Eine Sammlung entsteht aus Leidenschaft. Aber was sie eigentlich ausmacht, sind die Geschichten und Beziehungen hinter den Fotos. Erstmals hat der Fotograf F. C. Gundlach sie erzählt.

Es war dieser Hunger. Ohne diesen Hunger wäre alles anders gekommen. Eng war es im kaputten Deutschland nach dem Krieg. Geistig eng und abgeschnitten von der internationalen künstlerischen Entwicklung. Paris spielte nicht mehr die erste Geige, sondern New York.

Und der junge angehende Fotograf F. C. Gundlach hungerte nicht mehr nach Essen, wie im Krieg, den er fast nicht überlebt hätte, sondern nach guten, inspirierten Bildern.

Das ist eigentlich bis heute so geblieben: Wer sein Haus in der Parkallee betritt, in dem seine Stiftung residiert, geht an den Großformaten junger Fotografen vorbei, bevor er die erste Etage erreicht, die Welt der Fotos, der Bildkonvolute, Portfolios, Dias, Ektachromes. Hunderttausende, wohl geordnet in großen, tiefen Schubladen, und viele auch schon digitalisiert.

Hier und auf zwei riesigen Etagen eines Speichers am Brooktorkai befindet sich Hamburgs größtes privates Foto-Imperium und mit Sicherheit eine der wichtigsten und interessantesten Fotosammlungen Europas.

Angetrieben vom Hunger nach guten Bildern

Damals, Ende der 40er-/Anfang der 50er-Jahre war Gundlach noch Assistent. Aber er trieb sich viel in den Amerika-Häusern herum und las dort amerikanische Zeitschriften: „Irgendwann kannte ich all die wichtigen Fotografen, Blumenfeld, Penn, Avedon, Munkacsi.“

Er hat genau hingesehen, wie die Kollegen in den USA ihre Fotos bauten. Aber er lernte auch bald die ersten Deutschen kennen, die eine neue Idee von subjektiver Fotografie hatten, die an die Bauhaus-Tradition vor dem Krieg anknüpfte.

Auf seinen ersten Reisen nach New York sah Gundlach, wie professionalisiert der Beruf des Fotografen in den USA inzwischen war – später hielt er 25 Jahre lang in New York eine Wohnung.

Zurück in Hamburg gründete er Mitte der 60er-Jahre seine Firma „Creative Color“, in der die besten amerikanischen Retuscheure Leute in der Bildbearbeitung ausbildeten, auch in der Technik der brillant farbigen Dye Transfer Prints. Daraus entwickelte sich dann 1971 die Firma PPS, die Gundlach bis 1992 betrieb und die ihm die hochkarätigsten internationalen Kontakte bescherte.

Aber auch in Hamburg gab es Leute, die es wissen wollten: „Tussi Neuendorf war clever und smart, und er hatte gute Kontakte zu den Künstlern. Durch ihn fing ich an zu sammeln“, erzählt Gundlach.

Immer die Nase im Wind

„Ich kaufte meinen ersten Siebdruck von Andy Warhol, und ich stellte ihm einen meiner Räume im Bunker für seine erste Georg-Baselitz-Ausstellung zur Verfügung. Mit ‚Heldenbildern‘. 12.000 Mark das Stück. Ich war der Einzige, der eins kaufte. Das Dumme war nur, dass ich es nach zehn Jahren wieder verkaufte. Und später in New York sah ich Werbung auf einem Bus für eine Ausstellung im Guggenheim Museum. Und was sah ich dort? Mein Bild! Das war eine traurige Begegnung.“

Wie Gundlach hatte der Galerist Hans Neuendorf die Nase im Wind: Er holte die amerikanische Pop Art nach Deutschland, später gründete er die Art Cologne und artnet. Lange waren die beiden Männer befreundet.

Der entscheidende Moment lag aber länger zurück. Gundlach hält das Zeugnis davon verschämt an einer Ecke hoch: Das Foto namens „Knuckle Sandwich“ zeigt eine Faust zwischen zwei Toastscheiben. „So fing das an“, sagt Gundlach lapidar über das erste Künstlerfoto, das er gekauft hat. Heute kann er nicht mehr viel damit anfangen.

Sein Hunger auf gute Bilder wuchs, sein Interesse am Werk anderer Fotografen und seine Lust, sie kennenzulernen. Schnell merkte er, dass „eine Sammlung ohne Konzept eine Ansammlung“ ist. Als Dauerleihgabe sind heute rund 9000 Werke aus seiner 16.000 Fotos umfassenden Sammlung unter dem Titel „Das Bild des Menschen“ im Haus der Photographie versammelt.

Manchmal war er selbst sein bester Kunde

Mit seiner Firma PPS war er extrem erfolgreich, und statt Werbung zu machen, gründete er eine Galerie. Ums Geld ging es ihm hier nicht. Sondern um die Fotografie und darum, sie als Kunstform zu etablieren.

Von 1976 an machte er an die 90 Ausstellungen, und zusammen versammelten sie das Who is Who der internationalen Fotografie: Edward Steichen, Richard Avedon, August Sander, Lisette Model, Albert Renger-Patzsch.

Von Alex Kayser zum Beispiel hat Gundlach, den seine Freunde bis heute FC nennen, ein großes Konvolut aus den 70er-Jahren. 60 Künstlerporträts vom Allerfeinsten, denn als Kayser mal wieder in Nöten war und zu ihm kam, hat der hilfsbereite FC gesagt: „Ich nehme erst mal alles, was du da hast.“ Er bezahlte, und Kayser zog zufrieden ab.

Gundlach organisierte eine Ausstellung und versuchte, den Fotografen ins Gespräch zu bringen, aber „kein Mensch kaufte etwas von den Fotos“, stellt er auch hier wieder fest. „Ich war mein bester Kunde.“

Die Sammlung wuchs und wuchs. Auf den Alex-Kayser-Bildern blieb er also sitzen, was heute sein großes Glück ist. Und das mit dem Helfen kam so: Fast schon existenziell interessierte sich Gundlach für gute Fotografie, „und wenn ich die Fotografen näher kennenlernte, merkte ich, dass sie oft Probleme hatten“.

Geschickte Schnorrer und begnadete Fotografen

Auch die Freundschaft zu Hubert Fichte und Leonore Mau, deren Reisebilder Gundlach 1977 ausstellte, war nicht einfach: „Hubert Fichte war der geschickteste Schnorrer der Welt.“

Leonore Mau aber, diese Autodidaktin, die einen eigenen Stil der schnellen, situationsbedingten Fotografie entwickelt hatte, interessierte ihn mehr. 2009 bot ihm die S. Fischer Stiftung ihr Archiv zur Aufarbeitung an, denn „wir waren befreundet bis zum Schluss“.

Mit Leonore Mau „haben wir 1977 viel riskiert“, sagt F. C. Gundlach, und in seinem Blick spiegeln sich Aufmüpfigkeit und Stolz. Ein großes Portfolio wird herbeigeschleppt und ehrfurchtsvoll geöffnet: Kostbare Abzüge auf mattem Papier, schwarz-weiß oder mit gedämpften Farbwerten, malerisch weichen Konturen.

Leonore Mau hat eine Obduktion in Südamerika fotografiert. Nichts Voyeuristisches entströmt diesen Bildern, nichts Sensationsheischendes, sondern etwas Dokumentarisches, Würdevolles und dennoch Alltägliches. Hubert Fichte beschrieb dazu, wie der Mann am Leichentisch seine Zigarre zwischen die Zehen der Toten klemmte.

Haus der Photographie als Zuhause für Bilder

Die Bestimmung der Stiftung Gundlach ist nicht das reine Bewahren, sondern auch, die Werke einzelner Fotografen öffentlich zu machen, in Ausstellungen zu geben und Bücher über sie zu publizieren.

Dafür wurde in Hamburg das Haus der Photographie gegründet, und dafür haben Gundlach und seine Mitstreiter vor einem Jahr die Erweiterung der Deutschen Fotothek um das Archiv der Fotografen in Dresden initiiert. Viel mehr Mühe als der internationale Leihverkehr macht nämlich alles Übrige: „Ein Archiv ist immer ein Zuschussgeschäft.“

Höchste Qualität ist stets das Kriterium, wenn Gundlach Feuer fängt: „Peter Keetman ist mir zum Beispiel schon als Amateur aufgefallen. So wie er fotografierte, das hat mich fasziniert. Alles andere hat sich über seine Bilder ergeben. Viele Fotografen sind ja scheu. Keetman war froh, wenn er sich mal öffnen konnte.“

So kommt es, dass Gundlach heute fast das komplette Archiv des großen deutschen Fotografen besitzt, darunter auch seine abstrakte Serie aus dem Volkswagenwerk.

Ein leidenschaftlicher Sammler

Keetman war in den 50er-Jahren einer der Mitgründer der Vereinigung „fotoform“ gewesen. Gundlach hat sein Werk in Amerika bekannt gemacht und eine Ausstellung bei dem New Yorker Galeristen Howard Greenberg organisiert. Die anschließende Auktion lief gut, mehrere große Museen kauften Keetman.

Weil er und Gundlach eine so gute Verbindung hatten, landete auch dessen Weggefährte Toni Schneiders irgendwann in der Parkallee. „Wir haben immer nur so viel übernommen, wie wir glauben, dass wir auch aufarbeiten können“, sagt der Fotografiehistoriker und enge Mitarbeiter Sebastian Lux.

Von manchen Fotografen, wie zum Beispiel Will McBride, besitzt Gundlach Hunderte von Bildern: „Wir haben Will zehn Jahre am Leben erhalten in seiner großen Berliner Zeit“, erzählt er.

„Er hat damals immer Menschen fotografiert. Eines seiner Fotos zeigt den ehemaligen Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes, Otto John, nachdem man ihn in die DDR entführt hatte – eine zerstörte Existenz in einer vom Krieg zerfetzten Berliner Straße. Ein unglaubliches Bild. Ein Foto von Will McBride aus dieser Zeit spiegelte seine eigene Biografie, mit einer zerbrochenen Ehe und drei Kindern, die er nicht mehr sah. Wir hatten auch eine tiefe menschliche Bindung. Er war fast immer verzweifelt.“

Wilfried Bauer – immer anders als erwartet

Oder Wilfried Bauer, noch ein enormes Talent. Bauer liebte die Natur, und er machte die großen Fotoreportagen für die Magazine der „Zeit“ und der „FAZ“, für „Stern“, „GEO“ und „Merian“.

„Er bekam einen Auftrag, und was er dann mitbrachte, war etwas ganz anderes. Aber von äußerster Qualität“, erinnert sich Gundlach. Er beschreibt ihn als einen Menschen, bei dem das Äußere nicht mit dem Inneren übereinstimmt. „Meistens lachte er über das ganze Gesicht, aber keiner kannte ihn wirklich.“ Extrem schwermütig sei er gewesen. 2005 starb Bauer durch einen Sprung aus seiner brennenden Wohnung, die er zuvor angezündet hatte.

Nun werden die Neapel-Bilder Wilfried Bauers ausgebreitet. Kinder sieht man dort spielen, und Bauer scheint eines von ihnen gewesen zu sein, so holt er das Geschehen heran und fotografiert immer ein bisschen von unten.

Eine Prozession, Straßenszenen – Wilfried Bauers mit kurzer Brennweite aufgenommenen Reportage-Bilder kommen einem sehr nah und haben dadurch eine große Wahrhaftigkeit. Trotz des Brandes sind 60 Prozent des Bauer-Archivs „ganz gut erhalten“, sagt Gundlach, an den sich Bauers Lebensgefährtin nach dessen Tod gewandt hat. Weitere 30 Prozent sind angesengt oder verrußt, es wird wohl noch Jahre dauern, bis alles gereinigt, sortiert und aufgearbeitet ist.

Normales Leben langweilt FC

Das Portemonnaie von FC, auf der all die begabten, aber geschäftlich völlig untalentierten Fotokünstler lagen, war breit und stabil. Gundlach liebt den Umgang mit Künstlern bis heute, das normale Leben mit seinen flachen Plätscherwellen langweilt ihn schnell.

Deshalb hat er auch nie aufgehört, junge Künstler zu fördern und ihre Werke zu kaufen, damit sie mit dem Geld ihr nächstes Projekt finanzieren können: Andreas Mühe ist darunter und die bulgarische Fotografin Pepa Hristova, die in den albanischen Bergen die herben Frauen fotografierte, die als Clan-Oberhäupter mangels männlicher Protagonisten als Mann leben müssen.

Dann aber schießt Gundlach doch noch eine schräge Erinnerung durch den Kopf. Es gab auch eine sehr unkonventionelle Phase Ende der 70er-Jahre, da suchte er den Kontakt zu bildenden Künstlern, die gern mit Fotografie arbeiteten:

Sigmar Polke war bei ihm, die Gebrüder Oehlen, Walter Dahn. FC fotografierte Georg Herold am Bügelbrett und Martin Kippenberger, „der wochenlang hier bei mir rumhing“, presste mit den anderen sein Gesicht auf den Farbkopierer.

„Als Ausstellungskurator muss man Position beziehen und Unbekanntes groß machen“, sagt Gundlach dazu. „Das Ganze war ja ein kreativer Pool.“

Höhepunkt der Kippi-Herold-Gundlach-Connection war die Ausstellung „Das Ende der Avantgarde“: „Dafür hat Kippenberger, ohne mich zu fragen, mein Mobiliar verwurstet, meine Möbel abgeholt, bemalt und mit Klebeband zugepappt. Aber das war für mich kein Problem. Schließlich hat mich der Austausch ja auch bereichert.“