Das Misstrauen zwischen der knapp erfolgreichen Volksinitiative „Unser Hamburg – unser Netz“, Teilen der Bürgerschaft und dem SPD-geführten Senat ist noch erheblich.
Vielleicht ist es einfach nur ein schöner Zufall: Die gemeinsame Sitzung des Haushalts- und Umweltausschusses der Bürgerschaft, während der die erbitterten Gegner des Volksentscheides über den Rückkauf der Energienetze am Donnerstag zum ersten Mal wieder aufeinandertrafen, fiel ausgerechnet auf den Reformationstag. Nun müssen sich die einstigen Kombattanten ja nicht gleich mit christlicher Nächstenliebe begegnen, nachdem der Souverän, das Volk von Hamburg, gesprochen hat. Respekt und Verständnis für die Lage, bisweilen auch Notlage, des jeweils anderen tun es auch.
Nach der ersten parlamentarischen Runde auf dem Weg zur Umsetzung des Volkswillens bleibt festzuhalten: Es hakt doch noch beträchtlich, bis aus den „Feinden“ von einst Freunde, oder auch nur Partner werden. Anders ausgedrückt: Das Misstrauen zwischen der knapp erfolgreichen Volksinitiative „Unser Hamburg – unser Netz“, Teilen der Bürgerschaft und dem SPD-geführten Senat ist noch erheblich.
Am 22. September hatten sich die Hamburger parallel zur Bundestagwahl per Volksentscheid mit 50,9 Prozent für den kompletten Rückkauf der Strom-, Gas- und Fernwärmenetze ausgesprochen. Hamburg hält derzeit 25,1 Prozent. Die Kosten für den Rückerwerb des Mehrheitsanteils von 74,9 Prozent von den Energiekonzernen Vattenfall und E.on belaufen sich auf rund 1,5 Milliarden Euro. Der Weg dahin ist allerdings überaus kompliziert. Vattenfall und E.on wollen bislang nicht freiwillig verkaufen. Und der Besitz allein hilft der Stadt nicht einmal. Eine städtische Betriebsgesellschaft, die erst noch gegründet werden muss, muss sich in einer öffentlichen Ausschreibung letztlich gerichtsfest durchsetzen, weil Klagen unterlegener Konkurrenten durchaus wahrscheinlich sind. „Das ist ein nicht kleines Projekt“, wie Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD) in senatorabler Untertreibung vor den beiden Ausschüssen sagte.
Die allein regierende SPD ist in einer politischen Zwickmühle. Die Parteioberen, allen voran Bürgermeister Olaf Scholz, waren strikt gegen den Rückkauf der Netze. Die Sozialdemokraten müssen nun das Gegenteil dessen machen, was sie wollten. Schlimmer noch: Sie dürfen nicht den leisesten Anschein erwecken, dass sie nicht mit vollem Einsatz dabei sind. Denn wenn der Rückkauf scheitert – an welcher Klippe auch immer –, wird der Vorwurf lauten: Senat und Regierungspartei SPD hätten den von ihnen ungeliebten Deal administrativ hintertrieben. „Wir sind zum Erfolg verdammt“, sagte SPD-Bürgerschafts-Fraktionschef Andreas Dressel am Donnerstag. Da schwang schon ein wenig Verzweiflung mit.
Dressel gibt sich alle Mühe, als personifizierte vertrauensbildende Maßnahme aufzutreten. So hatte der SPD-Fraktionschef im Vorfeld dafür gesorgt, dass mit Manfred Braasch und Wiebke Hansen gleich zwei Vertreter der Netze-Initiative als „Auskunftspersonen“ vor die beiden Ausschüsse geladen wurden. Die Hoffnung war, dass sich die beiden mit ihrer Kompetenz der Bürgerschaft mit Rat zur Verfügung stellen.
Doch Braasch und Hansen, vielleicht noch im Überschwang des Abstimmungserfolgs, wollten weniger Auskunft geben, als Forderungen stellen und Noten an den Senat verteilen. „Der Senat zeigt Umsetzungswillen, schwächelt aber bei Transparenz und Experteneinbindung“, lautete das etwas gönnerhafte Fazit der Initiative am Tag nach der Ausschusssitzung. Doch auch während der Beratungen war Braasch deutlich geworden. Die ständige Beteiligung der Initiative wie auch von Gegnern des Rückkaufs an den Sitzungen sei „ein guter Anfang“. Doch das reiche nicht aus. Gefordert sei breite Transparenz, also die umfassende Einbeziehung der Öffentlichkeit. Wiebke Hansen wurde noch deutlicher: „Die Struktur der künftigen Netzgesellschaft darf nicht hinter verschlossenen Türen festgelegt werden“, forderte Braaschs Mitstreiterin energisch.
Das rief FDP-Fraktionschefin Katja Suding auf den Plan, die sich Braasch direkt vornahm. „Sie waren als Experte eingeladen, aber dazu habe ich von Ihnen nichts gehört“, empörte sich Suding, die gegen den Rückkauf der Netze war. Der Auftrag der Initiative sei mit dem Volksentscheid beendet. Insofern habe Braasch keine Forderungen mehr zu stellen. Für Suding ist der Umgang mit der Initiative eine Grundsatzfrage der Demokratie. „Laut Volksentscheid werden Senat und Bürgerschaft aufgefordert, den Rückkauf der Netze umzusetzen. Von der Beteiligung der Initiative ist nicht die Rede“, sagte die Liberale, die das Parlament zu mehr Selbstbewusstsein und einer klaren Trennung der Rollen aufforderte.
Auch SPD-Fraktionschef Dressel sah Grenzen der Transparenz, wenngleich aus anderen Gründen. „Wenn Vertreter anderer Bieter, die hier im Raum sind, mitbekommen, dass wir bestimmte Kriterien für die Konzessionsvergabe in öffentlicher Sitzung festlegen, dann fliegt uns das später in einem Gerichtsverfahren um die Ohren“, sagte Dressel. Allenfalls ein öffentliches „Brainstorming“ komme in Betracht. Nach welchen Kriterien der Senat die Konzessionsvergabe letztlich entscheide, lege ohnehin der Senat selbst fest.
Die Zeit drängt: Spätestens zum 15. Januar muss die städtische Netzbetriebsgesellschaft gegründet sein, weil dann die Bewerbungsfrist für die Vergabe der Konzession für das Stromnetz endet. Sehr viel Konkretes konnte Tschentscher den Abgeordneten noch nicht präsentieren. Vor allem Struktur und Aufbau der städtischen Gesellschaft sind noch völlig offen. „Wir sind in der Phase der Prüfung, über die Ergebnisse werden wir dann gerne berichten“, sagte der Senator seelenruhig.
Andere sind da schon deutlich ungeduldiger. „Was wir heute vom Senat gehört haben, macht mich relativ unruhig“, sagte Grünen-Fraktionschef Jens Kerstan, ein Protagonist des Netze-Rückkaufs. „Meine Sorge ist, dass der Monat seit dem Volksentscheid vertrödelt wurde.“ Der Senat habe noch keine Ideen, „wohin die Reise gehen soll“. Es gehe nicht an, dass Tschentscher zum 15. Januar nur „eine leere Hülle“ als Betriebsgesellschaft präsentiere.
„Der Senat scheint mit der Umsetzung des Volksentscheids überfordert zu sein“, sagte die CDU-Umweltpolitikerin Birgit Stöver. Auch auf die Partner von einst ist kein Verlass. SPD und CDU stritten vor Kurzem noch gemeinsam gegen die Rekommunalisierung.