Die Netzentgelte sind in Deutschland sehr unterschiedlich. Hamburg zahlt derzeit besonders hohe Durchleitungsgebühren. Ein billigerer Trassenbetreiber steht bereit. Der Senat muss nun entscheiden.

Hamburg. Hamburgs Haushalte und Betriebe könnten ab dem Jahr 2015 womöglich weniger für ihren Strom bezahlen. Nach Informationen des Abendblatts arbeitet der lokale Netzbetreiber, die Stromnetz Hamburg GmbH, an einem Plan, mit dem die Netzentgelte, die auf die Nettostrompreise aufgeschlagen werden, spürbar gesenkt werden können. Dazu müsste die Hansestadt lediglich den Betreiber des überregionalen Stromnetzes wechseln.

Zum Hintergrund: Die Netzentgelte, die jeder Verbraucher als Gebühr für die Durchleitung des Stroms bezahlt, sind in Deutschland höchst unterschiedlich. Zum einen sind sie von den Preisen der lokalen Netzbetreiber bestimmt. Starken Einfluss auf die Entgelte haben andererseits auch die vorgelagerten Übertragungsnetze, die sogenannten Stromautobahnen.

In Deutschland gibt es vier Übertragungsnetzbetreiber und ihre Gebühren klaffen weit auseinander. Am wenigsten nimmt mit 0,68 Cent pro Kilowattstunde Transnet BW in Baden-Württemberg. Auch Anwohner, die ihren Strom über Amprion im Westen beziehen, kommen mit 0,73 Cent pro Kilowattstunde relativ günstig davon. Im Mittelfeld rangiert Tennet. Das Unternehmen versorgt Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hessen und große Teile Bayerns mit Strom. Mit 0,82 Cent pro Kilowattstunde ist Tennet aber nur halb so teuer wie der vierte Übertragungsnetzbetreiber, 50Hertz, der 1,61 Cent pro Kilowattstunde verlangt. An 50Hertz sind die fünf neuen Bundesländer angeschlossen – und ausgerechnet auch Hamburg.

Das Stromnetz der Hansestadt hat im Osten in Oststeinbek, im Süden bei Moorburg und im Norden bei Norderstedt eine Kontaktstelle zu den Höchstspannungsleitungen von 50Hertz. Im Norden gibt es für Hamburg aber eine weitere Kontaktstelle mit Tennet, die mit geringen Umbauten schnell angeschlossen wäre. Bis Ende 2014 ist Hamburg vertraglich an 50Hertz gebunden. Danach könnte die Hansestadt zu Tennet wechseln – dem Übertragungsnetzbetreiber, der 0,79 Cent weniger pro Kilowattstunde Strom verlangt. Für den Standort Hamburg wäre das ein erheblicher Vorteil: Anstatt wie bisher 5,33 Cent würden die Netzabgaben für die Verbraucher nur noch 4,54 Cent pro Kilowattstunde betragen. Eine Familie mit einem durchschnittlichen Jahresverbrauch von 3500 Kilowattstunden müsste dann knapp 28 Euro weniger Netzentgelte bezahlen. Für einen Gewerbebetrieb mit einem durchschnittlichen Jahresverbrauch von 50.000 Kilowattstunden würde die Stromrechnung sogar um 395 Euro sinken.

Bei industriellen Betrieben, die wie Aurubis im Jahr bis zu einer Milliarde Kilowattstunden Strom verbrauchen, könnte der Wechsel des Übertragungsnetzbetreibers mit Einsparungen in Millionenhöhe sogar wettbewerbsentscheidend werden. Deshalb wird bei der Stromnetz Hamburg GmbH der Absprung ernsthaft erwogen: „Wir denken über einen Wechsel von 50Hertz zu Tennet nach“, sagt Dietrich Graf, Geschäftsführer der Stromnetz Hamburg GmbH. Allerdings gäbe es einige Hürden: Zum Anschluss der südlichen Stadtteile Hamburgs müsste eine zusätzliche Überlandleitung an das Netz von Tennet im 30 Kilometer entfernten Dollern bei Stade gespannt werden. Selbst wenn dieser Ausbau nicht zustande käme, wäre ein Wechsel sinnvoll: Der Norden Hamburgs könnte künftig von Tennet mit Strom versorgt werden, der Süden weiter von 50Hertz.

„Damit die Hamburger aber nicht unterschiedliche Netzentgelte entrichten müssen, würden wir die Abgaben einfach mitteln, damit alle Verbraucher wenigstens zu einem Teil entlastet werden“, so Graf. Ob der Wechsel realisiert wird, müsse aber die Politik entscheiden, fügt er hinzu.

Das liegt nur zum Teil daran, dass Hamburg mit 25,1 Prozent an dem lokalen Netz der Stromnetz Hamburg GmbH beteiligt ist, und nach dem Volksentscheid künftig auch die restlichen Anteile übernehmen soll. Politisch schwerer, wiegen die Folgen, die der Wechsel des Übertragungsnetzbetreibers mit sich bringen würde: 50Hertz lebt nämlich davon, dass es einen Großteil seines Stroms nach Hamburg liefert. Wechselt die Stadt zu einem anderen Energiezulieferer, würden die Einnahmen des Netzbetreibers drastisch sinken. 50Hertz wäre dann gezwungen, für alle anderen Bundesländer die Netzentgelte deutlich heraufzusetzen.

Die hohen Netzgebühren nimmt 50Hertz nämlich weniger zur Profitmaximierung, sondern vor allem dazu, um die eigenen Kosten zu drücken. Bis 2010 gehörte das Übertragungsnetz dem Energiekonzern Vattenfall, der das alte DDR-Netz nach der Wende übernahm und mit hohen Investitionen auf westliche Standards aufrüstete. Die Abschreibungen für diese Investitionen tragen die beiden neuen Eigentümer von 50Hertz, der belgische Übertragungsnetzbetreiber Elia und der australischen Infrastrukturfonds Industry Funds Management (IFM) noch heute. Hinzu kommt, dass 50Hertz in relativ strukturschwachen Regionen wie in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg sein Netz betreibt. Dort sind wenige Verbraucher angeschlossen, es wird aber sehr viel Strom aus erneuerbaren Energiequellen produziert, der durchgeleitet werden muss.

Das alles wird von Hamburg über die hohen Netzentgelte derzeit subventioniert. Kippt dieser Geldzufluss, würde der Netzausbau im Osten ins Stocken geraten. Und Bürgermeister Olaf Scholz würde vermutlich den Ärger der ostdeutschen Regierungen auf sich ziehen.

„Der Plan aus Hamburg ist für uns deshalb keine Option“, sagt Volker Kamm, Sprecher von 50 Hertz. „Regionale Rosinenpickerei ist wenig hilfreich, wenn wir das nationale Projekt „Energiewende“ verwirklichen wollen.“ Zumal der Netzausbau vor allem im Westen vorangetrieben werden müsse, der Osten aber derzeit die Last trage, sagt Kamm.