Am Sonntag startet in Hamburg wieder das einzige deutsche Radrennen der Königsklasse. Rennleiter Roland Hofer über seine Sympathie für Ausreißer, die besondere Stimmung und Doping-Kontrollen.

Zu offiziellen Anlässen trägt er Anzug. Häufig aber sieht Roland Hofer mit seiner leicht antiquierten Lederkappe aus wie dem Film über tollkühne Männer in fliegenden Kisten entsprungen. Denn ohne seine Kopfbedeckung tritt der Rennleiter der Vattenfall Cyclassics seinen Job nicht an.

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Manche finden sogar, er ähnele mit dieser Kopfbedeckung dem Comic-Beagle Snoopy, wenn der auf dem Dach seiner Hundehütte den „Roten Baron“ mimt. Ihm gleich streckt der Schweizer, aufgerichtet in seinem Begleitfahrzeug mit Klappverdeck, den Kopf in den Fahrtwind.

„Für mich ist das Rennen in Hamburg ein absolutes Highlight im Jahreskalender“, schwärmt Hofer. „Allein durch die 22.000 Jedermannfahrer entsteht eine Radsportatmosphäre wie sonst nirgendwo auf der UCI World Tour.“

Die Cyclassics sind das einzige Rennen auf deutschem Boden, das dieser Königsklasse angehört, und damit auch das Top-Radsportereignis hierzulande. Da nach Polizeizählungen stets rund 700.000 Menschen die Straßen säumen und den sportlichen Wettbewerb zum Anlass nehmen, Vorgarten- oder gleich Stadtfeste zu feiern, ist es auch die mit Abstand größte, internationale Sportveranstaltung des Nordens.

Hofer: Ausreißer vor!

Gleichwohl trägt Rennleiter Hofer, 70, einige unerfüllte Wünsche mit sich herum: „Ich fände es toll, wenn es einer Ausreißergruppe mal gelingt, durchzukommen“, erklärt er in weicher, schwyzerischer Sprachmelodie.

Dann dürfe seinetwegen auch gern mal ein Namenloser gewinnen, Hauptsache, es wäre „der Beweis erbracht, dass sich auch bei den Vattenfall Cyclassics Courage lohnen kann und das Scheitern nicht von Anfang an programmiert ist“.

Ein solcher Coup ist in der Geschichte der Rundfahrt tatsächlich nie gelungen, obwohl das Feld kaum einmal beieinander blieb. Stereotyp setzte sich bald nach dem Start eine unterschiedlich große Gruppe von Fahrern von der bummelnden Schar der Stars ab und arbeitete Abstände bis zu einer Viertelstunde heraus.

Mit ebenso schöner Regelmäßigkeit jedoch wurden sie wieder eingeholt, ehe die Hatz durch die westlichen Vororte Hamburgs mit der viermaligen Querung des Wasebergs beginnt.

Hofer freilich mag sich darauf nicht verlassen: „Wenn die Ausreißer zu weit entfliehen, fordere ich die Teamleitungen schon mal auf, das Tempo zu erhöhen und nachzusetzen. Denn sonst könnte es passieren, dass die Ausreißer in einer der Schlussrunden von hinten Anschluss ans Hauptfeld finden.“ Das Durcheinander wäre programmiert. Der Sieger rollte womöglich inmitten eines Pulks von überrundeten Fahrern über den Zielstrich.

Ein Rennen für spurtstarke Spezialisten

Obwohl die Veranstalter sich alle Mühe geben, die Aufgabe neben dem Waseberg durch Anhöhen in den Harburger Bergen und die Steigung hoch auf die Köhlbrandbrücke zu erschweren, gelten die Cyclassics als Rennen, in dem spurtstarke Spezialisten für Eintagesrennen dominieren.

Vor diesem Hintergrund stört es im Prinzip wenig, dass parallel zum Hamburger 250-Kilometer-Rennen die dreiwöchige Spanien-Rundfahrt „Vuelta“ beginnt, weil dort eine andere Klientel antritt.

Allerdings kommt es vor, dass Fahrer, die bei den Cyclassics chancenreich wären, von ihren Bossen als Wasserträger für die Rundfahrthelden auf die Iberische Halbinsel abkommandiert werden, was den Betroffenen meist gar nicht schmeckt.

Denn das Hamburger Rennen, sagt Hofer, ist in Profikreisen sehr beliebt, weil es perfekt organisiert ist, weil Hunderttausende zuschauen und applaudieren. Das ist attraktiver als stundenlang durch menschenleere Landschaften zu strampeln oder steile Bergpässe hinaufzuasten.

In diesem Jahr hätte ein hochkarätiges innerdeutsches Duell die Cyclassics würzen können. André Greipel und Marcel Kittel zählen nach ihren Erfolgen bei der Tour de France zu den Finishkönigen der Branche.

Kittels Sieg auf der Mönckebergstraße galt manchen nach vier Etappensiegen bei der Tour 2013 schon als ausgemacht. Doch dann befiel ihn ein Virus. Er musste seine Teilnahme absagen.

Noch nie wurde ein Dopingsünder erwischt

Dennoch könnte es den dritten einheimischen Erfolg nach denen von Jan Ullrich und Erik Zabel geben. Deren Cyclassics-Siege fielen in eine besonders bizarre Epoche. Erst kürzlich stellte eine Experten-Kommission fest, dass in der „Hochdopingphase“ der späten 90er- und frühen Nullerjahre „80 bis 95 Prozent der Radprofis“ mit illegalen Mitteln ihre Leistungskraft manipuliert hätten.

Da erscheint es nicht wenigen suspekt, dass in Hamburg nie ein Athlet beim Dopen ertappt wurde. Liegt das womöglich an zu laschen Kontrollen? Hofer widerspricht: „Sicher nicht. Die Tests nach den Rennen sind vom Weltverband standardisiert und die Blut- oder Urinproben werden von immer denselben Instituten genommen.“

Generell sei es so, dass auf den großen, extrem beschwerlichen Rundfahrten die Verlockung sich aufzuputschen ungleich höher ist als bei Eintagesrennen, bei denen taktische Einflüsse eine größere Rolle spielten als beim puren Kräftemessen auf mörderischen Bergetappen.

Solche Aussagen mögen plausibel wirken, sind aber mit Vorsicht zu genießen. Denn der in der Szene als verlässlich, konsequent und fair beleumundete Hofer ist Teil des Systems und von daher in seinem Urteil befangen.

Allerdings: Bis zum Beweis des Gegenteils muss die etwas befremdlich klingende Unschuldsvermutung gelten, dass im Eliterennen der Cyclassics noch nie gedopt wurde.