Qualität braucht Zeit lautet ein Credo der Slowfood-Bewegung. Was das bedeutet, lässt sich auf einem Biohof in Hamburg-Kirchwerder beobachten.

Hamburg Die Schweine haben die Ruhe weg. Lang ausgestreckt liegen sie im Stroh vor der alten, denkmalgeschützten Scheune aus dem Jahr 1631. Die Sonne scheint den Tieren auf die rosa Bäuche, einige grunzen zufrieden im Schlaf. Etwa ein halbes Jahr leben die Tiere nun schon auf dem Hof Eggers in Kirchwerder. Drei weitere Monate an dem idyllischen Ort im Osten Hamburgs liegen voraussichtlich noch vor ihnen, bis sie ihr Schlachtgewicht erreicht haben.

Wären die Schweine in einem großen, konventionellen Agrarbetrieb geboren worden, dann wären sie jetzt vermutlich schon tot. Denn dort werden die Tiere mit speziellem Futter und in winzigen Boxen wesentlich schneller gemästet. Und die Sonne hätten sie in ihrem kurzen Leben überhaupt nicht zu Gesicht bekommen.

„Was gut werden soll, braucht nun einmal seine Zeit zum Wachsen“, sagt Georg Eggers. „Das gilt für Pflanzen ebenso wie für die Tiere“, fügt der bedächtige 72-Jährige nach einer kurzen Pause hinzu. Nach der festen Überzeugung des Bauern merkt man es dem Fleisch eines Schweins an, ob es zuvor ein gutes und stressfreies Leben gehabt hat. Und dafür sorgt Eggers – mit einer ausreichend großen Fläche für die Tiere, Boxen mit Auslauf und Getreide als Futter, das auf den eigenen Feldern extra zu diesem Zweck geerntet wurde.

Der Biohof Eggers ist vermutlich das, was sich ein Städter unter dem Ideal eines Bauernhofs vorstellt. Mit seinen reetgedeckten Fachwerkgebäuden, den jahrhundertealten Kastanien und den angrenzenden Scheunen wirkt der Ort wie aus der Zeit gefallen. Wer die dunkle Diele des Haupthauses betritt, der kann die Vergangenheit förmlich riechen – konserviert im schweren Rauch der offenen Feuerstelle, der Balken, Esstisch und alte Geräte fast schwarz gefärbt hat. Seit fast 400 Jahren ist der Hof in Familienbesitz.

Auch Georg Eggers selbst könnte mit seiner abgewetzten Lederweste und dem wettergegerbten Gesicht aus einer anderen Epoche stammen. Nur die Sonnenbrille, mit der der Bauer seine empfindlichen Augen vor dem Licht schützt, verortet ihn äußerlich in der Neuzeit.

„Die Landwirtschaft ist ja eigentlich eine Kreislaufwirtschaft“, sinniert Eggers, während er über die Weide zu seinen Limousin-Rindern stapft. Das heißt nicht nur, dass das Futter für die Tiere idealerweise vom eigenen Hof stammt. Eggers meint damit auch, dass sich das Leben auf dem Land nach dem Zyklus der Jahreszeiten und dem Rhythmus der Natur richten sollte. „Heute aber geht es oft nur noch darum, so schnell wie möglich Höchsterträge aus dem Boden und den Tieren zu pressen“, sagt er. „Das tut weder der Natur noch dem Menschen gut.“

Immer mehr Menschen spricht der Biolandwirt mit solchen Sätze aus der Seele. Eine von ihnen ist Barbara Retzlaff, die die Hamburger Ortsgruppe der internationalen Organisation Slow Food leitet. „Langsamkeit ist oft gleichbedeutend mit Qualität“, sagt die Volksdorferin. „Denn wer sich Zeit lässt, arbeitet auch besonders sorgfältig.“ Das gelte sowohl für die Agrarwirtschaft als auch für die Gastronomie oder die Lebensmittelindustrie.

Slow Food ist so etwas wie die Gegenbewegung zur grassierenden Fast-Food-Kultur der Gegenwart. Bereits 1986 von dem italienischen Journalisten und Soziologen Carlo Petrini als Verein zur Erhaltung der Esskultur gegründet, setzte sich die Organisation zunächst für kulinarischen Genuss und ein moderates Lebenstempo ein.

Aus der ursprünglichen Idee erwuchs aber schon bald die Einsicht, dass auch die Landwirtschaft, das Lebensmittelhandwerk und eine gesunde Umwelt für eine saubere und faire Esskultur unerlässlich sind, wodurch sich zahlreiche Schnittstellen mit der Biobewegung ergeben.

Gut 12.000 Mitglieder hat Slow Food mittlerweile bundesweit, rund 400 sind es in Hamburg. Sie veranstalten Exkursionen zu handwerklich orientierten Käsereien oder in die Backstuben von Biobäckern, die ihrem Sauerteig noch genügend Zeit zum Gären geben. Daneben engagieren sich die Mitglieder gegen das Wegwerfen von Gemüse, das in Größe und Form nicht den Vorgaben der EU entspricht, und starten Rettungsaktionen für alte Obstsorten, die in der industrialisierten Landwirtschaft vom Aussterben bedroht sind, weil sie für die Massenproduktion nicht widerstandsfähig genug erscheinen.

Dem Erhalt von alten Apfelsorten wie „Ingrid Marie“, „Seestermüher Zitronenapfel“ oder „Horneburger Pfannkuchen“ hat sich beispielsweise Eckart Brandt mit seinem Boomgarden-Park auf der Stader Geest verschrieben. Interessierte können hier eine Baumpatenschaft übernehmen und den Erhalt der alten Sorten so unterstützen.

Andere Landwirte wie Thomas Sannmann aus Ochsenwerder haben ihren Hof zu einem Refugium für fast vergessene Tomatensorten wie die „Vierländer Platte“ gemacht. Die hoch aromatische Sorte hat keinen Platz mehr in einer auf Konformität und Haltbarkeit ausgerichteten Agrarwirtschaft, weil sie eine extrem dünne Schale besitzt und daher nur begrenzt lagerfähig ist. Hinzu kommt, dass sich die Sorte schwer anbauen lässt und nur einen geringen Ertrag verspricht.

Wie viele andere alte Sorten macht die „Vierländer Platte“ den hohen Zeitaufwand für die Aufzucht aber durch ihren Geschmack wieder wett. Sannmann – mit seinem Demeter-Betrieb ebenfalls ein Anhänger der entschleunigten Landwirtschaft – denkt gerade darüber nach, die Tomate wegen ihrer großen Beliebtheit zu einem Pesto weiterzuverarbeiten.

Einen lebenden Protest gegen die Fast-Food-Kultur stellt auch die Sau Herta auf dem Hof Eggers dar. Elf Ferkel wuseln gerade um die Mutter herum, saugen an ihren Zitzen und ziehen sich danach wieder unter eine rote Wärmelampe zurück. Herta ist ein Angler Sattelschwein, eine jener alten Nutztierrassen, die in der Massentierhaltung der Gegenwart ebenfalls fast völlig unter die Räder gekommen sind. Lässt man den Tieren genug Zeit zum Wachsen, dann lagert sich zwischen den Muskelfasern jede Menge Fettgewebe an, das einen wichtigen Geschmacksträger darstellt und dem Fleisch auf diese Weise eine besonders intensive Note verleiht. Einst die am weitesten verbreitete Schweinerasse in Schleswig-Holstein, leben die Tiere heute nur noch auf einigen wenigen Höfen im Norden.

Bei allem Traditionsbewusstsein versteht sich der Hof Eggers aber sehr wohl als ein zeitgemäßer Biobetrieb. „Wir sind hier kein Museum“, sagt der studierte Gartenbauingenieur Henning Beeken, der den Hof im vergangenen Jahr von seinem Onkel Georg offiziell übernommen hat und nun zusammen mit dem Altbauern bewirtschaftet.

Der 38-Jährige ist weit gereist, hat mehrere Jahre in Mexiko gearbeitet, wo er auch seine Frau Norma kennenlernte. Gemeinsam mit ihren Kindern Johannes und Emilia leben sie in einem nach den neuesten Energiesparstandards errichteten Holzhaus auf dem Gelände des Bauernhofs. Das lichtdurchflutete, freundliche Wohnzimmer mit Blick auf die Weiden wirkt wie ein Gegenentwurf zur dunklen Diele des Hauptgebäudes.

Beeken hat neue Vermarktungswege und Geschäftszweige für den Hof erschlossen. Bestellen lässt sich das Biofleisch jetzt auch über einen eigenen Onlineshop. Die Webseite informiert auch über Kindergeburtstage oder Firmenfeiern, die sich in den Gebäuden buchen lassen. Beekens Schwester hat zudem ein Café auf dem Gelände eröffnet, das regelmäßig am Wochenende geöffnet ist.

Das gelassene Gemüt hat Beeken zwar mit seinem Onkel Georg gemein, doch man merkt ihm schon an, dass er anders als der Altbauer viel mehr im hektischen Alltag zwischen Hof und Familie verhaftet ist. „Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich zwischen all den Entschleunigten hier auf dem Hof der einzige Beschleunigte bin“, schmunzelt der Gartenbauingenieur.

Die grundsätzliche Ausrichtung des Biohofs Eggers will Beeken aber auf keinen Fall ändern. „Die Besucher, die zu uns kommen, suchen ja gerade das Authentische, die Ruhe und die Entspannung. Das ist unser Alleinstellungsmerkmal.“ Der Begriff aus der Marketingwelt klingt ein wenig seltsam an einem Ort, an dem die Vergangenheit noch so präsent ist wie hier in der Vierländer Elbmarsch. Doch letztlich sind Muße und Langsamkeit in einer hektischen Welt auch das: einfach ein cleveres Geschäftsmodell.