Selbst Fürsten konnten neidisch werden, wenn sie die prachtvollen Gärten einiger reicher Hamburger Kaufleute besuchten. Mancher Hanseat übernahm sich aber – und verlor am Ende alles.

Welch ein Jammer, sagt Marten de Vries leise, als er an einem Frühlingstag des Jahres 1701 in die Ambrosiusstraße einbiegt und den Staketenzaun erreicht, der das Areal noch immer umgibt. Wie traurig es hier aussieht, eigentlich sollte er sich diesen Blick ersparen, aber trotzdem muss er hierher zurückkehren. Er muss mit eigenen Augen sehen, was aus all dieser Pracht geworden ist, aus dem schönsten Garten seines Lebens. Langsam betritt der Holländer das Areal, das heute nur noch in traurigen Resten von der botanischen Wunderwelt kündet, die er hier einst hat werden und wachsen lassen. Zwar sind die schnurgeraden, mit Sand bestreuten Wege, die den Garten in strenger Symmetrie gliedern, noch erhalten, aber die Buchsbaumhecken sind ebenso verschwunden wie die Rosen, die früher an den rot gestrichenen Gartenzäunen rankten.

Die Anzuchtbeete, die de Vries einst im hinteren Bereich angelegt hatte, sind längst überwuchert, und auch die Galerie der exotischen Kübelpflanzen, die er jedes Jahr schon ab Anfang Oktober in die Orangerie gestellt hat, damit sie im rauen Klima nicht Schaden nahmen, sucht er vergebens. Im Sand sieht er noch ein paar Scherben liegen aus weiß-blauem chinesischem Porzellan, das wohl zu einem der sündhaft teuren Pflanzkübel gehört hat. Was war es doch für eine Freude, hier arbeiten zu dürfen, als Kunstgärtner des hoch angesehenen und steinreichen Hamburger Ratsherrn Caspar Anckelmann.

Jeden Morgen schon kurz nach Sonnenaufgang ist Marten de Vries von seiner Wohnung am Gänsemarkt aufgebrochen und hat den kurzen Weg zur Ambrosiusstraße genommen, wo ihn seine drei Hilfsgärtner schon erwarteten. Dann ist er die Wege entlanggegangen, hat die Beete inspiziert und seinem Adlatus genaue Instruktionen gegeben, wo heute gedüngt und geschnitten, gepflanzt und gejätet werden muss. Und nachdem die Hilfsgärtner die ganze Pflanzenpracht gründlich gegossen hatten, ist der Herr oft schon am Vormittag auf mindestens eine Stunde vorbeigekommen, hat sich auf einen leichten Sessel aus gebogenem Rohr gesetzt, der für ihn im Schatten der Spalierbäume stets bereitstand. Nicht selten winkte Anckelmann ihn herbei, bot ihm den zweiten Platz an und fragte ihn aus nach Pflanzen und Blumen, nach exotischen Gehölzen und Stauden. „Was sollten wir als Nächstes anpflanzen, sagt mir, was schwebt euch vor? Sprecht frei heraus, aufs Geld müsst ihr nicht achten“, sagte Anckelmann, der es sich tatsächlich leisten konnte. Hatte er doch mit Katharina Margarethe Möhlmann die Tochter des reichsten Hamburger Landbesitzers geheiratet. Das Haus der Familie Anckelmann, das weiß de Vries von seinen wenigen Besuchen, war mit kostbaren Möbeln und Teppichen verschwenderisch ausgestattet, dort gab es sogar eine Orgel, die sich der Meister Arp Schnitger gewiss teuer hatte bezahlen lassen. Unfassbar, wie viel Geld der Ratsherr in sein Blütenparadies hineingesteckt hatte. Wirklich alle Vorschläge zum Kauf von Tulpen und Lilien, Amaryllis und Narzissen, Anemonen und Orchideen hatte er begeistert akzeptiert und jede noch so hohe Rechnung klaglos beglichen. Das wussten die alten Freunde und Handelspartner in Amsterdam, zu denen de Vries auch nach seiner Übersiedlung nach Hamburg engsten Kontakt gehalten hatte, sehr zu schätzen. Und wenn etwas Besonderes am Markt war, das hatte sich in ganz Holland herumgesprochen, sollte man es in Hamburg Caspar Anckelmann anbieten, denn der war sozusagen unersättlich.

Wehmütig bleibt de Vries vor der Ruine der einstigen Orangerie stehen und führt sich das Bild der allergrößten Kostbarkeit vor Augen, die er jemals hegen und pflegen durfte. Es ist der Caneelbaum aus Westindien, ein seltenes Lorbeergewächs, um das die zahlreichen Hamburger Gartenbesitzer Anckelmann nach Kräften beneideten. Und neidisch war nicht nur so mancher Hamburger Kaufmann, sondern sogar ein gekröntes Haupt. Unvergessen der Besuch des Großen Kurfürsten anno 1682, den de Vries damals gemeinsam mit Anckelmann durch den Garten geführt hatte. Staunend stand Friedrich Wilhelm von Brandenburg damals vor dem berühmten Caneelbaum und fragte, was er denn kosten würde. Anckelmann hatte unmerklich gelächelt, sachte den Kopf geschüttelt und Majestät wissen lassen, dass das indische Gewächs unverkäuflich sei. Als der Monarch stolze 6000 lübische Mark dafür anbot, war das Lächeln zwar aus Anckelmanns Gesicht gewichen, das Angebot schlug er dennoch aus, wenn auch mit recht leiser Stimme.

Anckelmanns blühende Kostbarkeiten wurden in alle Winder verstreut

Vorbei, aber nicht vergessen ist das alles. Schaudernd denkt Marten de Vries daran, wie es sein Ende fand. Geschrei hatte es gegeben und viel Aufregung, damals im November 1696. Die Gläubiger standen vor der Tür, aber der hohe Herr war nicht zu finden. Zahlungsunfähig, bankrott, nicht mehr zu retten war der eben noch so steinreiche Hamburger Kaufmann und Ratsherr Caspar Anckelmann. Aus purer Not habe er sich absentiert, nirgends zu finden sei er, wahrscheinlich habe er unerkannt ein Schiff nach Übersee genommen und sei jetzt auf einer Plantage in Brasilien tätig. Von einem auf den anderen Tag fehlte nun das Geld zur Erhaltung des Gartens. De Vries entließ alle Hilfsgärtner und goss und jätete, düngte und schnitt jetzt ganz allein, obwohl auch er nun auf seinen Lohn wochen-, ja monatelang warten musste. Erst als es gänzlich vorbei war, all die prächtigen Pflanzen und Blumen, Bäume und Stauden unter den Hammer kamen, die er Jahr um Jahr mit so viel Liebe gehegt und gepflegt hatte, war auch er zurück nach Amsterdam gegangen. Würdelos war die Versteigerung bei brennenden Kerzen gewesen, bei der diejenigen, die nichts verloren hatten, so viel gewinnen konnten. Bis die Kerzen heruntergebrannt und erloschen waren, hatten die anderen Kaufleute und Ratsherren, die reichen Juristen und die Abgesandten einiger Fürsten ihre Angebote abgeben können. Dann waren die blühenden Kostbarkeiten in alle Winde zerstreut worden. Nur noch das von dem Maler Hans Simon Holtzbecker so trefflich gezeichnete Tafelwerk mit dem Titel „Horti Anckelmaniani“ zeugt noch von der verspielten Pracht des schönsten Gartens, den Hamburg jemals hatte.

Marten de Vries ist alt geworden, er stützt sich auf einen Stock mit silbernem Knauf, als er den Weg zurücknimmt zum Gänsemarkt, wo ihn unweit seiner einstigen Wohnung ein Geschäftsfreund erwartet. Für dessen Kunstgärtnerei hatte de Vries eine große Ladung Tulpen sowie Narzissen und Hyazinthen aus Amsterdam geliefert. Kurz nachdem das Schiff am Hafen festmachte, hatte de Vries die Kisten mit teuren Pflanzen in die Gärtnerei transportieren lassen. Diese restliche Zeit hat er genutzt, um die traurigen Reste des Anckelmannschen Garten zu besuchen. Caspar Anckelmann selbst konnte er nicht mehr besuchen. Der bankrotte Kaufmann war nicht nach Übersee geflohen, sondern bald wieder aufgetaucht und vor drei Jahren an einem Schlaganfall gestorben. Und aus Kummer über den Verlust des Gartens.

„Die Gärten blühen, und Ihr Geschäft tut es auch“, sagt der Hamburger Kaufmann Caspar Böckmann lächelnd, als er de Vries wenig später am Gänsemarkt begrüßt und in sein Kontor führt. „Blickt nicht so düster, wegen Anckelmann müsst Ihr Euch keine Gedanken machen, der hat sich schlicht übernommen, aber es gibt noch viele andere wunderbare Gärten in unserer stolzen Stadt, die alle auf Euch und Eure blühende Fracht warten“, sagt Böckmann. Aber der Holländer bleibt einsilbig, streicht den Gewinn seines Geschäfts ein und begibt sich bald wieder zum Hafen. Schon das nächste Schiff nach Amsterdam wird er nehmen.