Waren die Warnungen vor Orkan „Xaver“ übertrieben? Der Deutsche Wetterdienst spricht von einer „Punktlandung“, ein Krisenforscher von einer „selbstzerstörenden Prophezeiung“. Die Polizei ist sich da nicht so sicher.
Kiel. Von Böen von bis zu 200 km/h war im Vorfeld die Rede. Noch heftiger als „Christian“ sollte Orkantief „Xaver“ wüten. Selbst sturmerprobte Norddeutsche ließen entsprechende Schreckensszenarien nicht kalt. Nun ist das Schlimmste überstanden, die Schäden fielen deutlich geringer aus. Waren die Warnungen im Vorfeld also übertrieben? „Auf keinen Fall“ entgegnet Meteorologe Rüdiger Hartig vom Deutschen Wetterdienst.
Die Vorhersagen des Deutschen Wetterdienstes hätten sich als richtig erwiesen. „Im Hinblick auf die Nordseeküste waren unsere errechneten Windgeschwindigkeiten von 140 Kilometern pro Stunde eine Punktlandung“, sagt Hartig. Etwas zu hoch seien die Vorhersagen allenfalls für das mittlere Niedersachsen ausgefallen.
Der Meteorologe kritisierte jedoch andere Wetterexperten, die im Vorfeld zu hohe Werte wie Windgeschwindigkeiten von bis zu 200 km/h oder auch Schneemassen vorhergesagt hätten. „So etwas wird von den Medien natürlich aufgesogen“, sagt er. Die Warnungen hätten jedoch geholfen, Schlimmeres zu verhindern. „Die Vorbereitungen waren ganz anders als bei einer einfachen 08/15-Warnung“, sagt er.
Ähnlich bewertete Frank Roselieb vom Kieler Institut für Krisenforschung das Geschehen: „Die Medien haben sich im Vorfeld mit ihrer sehr ausführlichen Berichterstattung absolut richtig verhalten“, sagte er. Dadurch hätten sich die Norddeutschen entsprechend auf den Orkan vorbereiten können. „Man spricht deshalb von einer selbstzerstörenden Prophezeiung. Die Krise war zwar tatsächlich da, aber die Folgen sind nicht so schwer.“
Roselieb warnte jedoch, es gebe in dieser Hinsicht auch eine Art „Abstumpfungseffekt“. Behörden und Medien dürften es deshalb nicht übertreiben. „Wenn der Deutsche Wetterdienst jede Woche vor einem Sturm warnt und dann weht nur ein laues Lüftchen, nehmen die Leute das irgendwann nicht mehr ernst.“
Lothar Gahrmann vom Landespolizeiamt Schleswig-Holstein ist sich im Nachhinein dagegen „nicht sicher, ob der Sturm nicht ein bisschen überbewertet worden ist – von allen wie wir da sind“. Durch die frühzeitigen Warnungen habe es aber weniger Verkehr und damit auch weniger Unfälle auf den Straßen gegeben. „Das ist Fakt. Wir waren nach den Erfahrungen mit „Christian“ sehr sensibel.“ Insbesondere dessen Heftigkeit habe damals alle überrascht.
Nach Angaben des weltgrößten Rückversicherers Munich Re ist es für eine Abschätzung der finanziellen Folgen von Orkantief „Xaver“ noch viel zu früh. Dieser Prozess werde Wochen brauchen, sagte ein Sprecher. Das Beispiel Hamburg zeige die Wirkung der getroffenen Schutzmaßnahmen an den Küsten. Dort seien nach der verheerenden Sturmflut von 1962 auf heutige Werte umgerechnet rund 2,2 Milliarden Euro investiert worden.
Inzwischen habe es fünf Sturmfluten mit höheren Pegelständen als 1962 gegeben, die aber weit weniger Schäden anrichteten. Nach einer Simulation der Munich Re haben die Schutzmaßnahmen Schäden in Höhe von rund 17,5 Milliarden Euro verhindert.