Die Übernahme von Nokia durch Microsoft zeigt, wie schwerfällig der alte Kontinent ist
Was waren das für Zeiten. Um die Jahrtausendwende brüsteten sich die Europäer damit, in einer Zukunftstechnologie unangefochten Marktführer zu sein. Mehr als jedes zweite Handy wurde damals in Europa hergestellt, mit Nokia, Ericsson und Siemens kamen drei der vier größten Produzenten vom alten Kontinent. Die EU-Staatschefs formulierten zeitgleich mit der Lissabon-Strategie ehrgeizige Ziele: Sie versprachen, Europa bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt weiterzuentwickeln. Mehr als ein Jahrzehnt später erinnert dieser Schwur eher an einen Fünfjahresplan der verblichenen DDR. Statt die Vereinigten Staaten zu überrunden, fielen die Europäer von Jahr zu Jahr weiter zurück, ihre proklamierten Ziele rissen sie reihenweise, ihre Versprechen, in Forschung zu investieren, brachen die meisten Mitgliedstaaten.
Das Beispiel Nokia steht exemplarisch für Europas Scheitern. Zur Jahrtausendwende lag der Marktanteil der Finnen bei 40 Prozent, die Firma war damals die wertvollste Aktiengesellschaft Europas. Heute kauft das US-Unternehmen Microsoft das Kerngeschäft der Finnen inklusive der Patente für läppische 5,44 Milliarden Euro. Gescheitert ist Nokia, Weltmarktführer von 1998 bis 2012, an einem anderen US-Konzern: Apple erfand mit seinem iPhone das Handy neu, das südkoreanische Unternehmen Samsung rollte dann den Markt auf. Die europäischen Technologieführer sind längst Geschichte: Siemens hat sein Mobilfunkgeschäft verkauft, bevor es abgewickelt wurde; Ericsson flüchtete zuerst in ein Gemeinschaftsunternehmen mit Sony und stieg 2012 dann ganz aus.
Auch wenn das Herstellen von Mobiltelefonen heute zu einem wenig lukrativen Massenmarkt geworden ist, müssen sich die Europäer viele Fragen gefallen lassen. Warum erfindet der PC-Hersteller Apple das neue Telefon und nicht Nokia, Ericsson oder Siemens? Warum stammen fast alle Technikpioniere aus den USA? Warum liegt das Silicon Valley in Kalifornien und nicht in Bayern oder der Lombardei?
Die USA haben gegenüber Deutschland und Europa natürliche Vorteile: Der Markt ist viel größer, Englisch ist die Weltsprache, im globalen Dorf sind die Vereinigten Staaten gleichsam der Marktplatz. Dieser Vorsprung nährt den Vorsprung: Wie ein Magnet ziehen die USA Forscher und Wagemutige aus aller Welt an.
Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. Die Amerikaner sind eben auch cleverer, wenn es darum geht, Unternehmen zu gründen. Während hierzulande (zu) viele von einer gehobenen Laufbahn im öffentlichen Dienst träumen, sehnen sich Amerikaner nach einer Karriere im Start-up. Beim Stichwort Technik legen Deutsche schnell die Stirn in Sorgenfalten und denken an „Gefahren“, während andere Nationen geradezu technikversessen sind. Neue Produkte aber werden da ausprobiert und entwickelt, wo die Menschen neugierig sind.
Auch das Umfeld für Kreative ist in Amerika besser: Die Elite-Universitäten sind die Brutstätten neuer Ideen, die Stanford University etwa ist der Fixstern des Silicon Valley. Diese Elitehochschulen setzen nicht auf Mittelmaß, sondern die brillantesten Köpfe. Und die kommen oftmals aus Europa, angezogen von der Freiheit der Forschung, den finanziellen Möglichkeiten und der Nähe zu den Firmen. Selbst Gründungen sind einfacher, weil jungen Unternehmern ausreichend Wagniskapitalgeber zur Seite springen, die hierzulande rar gesät sind. In den USA gibt es zudem das Recht zu scheitern – inmitten von vielen Fehlschlägen entstehen die Riesen von morgen, Firmen wie Google oder Facebook.
Zwischen diesem technologiegetriebenen Gründergeist Amerikas und Deutschland, Großbritannien oder Skandinavien liegt ein Ozean; zwischen Teilen Südeuropas und dem Silicon Valley liegen sogar Welten. Das ist eine weitere Facette des europäischen Dramas.