Auch in Hamburg konfiszierten die Nazis bedeutende Kunstwerke, etwa von Pablo Picasso, Emil Nolde und Franz Marc. Den damaligen Kunsthallen-Direktor kostete sein Widerstand den Job.
Am 5. Juli 1937 erschien in der Hamburger Kunsthalle eine Kommission, die Schlimmes im Schilde führte:
Adolf Ziegler (1892 – 1959), Professor an der Münchner Kunstakademie, Otto Kummer, Personalreferent im Reichserziehungsministerium, Klaus Graf von Baudissin, Direktor des Essener Folkwang-Museums, Wolfgang Willrich, Maler und Kunstschriftsteller und Hans Herbert Schweitzer, Grafiker und Karikaturist, von Hitler ernannter „Zeichner der Bewegung“.
Sie alle waren mehr oder weniger fanatische Nationalsozialisten. Ziegler erklärte der Direktion, er komme mit seinen Begleitern im dienstlichen Auftrag und entnahm seiner Aktentasche ein Schreiben des Reichspropagandaministers Joseph Goebbels:
„Aufgrund einer ausdrücklichen Vollmacht des Führers ermächtige ich hiermit den Präsidenten der Reichskammer der bildenden Künste, Herrn Professor Ziegler, München, die im deutschen Reichs-, Länder- und Kommunalbesitz befindlichen Werke deutscher Verfallskunst seit 1910 auf dem Gebiete der Malerei zum Zwecke einer Ausstellung auszuwählen und sicherzustellen.“
Ziegler gehörte zu den „alten Kämpfern“ der NS-Bewegung. Er war 1925 nach einer Begegnung mit Adolf Hitler in die NSDAP eingetreten, weil er deren Kunstbegriff, bei dem das „germanische Schönheitsideal“ Pate stand, teilte und offensiv vertrat.
Nun war er mit seiner Kommission auf einer Rundreise durch bedeutende Museen in Köln, Essen, Hannover, dann in Hamburg, schließlich in Berlin, um „Verfallskunst“ zu beschlagnahmen. Ein Teil sollte in einer großen Ausstellung in München über „Entartete Kunst“ gezeigt werden. In der NS-Terminologie waren das die Werke der vom Regime verfemten Künstler.
Kunsthallendirektor verweigerte den vorauseilenden Gehorsam
Der Kommissionsvorsitzende Ziegler wusste, dass er in der Hamburger Kunsthalle fündig wurde, denn deren legendärer Direktor Alfred Lichtwark (1852 – 1914) und sein Nachfolger Gustav Pauli (1866 – 1938) hatten mit kluger und vorausschauender Erwerbspolitik eine bedeutende Sammlung zeitgenössischer Kunst zusammengetragen.
Der damalige Kunsthallen-Direktor Wilhelm Freiherr Kleinschmit von Lengefeld hatte im Gegensatz zu vielen anderen Museumschefs keinen vorauseilenden Gehorsam gezeigt und solche Kunstwerke nicht abgehängt und in die Magazine verbannt.
Auch als Ziegler nun die Herausgabe verlangte, unterstützte Lengefeld ihn nicht. Vermutlich war das der Grund, weshalb er im August 1937 von seinem Posten abberufen wurde.
Zahlreiche Meisterwerke beschlagnahmt
Ziegler konfiszierte 72 Gemälde, darunter Meisterwerke wie Kokoschkas „Die Windsbraut“, „Der Mandrill“ von Franz Marc und „Buveuse assoupie“ (Eingeschlafene Trinkerin)“ von Pablo Picasso, bedeutende Werke von Emil Nolde, Ernst Ludwig Kirchner, und anderen großen Namen der Moderne, ferner 296 Aquarelle, Pastelle und Handzeichnungen, 926 Radierungen, Holzschnitte und Lithografien sowie acht Skulpturen.
Die Exponate mussten jeweils mit Angaben darüber versehen werden, wann und zu welchem Preis sie angekauft wurden, und wer zu diesem Zeitpunkt Direktor war.
Der NS-Professor stand bei seinem Beutezug unter Zeitdruck, denn in der „Hauptstadt der Bewegung“, wie die Isarmetropole nun hieß, war die Eröffnung der Ausstellung über die „Kunst des Verfalls“ für den 19. Juli 1937 geplant, und Ziegler sollte sie leiten.
Die Museen mussten die dafür ausgewählten Exponate innerhalb von drei Tagen nach München schicken. Die für das Münchner Spektakel nicht benötigten Bilder wurden in ein Sammeldepot in der Köpenicker Straße 24 in Berlin gebracht.
Viele Werke wurden zum Zweck der Devisenbeschaffung ins Ausland verkauft, ein anderer Teil, rund 1000 Gemälde und fast 4000 Grafiken, ging am 20. März 1939 im Hof der Hauptfeuerwache in Berlin-Kreuzberg in Flammen auf.
Ein unwiederbringlicher Verlust für die Kunsthalle
Der frühere Kunsthallen-Direktor Professor Alfred Hentzen hat den Verlust, den sein Haus durch den Raubzug der Ziegler-Kommission erlitt, bitter beklagt:
„Der Grundstock der zeitgenössischen Sammlung, den Gustav Pauli von 1914 bis 1933 sorgsam wägend aufgebaut hatte, ist 1937 durch Beschlagnahme und Verkauf vernichtet worden, … alles, was Pauli an Werken jüngerer Zeitgenossen erworben hatte, Hauptwerke von Munch, Nolde, Kirchner, Schmidt-Rottluff, Heckel, Kokoschka, Franz Marc, ja sogar ein Frühwerk der ,Blauen Periode‘ von Picasso, fiel dem Bildersturm zum Opfer und befindet sich heute in Museen und Privatsammlungen des Auslands. Der Verlust wird nie wieder ganz wettzumachen sein.“
Zum Beispiel Picassos „Eingeschlafene Trinkerin“ aus dem Jahr 1902. Bis 1913 war das Gemälde Eigentum der Schriftstellerin Gertrude Stein, die es von Picasso erworben hatte. Dann gelangte es über mehrere Stationen in die Sammlung des Industriellen Oscar Troplowitz (Beiersdorf).
Seine Witwe übergab das Bild der Kunsthalle als Leihgabe, mit ihrem Tod wurde es Eigentum des Museums – bis Ziegler mit seinem Raubzug begann. 1941 wurde das Bild in der Schweiz versteigert und hängt jetzt als Dauer-Leihgabe im Kunstmuseum Bern.
Ebenfalls in der Schweiz, im Kunstmuseum Basel, befindet sich heute nach einem vergleichbaren Schicksal Kokoschkas Meisterwerk „Die Windsbraut“ aus dem Jahr 1913, eines der berühmtesten Gemälde des 20. Jahrhunderts, Ausdruck der leidenschaftlichen Liebesbeziehung Kokoschkas mit Alma Mahler, Gustav Mahlers Witwe.
Auch Bilder haben ihre Schicksale
Schließlich „Der Mandrill“ von Franz Marc aus dem Jahr 1913, ebenfalls ein Opfer von Zieglers Bildersturm in der Kunsthalle, heute eines der Meisterwerke in der Münchener Staatsgalerie Moderne Kunst.
Nicht nur Bücher, auch Bilder haben ihre Schicksale. Es gibt keine Chance für einen Rückerwerb dieser und anderer Gemälde. Die Kunsthalle, die sich nachdrücklich in der Provenienzforschung engagiert, die die Herkunft von Kunstwerken zu klären versucht, ist da ohne Illusionen.
Für den Münchener Kunstfund, so sensationell er sein mag, gilt das ebenfalls. Dennoch sind Überraschungen nicht ausgeschlossen. Der Fall hat übrigens einen Hamburg-Bezug:
Hildebrand Gurlitt (1895 – 1956), einer der von Goebbels mit der „Verwertung“ der „entarteten Kunst“ im Ausland beauftragten Kunsthändler (in der Münchener Wohnung seines Sohnes Cornelius Gurlitt wurden die Kunstwerke gefunden), war von 1931 bis 1933 Leiter des Kunstvereins Hamburg und betätigte sich anschließend als selbstständiger Kunsthändler mit der Firma „Kunstkabinett Dr. H. Gurlitt“, erst in der Klopstockstraße 35, dann bis zur Zerstörung des Hauses 1943 in der Alten Rabenstraße 6. Die Geschäfte gingen gut.