollen Sie jetzt knapp 500.000 Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten fragen, ob sie für sich eine Kanzlerkandidatur ausschließen?

Wir beginnen mit dem engeren Anwärterkreis.

Scholz: Lassen Sie´s. Meine Perspektive ist es, dass ich 2015 in Hamburg kandidiere. Und ich gehe auch nicht in einen Wahlkampf, um danach nur kurze Zeit Hamburger Bürgermeister zu sein.

Lag am Abend der Bundestagswahl, als sich die schwere Niederlage der SPD abzeichnete, ein Putsch in der Luft?

Scholz: Das habe ich auch irgendwo gelesen, frage mich aber, wie das zustande gekommen ist. In meiner Stellenbeschreibung steht allerdings nicht, dass ich Zeitungmeldungen interpretieren muss. Ich mache richtige Politik.

Sie können Klarheit schaffen. Ist Gabriel an dem Abend als Parteichef in Frage gestellt worden?

Scholz: Wir haben zusammen Wahlkampf gemacht und haben genau gewusst: Wenn das Wahlergebnis schwierig wird, wird es schwierige Fragen an die gesamte Parteiführung und nicht nur an eine einzelne Person geben. Und wir haben uns mit praktischen Fragen beschäftigt, nämlich wie wir mit dem Wahlergebnis umgehen und ob wir Koalitionsverhandlungen mit den beiden Unionsparteien aufnehmen. Mit dem bekannten Ergebnis. Für mich steht ohnehin etwas anderes im Vordergrund…

... und zwar?

Scholz: Die SPD muss den Ehrgeiz behalten, stärkste Partei in Deutschland zu werden. Sie muss sich zutrauen, ein solches Ergebnis, wie wir es ja in Hamburg erzielt haben, in Deutschland insgesamt zu erzielen. In der Zeit der sozialliberalen Koalition hat die SPD gezeigt, was möglich ist. Wir müssen eine Politik machen, mit der sich solche Mehrheiten erreichen lassen. Es genügt nicht, dass die Bürger unser Programm gut finden. Sie müssen uns auch die Führung des Landes anvertrauen.

Ist Gabriel nach seinem Verhandlungserfolg wieder unangefochten?

Scholz: Ihre Fragen sind voller Unterstellungen. Wenn die Mitglieder dem Koalitionsvertrag zustimmen, ist das gut für die Parteiführung und für den Parteivorsitzenden. Was denn sonst?

Hat Gabriel mit Ihnen über die Zusammensetzung des Bundeskabinetts gesprochen?

Scholz: Ja.

Wer wird Minister?

Scholz: Dazu sage ich nichts.

Ist es nicht albern, eine Regierungsmannschaft zusammenzustellen und sie dann geheim zu halten?

Scholz: Wir halten uns an den Wunsch der Mitglieder, die Personalfragen von den inhaltlichen abzukoppeln. Das hat übrigens auch den Vorteil, dass die Journalisten mehr über Inhalte berichten als über Personal. Meistens jedenfalls.

Ist der Mitgliederentscheid so gut wie gewonnen?

Scholz: Alle sollten vor Wahlen und Abstimmung einen gehörigen Respekt haben. Es spricht aber vieles dafür, dass es eine breite Mehrheit für den Koalitionsvertrag geben wird.

Und wenn nicht, tritt die Parteiführung geschlossen zurück?

Scholz: Wir engagieren uns alle dafür, dass der Mitgliederentscheid mit einem positiven Votum endet. Dass es Konsequenzen hat, wenn es anders läuft, muss man nicht betonen. Aber: Wir wollen niemandem mit etwas drohen, sondern eine Entscheidung in der Sache.

Staatsrechtler ziehen die Legitimationsbasis des Mitgliedervotums in Zweifel...

Scholz: Vielleicht darf ich als Jurist eine Interpretationshilfe geben: Wenn ein Staatsrechtler sagt, er habe Zweifel, dann meint er noch lange nicht, etwas sei verboten...

... und für die SPD ist alles okay, was nicht verboten ist?

Scholz: Bisher hat niemand ein handfestes Argument gegen den Mitgliederentscheid angeführt. Zumal es ja mehr Demokratie bedeutet, wenn so viele in einer Partei mitentscheiden und nicht nur wenige. Die Unterstellung, die Verfassung werde nicht beachtet, ist jedenfalls falsch. Die Freiheit des Abgeordneten wird durch den Mitgliederentscheid in keiner Weise beeinträchtigt. Kein Mandatsträger ist gezwungen, sich bei der Kanzlerwahl am Ausgang des Mitgliedervotums zu orientieren. Manche Kritiker scheinen sich gedanklich im 19. Jahrhundert zu befinden, als man verächtlich von Parteiungen sprach. In unserer modernen Demokratie ist die Mitwirkung der Parteien an der Willensbildung im Grundgesetz verankert.

Bleibt es bei dem Mitgliederentscheid über den Koalitionsvertrag, oder wollen Sie die Basis auch über einzelne Sachfragen entscheiden lassen – etwa über ein weiteres Hilfspaket für Griechenland?

Scholz: Wir haben in unsere Satzung geschrieben, dass die Möglichkeit von Mitgliederentscheiden besteht. Daraus folgt nicht, dass sie in Anspruch genommen werden muss. Was die SPD gerade macht, wird sicher Nachahmung finden, auch bei anderen Parteien. Es ist aber nicht sehr wahrscheinlich, dass über laufende Fragen des Regierungsgeschäfts abgestimmt wird. Es sei denn, sie sind von so substanzieller Bedeutung, dass die Legitimation für das Handeln neu begründet werden muss.

Ein Beispiel?

Scholz: Fällt mir gerade nicht ein.

Der Ausstieg aus der Koalition?

Scholz: Wir steigen gerade ein. Wir gehen in diese Koalition, um sie vier Jahre lang erfolgreich zu gestalten.

Bleiben die Grünen der Wunschpartner der SPD? In Hessen wollen sie jetzt mit der CDU koalieren...

Scholz: Die Grünen sind eine ganz eigenständige Partei mit anderen Vorstellungen und nicht, wie gelegentlich unterstellt wird, Fleisch vom Fleische der SPD. Aber die Grünen sind die Partei, mit der wir die meisten inhaltlichen Überschneidungen haben.

Hätten Sie in einem Koalitionsvertrag mit den Grünen mehr sozialdemokratische Politik verankern können als jetzt mit der Union?

Scholz: Vermutlich schon. Aber: Wir haben substanzielle Verbesserungen für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes durchsetzen können.

Hat man in der SPD vergessen, welchen Wert die Sozialreformen von Schröder und Müntefering haben?

Scholz: Nein.

Warum höhlen Sie dann die Rente mit 67 aus?

Scholz: Wir verändern die Perspektive für diejenigen, die 45 Jahre lang gearbeitet und entsprechend lange Beiträge gezahlt haben. Die abschlagsfreie Rente mit 63 betrifft nicht alle. Und dementsprechend hat das, was wir uns vorgenommen haben nichts mit einem Zurückdrehen von Reformen zu tun. Uns geht es um Respekt für diejenigen, die im wahrsten Sinne malocht haben. Ich habe diesen Respekt.

Bei Gabriel klingt das anders. Er spricht von der Abschaffung der Rente mit 67 für Nicht-Akademiker.

Scholz: Nochmal: Es geht um eine Regelung für Männer und Frauen, die 45 Jahre lang gearbeitet haben. Um Leute, die ein langes und oft schweres Arbeitsleben hinter sich haben.

Können Sie das einem Hamburger Kaufmann begreiflich machen?

Scholz: Auch einem in München, Köln oder Berlin. Kaufleute schätzen den Wert von Arbeit und Anstrengung. Das ist die Grundlage des Wohlstandes.

Ist das, was Union und SPD planen, Politik für die keinen Leute?

Scholz: Es ist eine Politik, die Mühe und Anstrengung respektiert und honoriert. Die SPD hat sich immer verstanden als die Partei derjenigen, die fleißig und tüchtig sind. Es gibt aber auch unter denen gar nicht wenige, die trotzdem gerade mal so über die Runden kommen.

Von kleinen Leuten würden Sie nicht sprechen.

Scholz: Ich habe bewusst den Begriff und den Wert der Arbeit angesprochen. Wir müssen diejenigen, die arbeiten, mehr schätzen.

Sind die geplanten Milliardenausgaben ohne Steuererhöhungen zu finanzieren?

Scholz: Die Kanzlerin hat Steuererhöhungen schon bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages nicht ausgeschlossen. Warum sollte ich das jetzt tun? Es hat keiner vor, die Steuern zu erhöhen. Aber es kann anders kommen. Vorhersagen der Zukunft sind eine der ganz großen Herausforderungen im menschlichen Leben. Niemand weiß, wie sich die Konjunktur in den nächsten Jahren entwickeln wird.

Die Geschichte zeigt, dass Koalitionsverträge und Regierungshandeln sehr voneinander abweichen können. Was steht dieses Mal nur auf dem Papier?

Scholz: Das werden die Geschichtsprofessoren dereinst wissen.

Kommt die Pkw-Maut für Ausländer?

Scholz: Die Pkw-Maut für Ausländer ist ein ambitioniertes Vorhaben auch in rechtlicher Hinsicht.

In den Bundesländern formiert sich erheblicher Widerstand gegen die Pkw-Maut. Reiner Haseloff, der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, will lieber den Soli in die Verkehrsinfrastruktur fließen lassen...

Scholz: Über die Zukunft des Solidaritätszuschlags werden wir in dieser Wahlperiode entscheiden müssen. 2019 läuft der Solidarpakt aus. Man kann den Solidaritätszuschlag nicht einfach so weiter erheben. Mein Vorschlag ist, den Soli zur Schuldentilgung der Bundesländer einzusetzen.

Sind alle 16 Länder überlebensfähig, wenn die Schuldenbremse greift?

Scholz: Ja. Man mag über die Zusammenlegung von Bundesländern aus vielen Gründen diskutieren. Man sollte nur nicht glauben, dass die Probleme, die heute einzelne Länder haben, hinterher verschwunden sind. Solidarität mit Regionen, die nicht genügend Wohlstand generieren, wird man immer organisieren müssen. Ob es dabei 16 Länder oder neun gibt, macht keinen großen Unterschied.

Wenn Sie so gerne Ministerpräsident sind – reizt es Sie nicht, anstelle von Hamburg einen Nordstaat zu regieren?

Scholz: Nein. Und tun Sie mir einen Gefallen: Beschäftigen Sie sich nicht so sehr mit meiner Karriere.