Die Metropolregion Hamburg zeigt sich als Vorreiter bei der Nutzung der Windkraft und der Entwicklung von Speichern. Hier arbeiten bereits rund 25.000 Menschen im Bereich der erneuerbaren Energien.

Für Michael Westhagemann war es durchaus ein Balanceakt. Doch der Industriemanager ist um klare Worte nie verlegen.

„Wir müssen in der Summe aufpassen, wie sich die Strompreise in Deutschland im Rahmen der Energiewende entwickeln. Diesen Spagat müssen wir bewältigen“, sagte der Chef der Siemens Region Nord mit Sitz in Hamburg am vergangenen Mittwoch im Rathaus.

„Wir müssen und können den Strommarkt weiter entwickeln. Unter dem Strich steht aber für alle Beteiligten die Frage, wie wir mit unserem Klima umgehen. Wenn wir den Klimawandel ernst nehmen, müssen wir die erneuerbaren Technologien entsprechend fördern und ausbauen.“

Siemens, der deutsche Weltkonzern mit seinen insgesamt rund 370.000 Mitarbeitern, steht stellvertretend für die Herausforderungen der Energiewende in Deutschland.

Als ein führender Systemanbieter fertigt der Münchner Konzern eine riesige Bandbreite von Energie-Technologien, von der Gasturbine bis zum Offshore-Windkraftwerk, vom Leitstand für Kohlekraftwerke bis zur Umspannstation für den Einsatz in Windparks auf hoher See.

Siemens zählt zu jenen Unternehmen, die regelmäßig den Anstieg der Strompreise am Industriestandort Deutschland kritisieren. Doch zugleich profitiert der Konzern erheblich vom Ausbau der erneuerbaren Energien.

Von Hamburg aus steuert Siemens, Weltmarktführer bei der Herstellung von Offshore-Windturbinen, mittlerweile sein weltweites Geschäft mit dieser noch jungen Technologie.

Cluster EEHH fördert erneuerbare Energien

Gemeinsam mit Hamburgs Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) präsentierten Westhagemann und andere Manager im Rathaus eine Zwischenbilanz für das Cluster Erneuerbare Energien Hamburg (EEHH).

Seit drei Jahren bündelt die Initiative die Interessen einer Branche, die ihre Konturen immer noch herausbildet. Westhagemann war von Beginn an aktiv, bei der Gründung des Vereins zur Förderung des Clusters Erneuerbare Energien Hamburg e. V. im September 2010.

Der Verein hält 49 Prozent der Anteile an der Agentur EEHH GmbH, 51 Prozent liegen bei der Stadt Hamburg. An der Gründung des Vereins beteiligten sich seinerzeit 57 Mitglieder, zumeist Unternehmen, mittlerweile sind es 182 Mitglieder.

Jüngster Neuzugang war das E.on-Tochterunternehmen Climate & Renewables. Der Lobbyverband vertritt die erneuerbaren Energien, von der Wind- und Sonnenenergie bis zur Biomasse, von Speichertechnologien bis zur Entwicklung neuer Stromnetze.

Vor allem aber zeigt EEHH einen Querschnitt durch die Wirtschaft im Norden, von der Energiebranche bis zu Reedereien, vom Baukonzern bis zu Ingenieurbüros und zum TÜV. „Die Metropolregion Hamburg ist innerhalb kürzester Zeit zu einem der wichtigsten europäischen Zentren der erneuerbaren Energien geworden“, sagte Westhagemann.

Der Umstieg ist kompliziert

Der Umstieg von Kohle und Atomkraft auf erneuerbare Energien ist kompliziert: Ein völlig neues Versorgungssystem entsteht, während ein etabliertes und funktionierendes noch viele Jahre lang weiterläuft.

Die Logik beider Systeme unterscheidet sich: Die erneuerbaren Energien sind stark, wenn sie dezentral, flexibel eingesetzt werden und viele Erzeuger miteinander vernetzen. Die heutige Energieversorgung basiert vor allem auf großen Kraftwerken und den entsprechend ausgelegten Netzen, sie sind geprägt von zentralen Strukturen.

In den Lobbykämpfen von alter gegen neuer Energiewirtschaft verläuft die Grenze oft zwischen großen und kleinen, zwischen arrivierten und jungen Unternehmen. Das Cluster EEHH setzt hingegen auf den Einsatz und die Tatkraft aller, die zur Energiewende beitragen wollen.

Vattenfall steht als Netzbetreiber in Hamburg und Berlin unter Dauerdruck von Bürgerinitiativen, die eine Rekommunalisierung der Netze erreichen wollen. Zudem betreibt das deutsche Tochterunternehmen des schwedischen Staatskonzerns in Ostdeutschland gewaltige und besonders klimaschädliche Braunkohlekraftwerke.

Aber Vattenfall zählt auch zu den Hauptakteuren beim Ausbau der Offshore-Windkraft auf der Nordsee – ein wichtiger Baustein für den Aufbau einer weniger klima- und umweltschädlichen Energieversorgung.

Im Raum Hamburg wächst ein Netzwerk heran

In Hamburg und in der Metropolregion wächst ein Netzwerk von Unternehmen und Branchen heran, die gemeinsam auch die komplexesten Themen der Energiewende angehen können.

„Es gibt keinen anderen Ort in Deutschland, an dem man sich so intensiv mit der Energiewende beschäftigt wie in Hamburg“, sagt Vattenfall-Regionalchef Pieter Wasmuth.

Widerstrebende Kräfte und Interessen müssen auf dem Weg zu einem neuen, funktionsfähigen Energiesystem synchronisiert werden. Zu einem Versorgungssystem, das zuverlässig und umweltschonend funktionieren soll – und dessen Preise für Unternehmen und Privathaushalte vertretbar bleiben.

Noch ist offen, wie die künftige Bundesregierung das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) reformieren wird. Das EEG ist die Grundlage für die Förderung der erneuerbaren Energien. Die Vergütungen für die Einspeisung von Strom aus Wind-, Sonnen- oder Biomassekraftwerken sind dort geregelt.

Das Gesetz muss modernisiert werden, um den Übergang vom heutigen in ein neues System auf zeitgemäße Art zu steuern, um einen Anstieg der Strompreise durch die Förderung von Öko-Energien zu begrenzen.

Der Weg zu einem neuen EEG, der Weg auch beim weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien wird konfliktreich sein, nicht nur zwischen den Akteuren in Wirtschaft und Politik, auch zwischen den Regionen im Norden und im Süden Deutschlands.

Neue Energien schaffen Arbeitsplätze

Die Wirtschaft im Norden sieht vor allem die Chancen. In der Metropolregion Hamburg werden bereits rund 25.000 Arbeitsplätze den erneuerbaren Energien zugerechnet, 15.000 sind es in Hamburg.

Von 2008 bis 2012 ist die Anzahl dieser Arbeitsplätze in der Hansestadt um 5000 gestiegen, vor allem durch die Ansiedlung neuer Unternehmen und Geschäftsbereiche wie etwa der Windkraftsparte von Siemens.

Weitere 10.000 zusätzliche Arbeitsplätze erwarten Unternehmen und Politik bis zum Jahr 2015 in der neuen Energiewirtschaft. „Hamburg ist die Metropole für erneuerbare Energien Norddeutschlands – mit weiter steigender Tendenz“, sagte Wirtschaftssenator Frank Horch. „Ohne den Norden wird die Energiewende in Deutschland nicht gelingen.“

Die Windkraft spielt beim Umbau der Energieversorgung eine herausragende Rolle. Nirgends sind die Potenziale für die Erzeugung von Windstrom an Landstandorten in Deutschland so groß wie an den Küsten.

Offshore-Windkraft im Aufbau

Hinzu kommt die Offshore-Windkraft, deren Aufbau in der deutschen Nord- und Ostsee in den vergangenen Jahren gerade erst begonnen hat. „Die Offshore-Windkraft in Deutschland wird zwischen 2020 und 2030 voll wettbewerbsfähig sein“, sagt Christoph Mertens, der scheidende Chef für das deutsche Offshore-Geschäft des dänischen Energiekonzern Dong.

„Deshalb muss der Ausbau von Offshore-Parks jetzt weiter vorangetrieben werden.“ Erst Ende November hatte Dong angekündigt, das Doppelprojekt Godewind 1 und Godewind 2 nördlich der Insel Norderney zu realisieren, mit einer Investition von 2,2 Milliarden Euro.

Der Ausbau der erneuerbaren Energien, vor allem der Windkraft, bringt dem Norden weit mehr als zusätzliche Arbeitsplätze und steigende Steuereinnahmen.

Die Windkraft, die dazu gehörenden Netze und Speicher, die notwendige Kooperation von Unternehmen, Hochschulen und Forschungsinstituten könnte die Küstenregion insgesamt enger verbinden und sie stärken.

Allzu oft liefern sich norddeutsche Länder, Städte und Kreise kleinliche und nicht selten peinliche Auseinandersetzungen, sei es um den Austragungsort der Windmesse, um den Ausbau von Straßen, bei der Planung zur Elbvertiefung oder bei der strategischen Abstimmung der deutschen Nordseehäfen. Gerade die Windkraft könnte ein gemeinsames Thema für den Norden sein, weil sie unverzichtbar für ganz Deutschland ist.

Energiewende braucht Zusammenarbeit

„Die Energiewende braucht den Gestaltungswillen der Politik, braucht den Willen, über die Landesgrenze hinauszudenken“, sagte Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) am Mittwoch bei einer Konferenz in Lübeck.

„Sie braucht die enge Zusammenarbeit zwischen den Ländern, wie Hamburg und Schleswig-Holstein sie schon lange verwirklichen und wie die Metropolregion Hamburg auch Teile von Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein in die Planung einbindet.“

Ein Vorhaben, das technologisch und wirtschaftlich so komplex ist wie der Aufbau einer neuen Energieversorgung, braucht Symbole, Bilder und Erfolge.

Um die schwankenden Stromerträge aus Windkraftwerken und aus Solaranlagen zu speichern, gibt es etliche technologische Ansätze: von großen Hausbatterien bis hin zur Erzeugung von Wasserstoff mithilfe der Elektrolyse.

Viele Ansätze, Energie zu speichern

Im Wilhelmsburger „Energiebunker“ von Hamburg Energie wird Strom aus Windkraft gespeichert – in Form von Heizwärme für die Versorgung umliegender Häuser in einem eigenen Nahwärmenetz.

Im Norden gibt es aber auch etliche Unternehmen mit Erfahrung bei der Erzeugung von Wasserstoff. Das energiereiche Gas wird man künftig etwa in norddeutschen Salzkavernen speichern können oder aber aus Wasserstoff und Kohlendioxid synthetisches Erdgas erzeugen – zur Einspeisung in das reguläre Erdgasnetz.

Industrieunternehmen in der Region wollen nicht nur die Erzeugung von Wasserstoff aus Windkraft vorantreiben, sondern auch ein Netz von Wasserstofftankstellen im Norden und in ganz Deutschland schaffen.

An der Zapfsäule, bei der Betankung künftiger Autos mit Wasserstoff aus Windkraft, wird sich der Kreis hin zu einer nachhaltigen Energiewirtschaft schließen, so wie an etlichen anderen Orten auch. „Der Norden“, sagt Jan Rispens, Geschäftsführer der Agentur EEHH, „ist Deutschlands Tor zur Energiewende.“