Die Verleihung der Ehrenbürgerwürde an Michael Otto wurde im Rathaus heißer diskutiert, als es die feierliche Zeremonie erahnen ließ. Das galt auch für andere Ehrenbürger wie Rudolf Augstein.

Was sich am Donnerstagabend im Rathaus abgespielt hat, wird in die Geschichtsbücher der Stadt eingehen, so viel steht fest – allein schon aus dem schlichten Grund, dass es im Schnitt nur etwa alle sechs Jahre vorkommt. Erst zum 37. Mal seit dem Jahr 1813 hat die stolze Freie und Hansestadt Hamburg die Ehrenbürgerwürde verliehen – in diesem Fall an den Unternehmer und Mäzen Michael Otto. Offiziell gilt er allerdings als „35. Ehrenbürger“ der Stadt, da die Auszeichnung in zwei Fällen – Adolf Hitler und Hermann Göring – aus nachvollziehbaren Gründen 1945 wieder aberkannt wurde.

Dem historischen Anlass entsprechend ist das Rathaus an solchen Tagen im Ausnahmezustand. Da beendet die Bürgerschaft ihre Sitzung am späten Nachmittag (normalerweise tagt sie bis in den späten Abend), das Präsidium verdonnert die Abgeordneten, ja um 18Uhr, „besser um 17.55“, wieder auf ihren Plätzen zu sein, mit dem künftigen Ehrenbürger darf ausnahmsweise ein Gast im Saal Platz nehmen, der Bürgermeister verleiht dem Antrag des Senats auf Verleihung der Auszeichnung mit lateinischen Zitaten rhetorisches Gewicht, selbst altgedienten Politikern stockt beim Reden die Stimme, nach dem Beschluss (darauf kommen wir noch) geht es in den prächtigen Großen Festsaal, wo die Bürgerschaftspräsidentin, eskortiert von einer Ratsdienerin mit lustigen Kordeln und weißen Strumpfhosen (Protokoll: „in alter Tracht“), den Beschluss des Parlaments noch einmal verkündet und bedeutungsschwer auf eine Inschrift im angrenzenden Bürgermeistersaal verweist: „Wer den Besten seiner Zeit genug getan, der hat gelebt für alle Zeit.“

Zwischendurch ergeht die Aufforderung an die Gäste: „Bitte erheben Sie sich für den Einmarsch der Ehrenbürger“ – auch das eine Reminiszenz an den Bürgermeistersaal, der von dem mächtigen Gemälde geprägt ist, das den „Einzug der Senatoren“ 1897 ins damals neue Rathaus zeigt. Kurz gesagt: jede Menge Tradition und Symbolik.

Doch wer hinter die zeremonielle Fassade der Veranstaltung blickt, stößt im Kern auf einen auch zutiefst politischen Vorgang – das gilt für diese wie für viele vorherige Verleihungen. So hat im Fall von Michael Otto zwar niemand seine großen Verdienste um die Bildung junger Menschen, den Umweltschutz und die Kultur in Zweifel gezogen, dennoch waren der Verleihung intensive Diskussionen vorausgegangen. Das begann im Herbst letzten Jahres, als die Idee, den langjährigen Vorstandschef des Otto-Versands für sein vielfältiges Engagement zu ehren, im Senat konkrete Gestalt annahm.

Der seit dem 19.Jahrhundert gepflegten Tradition folgend, die Zustimmung der Bürgerschaft für diese Auszeichnung einzuholen, baten Bürgermeister Olaf Scholz und Senatskanzleichef Christoph Krupp (beide SPD) alle fünf Fraktionschefs zum Einzelgespräch. Und was für viele Beobachter am Donnerstag etwas überraschend kam, nahm damals seinen Anfang: Die Linkspartei, vertreten durch Fraktionschefin Dora Heyenn, hatte andere Vorstellungen. Und nicht nur sie, auch die Grünen und einige Sozialdemokraten zeigten Sympathie für diese Ansichten.

Zusammengefasst ging die so: „Otto finden wir gut, aber wir haben eine noch bessere Idee.“ Konkret warben Linke und Grüne für eine Holocaust-Überlebende, die es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, die Jugend in Hamburg, aber auch weit darüber hinaus, über die Schrecken der Nazi-Barbarei aufzuklären. Ihr hohes Alter sowie die Tatsachen, dass Frauen auf der Ehrenbürgerliste unterrepräsentiert sind und sich 2013 sowohl die Machtergreifung der Nazis als auch die Bombardierung Hamburgs jährten, dienten als zusätzliche Argumente. Doch sie fielen im Senat nicht auf fruchtbaren Boden.

In der SPD-Fraktion wurde der Vorschlag hingegen durchaus erörtert, und es gab auch den zaghaften Vorstoß einiger Abgeordneter, der Sache noch eine Wendung zu geben. Doch letztlich überbrachten die Genossen den Kollegen bei den Linken und Grünen die Botschaft: „Olaf will das nicht.“ Aus dessen Umfeld heißt es dazu, dass es ja keinerlei Regeln für die Verleihung der Ehrenbürgerwürde gebe, außer dem Konsens, dass es eine Person sein müsse, die als positiver Botschafter über Hamburgs Grenzen hinaus gewirkt habe. Das treffe auf Michael Otto zu und sei kein Votum gegen eine andere Person.

Während die Grünen das unterm Strich akzeptierten und gemäß der Grundhaltung „Otto find‘ ich gut“ letztlich Zustimmung signalisierten, zeigte sich die Linksfraktion bitter enttäuscht und entschloss sich zu einem Nein, „um ein Zeichen zu setzen“, wie es hieß. Es war der sonst so selbstbewussten Dora Heyenn anzumerken, wie unwohl sie sich in ihrer Haut fühlte, dem künftigen Ehrenbürger von Angesicht zu Angesicht – Otto saß den Rednern im Plenum direkt gegenüber – erklären zu müssen, dass sie ihn und sein Engagement sehr schätze, die Ernennung zum Ehrenbürger aber dennoch ablehne.

Bezeichnend: Direkt nach der Wahl – SPD, CDU, Grüne und FDP hatten komplett mit Ja gestimmt – ging Heyenn auf Otto zu, gratulierte und erklärte ihm, dass das Nein nichts mit ihm zu tun habe. Otto gab sich versöhnlich, und später in seiner Rede im Festsaal sagte er einen Satz, den man als Anspielung auf diese Kritik verstehen konnte: Es sei nicht nur wichtig, mit Geld zu helfen, sondern auch mit Zeit und Ideen – das dürfte denen gefallen haben, die eine andere Person vorgezogen hätten.

Ähnliche Diskussionen hat die Ehrenbürgerwürde schon viele hervorgerufen, und nicht selten ging es dabei viel emotionaler zu als heute. So liegt im Kulturausschuss der Bürgerschaft immer noch ein Antrag der Grünen, Ex-Reichspräsident Paul von Hindenburg die Auszeichnung wieder abzuerkennen. Dass die SPD das im Mai mit den Worten abgelehnt hatte, damit relativiere man die Verbrechen der Nazis (weil bislang nur Hitler und Göring die Ehre entzogen wurde), hatte für einen handfesten Eklat gesorgt. Die Sozialdemokraten entschuldigten sich für die missverständliche Aussage, und nun soll im Ausschuss erörtert werden, inwiefern man die Ehrenbürgerschaft von Hindenburg in Publikationen der Stadt stärker historisch einordnen kann.

Auch die Ehrungen der SPD-Politiker Max Brauer (1960) und Herbert Wehner (1986) waren äußerst umstritten und von der CDU jeweils abgelehnt worden, ebenso 1993 die des „Spiegel“-Gründers Rudolf Augstein. Dieser habe „ohne Zweifel journalistische Verdienste. Dass diese aber zielgerichtet für Hamburg eingesetzt wurden, vermag ich nicht zu erkennen“, sagte seinerzeit der damalige CDU-Fraktionschef. Sein Name: Ole von Beust. Zwölf Jahre später bekam er dann Gegenwind, als sein Senat das Unternehmerehepaar Hannelore und Helmut Greve zu Ehrenbürgern machte. Einige Grüne um den späteren Justizsenator Till Steffen stimmten gegen die Verleihung oder enthielten sich, und mehrere SPD-Abgeordnete waren plötzlich nicht mehr im Saal.

Immerhin: So ein Affront blieb Michael Otto erspart. Mit der Kritik der Linken, so schien es, konnte er gut leben – und die mit ihm auch. Schließlich kündigte der Unternehmer an, auch künftig fleißig Steuern zahlen zu wollen. Auf die Frage eines Freundes, so berichtete er, ob er als Ehrenbürger keine Steuern mehr zahlen müsse, habe er jedenfalls geantwortet: „Ich glaube, es wird eher das Gegenteil erwartet...“