Ob Brücken, Schleusen oder Autobahnen: Die Hamburger Unternehmen wünschen sich von der neuen Bundesregierung deutlich mehr Investitionen in die Verkehrswege im Norden. Zudem dringen sie darauf, dass die Hansestadt beim Länderfinanzausgleich künftig mehr Geld selbst behalten darf.
Hamburg Der Wahlkampf ist gelaufen. An diesem Sonntag können insgesamt rund 62 Millionen Wähler über die Zusammensetzung des 18. Deutschen Bundestages entscheiden. Wie auch immer die Wahl ausgeht, zwei Themen stehen auf der Dringlichkeitsliste der Hamburger Wirtschaft ganz oben: der Erhalt und Ausbau der Verkehrswege und die weitere Umsetzung der Energiewende.
Hinzu kommt ein drittes Thema, das im Wahlkampf keine Rolle spielte, das seine Wirkung aber in der kommenden Legislaturperiode voll entfalten dürfte: „Im Jahr 2019 läuft das heute gültige Regelwerk zum Länderfinanzausgleich aus. Es muss in den kommenden vier Jahren neu verhandelt und gestaltet werden“, sagt Hans-Jörg Schmidt-Trenz, Hauptgeschäftsführer der Hamburger Handelskammer. „Hamburg erwirtschaftet im Jahr rund 40 Milliarden Euro an Steuern. Aber weniger als zehn Milliarden Euro stehen dem Stadtstaat für den eigenen Haushalt zur Verfügung. Eine weitaus größere Summe etwa aus der Einkommens- oder der Mehrwertsteuer fließt an den Bund.“
Wie sich die Wirtschaft in Hamburg weiter entwickelt, hänge entscheidend auch davon ab, welchen Teil seines Steueraufkommens Hamburg künftig an den Bund und an die Nehmerländer des Länderfinanzausgleichs abgeben müsse: „Um dieses Thema“, sagt Schmidt-Trenz, „wird es im Bundestag und zwischen Bund und Ländern in den kommenden Jahren harte Verhandlungen geben. Das Ergebnis beeinflusst unter anderem auch, welche Mittel der Metropolregion Hamburg für den dringend nötigen Ausbau der Infrastruktur zur Verfügung stehen werden.“
Straßen, Wasserstraßen, Schienen: für die Funktionsfähigkeit einer Wirtschaftsmetropole wie Hamburg sind intakte und belastbare Verkehrswege unverzichtbar. In Norddeutschland aber wird der Verschleiß der Infrastruktur, werden versäumte Investitionen aus vergangenen Jahrzehnten derzeit an etlichen Stellen sichtbar. Die Autobahnen in der Metropolregion Hamburg sind Dauerbaustellen. Die Schleusenanlagen des Nord-Ostsee-Kanals (NOK), besonders in Brunsbüttel, müssen komplett saniert oder ersetzt werden. Das gilt auch für zentrale Brückenbauwerke im Norden, sei es die Rader Hochbrücke, auf der die Autobahn 7 über den NOK geführt wird, oder Hamburgs Köhlbrandbrücke. An anderen Stellen werden Großprojekte seit Jahrzehnten debattiert, aber nicht verwirklicht, eine Elbquerung bei Glückstadt etwa oder die Hafenquerspange in Hamburg, mit der die Autobahnen A1 und A7 verbunden werden sollen. Der Bund müsse die Ausgaben für die Sanierung und den Neubau der Infrastruktur „deutlich erhöhen, um den Investitionsstau der vergangenen Jahre möglichst schnell zu beheben“, sagt Hans Fabian Kruse, Präsident des AGA Unternehmensverbandes für den Groß- und Außenhandel in Hamburg.
Hamburg ist Deutschlands größter Seehafen. Doch dessen Einbindung in die nationalen und internationalen Verkehrsströme droht empfindlich gestört zu werden. Die Verbreiterung und Vertiefung der Elbfahrrinne wird durch Klagen von Umweltverbänden vor dem Leipziger Bundesverwaltungsgericht blockiert. Das Straßennetz in der Region ist dem wachsenden Güterverkehr kaum mehr gewachsen.
Hamburgs Anbindung an die deutschen Binnenwasserstraßen über die Elbe östlich der Stadt hinkt dem Bedarf um Jahre hinterher. „Hamburg ist ein nationaler, nicht nur ein lokaler Hafen“, sagt der Reeder Hermann Ebel, Inhaber des Hamburger Schifffahrtsunternehmens Hansa Treuhand. „Wie bei Straße und Schiene sollten die notwendigen Milliardeninvestitionen deshalb auch von Bund und Ländern getragen werden. Nur ein effizienter Hamburger Hafen kann die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie sichern.“
Die Energiewende, der Ausbau der erneuerbaren Energien, hat noch größere Dimensionen als die Sanierung der Verkehrswege. Vor allem durch die Nutzung der Windkraft aus heute bereits mehreren Tausend Windturbinen an Landstandorten wird Norddeutschland zum Kraftwerk für ganz Deutschland. Vor den deutschen Küsten hat zudem der Aufbau von Offshore-Windparks begonnen. Doch zwischen Bund und Ländern, zwischen Unternehmen und Behörden gibt es keine Abstimmung darüber, wie dieses gewaltige Werk erfolgreich fortgesetzt werden soll.
Zurzeit stehen vor allem die steigenden Kosten für Stromverbraucher im Mittelpunkt, verursacht durch die wachsenden Fördersummen für die Einspeisung von Strom aus Windkraftwerken oder Solaranlagen. Stromintensiv produzierende Unternehmen wie etwa Europas größter Kupferkonzern Aurubis in Hamburg fürchten um ihre Wettbewerbsfähigkeit. Dabei gerät in den Hintergrund, dass die Wertschöpfung aus dem Umbau der Energieversorgung längst ein Pfeiler der gesamten deutschen Wirtschaft ist. Die neue Bundesregierung müsse „als erstes die Umsetzung der Energiewende in den Fokus nehmen“, sagt Michael Westhagemann, Chef der Siemens-Region Nord und Vorstandsvorsitzender des Industrieverbandes Hamburg (IVH).
Der zeitgerechte Anschluss von Offshore-Windparks an die Landnetze, der Bau von „Stromautobahnen“ von der Küste zu den Industriezentren in Süddeutschland, der Aufbau von Speichermedien vor allem für Windstrom, all das bedarf gewaltiger Anstrengungen von Politik, Wirtschaft und Bürgern gleichermaßen. Doch die beteiligten Unternehmen stellen weitere Projekte etwa für Offshore-Windparks einstweilen zurück, solange das Regelwerk für die Förderung der erneuerbaren Energien, das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), nicht reformiert wird. Dies wird eine der ersten großen Aufgaben für den neu gewählten Bundestag sein. „Wir brauchen ein klares Konzept, einen Masterplan für die Energiewende“, sagt Schmidt-Trenz. „Für die gesamte Küstenregion bedeutet der weitere Ausbau der erneuerbaren Energien ein wichtiges Konjunkturprogramm.“
Gewaltig sind die Herausforderungen für die Abgeordneten, die Deutschland im neu gewählten Parlament vertreten werden. Überall im Land mangelt es der öffentlichen Hand an Geld, so das vorherrschende Gefühl. Kein Mangel herrscht hingegen an Ansprüchen von Bürgern und Wirtschaft. „Wir wollen gern und mit aller Kraft weiterhin aus Norddeutschland heraus unseren Beitrag zur ökonomischen und sozialen Stabilität in Europa leisten“, sagt Hamburgs Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos). „Der wirtschaftliche Erfolg Hamburgs und der norddeutschen Nachbarn hängt allerdings ebenso wie die Mobilität unserer Bürgerinnen und Bürger entscheidend von einem funktionierenden, in sich stimmigen Infrastrukturnetz ab.“ Ob zu Land oder auf dem Wasser: „Wir brauchen eine Verbesserung der überregionalen Verkehrsanbindungen nicht nur in der Metropolregion, sondern für die Hafenhinterlandanbindungen auch weit darüber hinaus“, sagt Horch. „Dazu werde ich so schnell als möglich nach Regierungsbildung das Gespräch mit dem neuen Bundesminister für Verkehr suchen.“
Auch der Senator verweist auf die Bedeutung der Energiewende für die Hansestadt: „Das Thema ist von erheblicher verkehrs-, energie-, umwelt- und wirtschaftspolitischer Relevanz für Hamburg als international bedeutender Standort für erneuerbare Energien.“ Allein die Metropolregion Hamburg hat nach Berechnungen der regionalen Wirtschaft bislang durch die Ansiedlung zahlreicher Unternehmen vor allem aus der Windkraftbranche mehr 25.000 neue Arbeitsplätze aufgebaut.